Heinz Karrer im Interview«Eine gewaltige Konkurswelle kommt auf die Schweiz zu»
Die Wirtschaftskrise stehe erst am Anfang, sagt der Economiesuisse-Präsident. Nun soll der Staat zugunsten der Unternehmen auf Steuern verzichten.
Fast alle Corona-Verbote werden aufgehoben. Der Bundesrat verkündete eine «neue Normalität». Spricht man in der Wirtschaft auch schon von normalen Zuständen?
Davon sind wir weit entfernt. Das Virus und die wirtschaftlichen Folgen werden uns noch lange begleiten.
Die Wirtschaftskrise steht uns also noch bevor?
Schauen Sie sich die Zahlen an: Gegen 40 Prozent der Arbeitnehmer sind in Kurzarbeit. Der Bund wird sich stark verschulden. Und auf die Schweiz kommt eine gewaltige Konkurswelle und eine Arbeitslosigkeit zu, wie wir sie seit dem Zweiten Weltkrieg nicht mehr gesehen haben.
Wie bewerten Sie die Strategie des Bundesrates gegen die Wirtschaftskrise?
Der Bundesrat hat richtig und verhältnismässig gehandelt. Das war nötig. Bei den Lockerungen hätte er unserer Meinung nach früher die Läden öffnen und damit auf die Schutzkonzepte der Branchen setzen können. Ich glaube, die Schweiz hat kurzfristig sehr vieles richtig gemacht. Jetzt geht es darum, dafür zu sorgen, wie wir rasch aus der Krise herauskommen.
Dazu präsentiert Ihr Verband heute einen 8-Punkte-Plan. Die Forderungen sind jedoch altbekannt: Deregulierung, Abschaffung von Zöllen und Steuern ...
Die Erfolgsfaktoren der Schweiz bleiben in einer Krise die gleichen. Darum sind diese als Orientierungsrahmen so wichtig. Mit einer klugen Wirtschaftspolitik können wir stark beeinflussen, wie schwer die Krise wird.
Woran denken Sie zuerst?
Zum Beispiel an die Industriezölle. Die Diskussion ist nicht neu, ich weiss. Aber ist es nicht jetzt in der Krise ganz besonders wichtig, diese Zölle abzuschaffen, um die Belastung der verarbeitenden Industrie zu senken? Der Wohlfahrtsgewinn ist sicher grösser als allfällige Einnahmenausfälle beim Bund.
Sie fordern auch den Verzicht auf die Stempelabgabe. Wie kommt man dazu, ausgerechnet in der Krise dem Staat Geld entziehen zu wollen?
Wir sind überzeugt, dass beide Vorschläge geprüft werden sollen. Alle verfügbaren Untersuchungen zeigen, dass in einer wirtschaftlich schwierigen Situation Entlastungen zielführend sind, ganz im Gegensatz zu Steuererhöhungen.
Die Angestellten kommen in Ihrem Krisenplan nicht vor. Wäre jetzt nicht die Zeit, dass der Economiesuisse-Präsident an die soziale Verantwortung der Unternehmen appelliert?
Unsere Vorschläge haben vor allem das Ziel, dass Arbeitsplätze und Unternehmen erhalten werden. Die Arbeitnehmer stehen also im Zentrum unserer Forderungen.
Die Wirtschaft erhält im Moment Milliarden vom Staat. Da sollten die Unternehmen doch erst recht auf Entlassungen verzichten.
Jedes Unternehmen muss seine soziale Verantwortung auf seine Weise übernehmen, denn jedes ist unterschiedlich. Die Kurzarbeit hat sich in den letzten Jahren sehr bewährt. Wir sind dafür, dass man das Instrument verlängert. Aber ob man es in Anspruch nimmt, muss jedes Unternehmen selber entscheiden.
«Die Krise wird dazu führen, dass die Bevölkerung den bewährten Weg der bilateralen Abkommen mit der EU beibehalten will.»
Mehr Arbeitslosigkeit wird der Begrenzungsinitiative der SVP bei der Abstimmung im September Schub verleihen. Nehmen Sie das in Kauf?
Die Initiative wäre ein hochriskantes und gefährliches Experiment, gerade für die Arbeitsplätze. Ich bin überzeugt, dass eine deutliche Mehrheit das nicht will. Die Krise wird dazu führen, dass die Bevölkerung den bewährten Weg der bilateralen Abkommen mit der EU beibehalten will.
Woher soll das Geld kommen, das wir in der Krise ausgeben?
Die Corona-Schulden sollen aus dem normalen Bundeshaushalt ausgegliedert und über einen längeren Zeitraum abgebaut werden.
Wie lange?
Über dreissig Jahre. Der entscheidende Punkt ist aber, wie wir den Abbau finanzieren. Ich sehe drei Möglichkeiten. Erstens: Im Budget des Bundes bleiben fast jedes Jahr Kreditreste stehen. Zweitens: Der Bund hat immer wieder ausserordentliche Einnahmen erzielt. Und drittens: die Gewinnausschüttungen der Nationalbank.
Mit diesem Plan ist Finanzminister Maurer letzte Woche im Bundesrat aufgelaufen. Warum stützen Sie seine Idee?
Weil das der richtige Weg ist. Damit ist es möglich, trotz dem Schuldenabbau auf Eingriffe ins ordentliche Budget zu verzichten.
Heute wird mit der Gewinnausschüttung aber ein Teil der Ausgaben für Bildung, Landwirtschaft oder die Armee finanziert. Wollen Sie bei der Bildung sparen?
Nein. Bildung und Forschung müssen wegen ihrer grossen Bedeutung für die Schweiz unbedingt prioritär behandelt werden. Es gibt andere Möglichkeiten.
«Schade, kommt dieser Vorschlag von einem Ökonomen.»
Die Nationalbank schwimmt im Geld. Sie könnte doch die Auszahlungen an den Bund erhöhen? Selbst der Direktor der Konjunkturforschungsstelle der ETH fordert das.
Schade, kommt dieser Vorschlag von einem Ökonomen. Es gibt leider immer wieder gut gemeinte Ideen, welche Ausgaben die Nationalbank auch noch übernehmen könnte. Aber ein Eingriff in die Unabhängigkeit der Nationalbank wäre fatal. Diese muss sich ausschliesslich ihrem geldpolitischen Auftrag widmen können.
Dann wird man in den oben genannten Bereichen aber massiv sparen müssen. Wo wollen Sie sparen?
Wir werden Ende Jahr genauer wissen, wie heftig die Krise wird und wie sie sich auf die Steuereinnahmen des Bundes auswirkt. Das wird der Zeitpunkt sein, darüber zu sprechen, wo und wie viel gespart werden soll. Heute ist es dafür noch zu früh.
Bereits klargemacht hat uns Corona, dass bei vielen Gütern eine schädliche Abhängigkeit der Schweiz von China besteht. Stimmen Sie dem zu?
Wir müssen zwischen Versorgungssicherheit und Selbstversorgung unterscheiden. Das wird in der Debatte oft vermischt. Wenn wir wollen, dass in der nächsten Pandemie Medizinalgüter für mehrere Monate vorhanden sind, dann brauchen wir dafür nicht zwingend eine eigene Produktion. Die Versorgung kann auch mit Vorräten, logistischen Lösungen oder einem Netzwerk verschiedener Lieferanten sichergestellt werden. Darüber müssen wir diskutieren. Das hat in der Schweiz bei dieser Pandemie teilweise schlecht funktioniert. Doch ich warne davor, dafür in der Schweiz Industrien aufzubauen, die international nicht wettbewerbsfähig sind.
Economiesuisse bleibt sich also trotz Corona treu: Der Staat soll möglichst schlank bleiben und sich aus der Wirtschaft raushalten. Die Krise zeigt aber, wie wichtig ein gut ausgebautes soziales Netz ist. Gerade im Vergleich mit Ländern wie den USA.
Sie können die Schweiz nicht mit den USA vergleichen. Wir haben eine ausgeglicherene Verteilung der Einkommen und Vermögen, wir haben ein anderes Verständnis des Sozialstaates und eine bewährte Partnerschaft zwischen Arbeitnehmern und Arbeitgebern. Und darauf sind wir stolz. Economiesuisse ist aber der Meinung, dass die Schweiz jetzt ganz genau überlegen sollte, welche neuen Regulierungen wirklich Sinn machen.
Das heisst, Sie sind im Nachhinein froh, dass die Schweiz in den 1990er-Jahren nicht auf einen neoliberalen Kurs wie in den USA eingeschwenkt ist?
Absolut. Dann würden wir in der Corona-Krise nicht so gut dastehen. Es gibt viele Experten, die voraussagen, dass die Schweiz mit am besten durch diese Krise kommen wird. Ich hoffe, sie haben recht.
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