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Fall Peng Shuai
Ein Sport geht aufs Ganze

Wie geht es Peng Shuai? Das ist die Frage, die die Tenniswelt bewegt. 
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Ziemlich genau einen Monat ist es her, als die Gedanken der Tennisspielerin Peng Shuai zum bis dato letzten Mal ungefiltert in die freie Welt flossen. Und ob diese Welt überhaupt noch mal einen frei gehegten Gedanken dieser Frau erfahren wird, das darf man mittlerweile schwer bezweifeln.

1600 Wörter war Pengs Beitrag lang, den sie am 2. November ins chinesische Internet knallte, ohne Rücksicht auf Konsequenzen. 30 Minuten überlebte er vor der Zensur. Lauter Wörter, messerscharf wie Scherben. Peng schildert darin, wie sie über Jahre eine Affäre mit Zhang Gaoli hatte, dem früheren Vizepremier Chinas, offenbar einvernehmlich. Bis Zhang die Tennisspielerin vor drei Jahren missbrauchte, so Pengs Vorwurf.

«Ich hätte niemals diese Erde betreten sollen», schrieb Peng. Sie sei ein «schlechtes Mädchen». Ein Fluss aus Zweifeln und Vorwürfen, wie so oft bei Opfern von sexualisierter Gewalt: «Du hast mit mir gespielt, und als du nicht mehr wolltest, hast du mich weggeworfen.» Sie habe keine Beweise, so Peng, «nur die reale Erfahrung des verbogenen, ruinierten Ichs».

Und dann noch so ein Satz, gewunden und messerscharf. «Auch wenn ich wie ein Ei bin, das sich selbst gegen einen Fels schmeisst, eine Motte, die auf eine Flamme zurast und ihre eigene Zerstörung vorantreibt – ich werde trotzdem die Wahrheit über uns sagen.»

Ein aussergewöhnlicher Schritt der WTA

Das ist der Hintergrund, vor dem man seit Wochen alles deuten muss: Pengs Verschwinden in den Tagen danach, der Aufschrei in den sozialen Netzwerken. Die Reaktionen von Tennisprofis, Verbänden, Regierungen. Chinas scharfer Konter, die wachsweichen Schönfärber vom Internationalen Olympischen Komitee, die seit Jahren teils schlimmste Verletzungen von Menschenrechten in dem Land durchwinken, in zwei Monaten trotz allem ihre Winterspiele in Peking abhalten wollen, als Fest der Menschlichkeit. Pengs Auftauchen, lauter Bilder und Videos, auf denen sie krampfhaft ihr Wohlergehen beteuert.

Peng Shuai und Zhang Gaoli hatten eine Affäre – dann missbrauchte der ehemalige chinesische Vizepremierminister die Tennisspielerin. 

Und dann ist da nun dieser aussergewöhnliche Schritt der WTA, der Vereinigung aller Berufstennisspielerinnen. Weil man nach wie vor kein glaubhaftes Lebenszeichen von Peng erhalten habe, frei von Druck und Zensur, teilte die Vereinigung am Mittwochabend mit, werde man die zehn WTA-Turniere in China bis auf weiteres aussetzen. Ein Boykott eines millionenschweren Sportmarkts, ganz einfach. Ganz einfach?

Wer Menschenrechte missachtet, muss mit Folgen rechnen – diese Botschaft las sich viel selbstverständlicher, als sie im organisierten Sport ist. Wenn es ums Geschäft geht, kümmern sich Funktionäre selten um Menschlichkeit, vom Fussball in Katar bis zu den Europaspielen in Aserbeidschan und Belarus. Auch die WTA hatte es bis zuletzt zumindest toleriert, dass einer ihrer wichtigsten Geschäftspartner im Land Menschen in Lagern interniert und Freiheitsbestrebungen unterdrückt, unter anderem. Es brauchte schon eine Athletin, die aus einer Sportlergesellschaft gerissen wurde, ehe WTA-Chef Steve Simon solche Botschaften verbreitete wie nun: «Wenn mächtige Menschen die Stimmen von Frauen unterdrücken und Vorwürfe über sexuelle Übergriffe unter den Teppich kehren können, würde die Basis, auf der die WTA gegründet wurde – die Gleichbehandlung von Frauen –, einen schweren Rückschlag erleiden.»

Und plötzlich ist auch das IOK besorgt

Das Lob, mit dem die WTA hernach überschüttet wurde, war gewaltig. Die Amerikanerin Billie Jean King, eine Ikone der Gleichberechtigung und Gründerin der WTA, schrieb auf Twitter, dass die Frauen-Tour wieder einmal «auf der rechten Seite der Geschichte stehe». Die 18-malige Grand-Slam-Siegerin Martina Navratilova lobte die «mutige Haltung» der WTA, die Prinzipien über das Geschäft stelle. Der Weltranglistenerste Novak Djokovic, nebenbei Gründer der Spielervereinigung PTPA, unterstützte den Schritt «voll und ganz – weil wir nicht genug Informationen über Peng Shuai und ihr Wohlergehen haben. Es geht hier um das Leben einer Tennisspielerin, also müssen wir als Tennisgemeinschaft zusammenstehen.» (Lesen Sie hierzu auch unsere Analyse: Nun muss sich der Sport fragen: Geht es auch ohne China?)

Der US-Amerikaner Andy Roddick, auch mal die Nummer eins der Welt, warf indes einen weiteren interessanten Gedanken auf. «Es gibt noch sehr viele Sportverbände und Organisationen», schrieb er auf Twitter, «die sehr viel mehr bewegen können als die WTA.»

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Und damit ein Schwenk zum IOK. Das gab am Donnerstagmorgen ebenfalls eine Mitteilung heraus, die getrost als Reaktion auf die WTA verstanden werden durfte – so blossgestellt, wie der Ringe-Zirkel nun war. Thomas Bach, der deutsche Präsident des IOK, hatte in den vergangenen Wochen ja noch versucht, jegliche Kritik am kommenden Olympiagastgeber zu ersticken: Am 21. November hatte er mit Peng telefoniert, im Anschluss dann kaum Details herausgegeben, bloss versichert, dass es Peng offenkundig gut gehe und man ihre Privatsphäre respektieren möge. Also just das, was zuvor aus chinesischen Medien ins Ausland geschwappt war.

Bis zuletzt ging das IOK mit der Ansicht hausieren, dass Peng in den Videotelefonaten keineswegs unter Zwang gestanden habe. Dann also, am Donnerstag, behauptete die Organisation auf einmal, dass man am Vortag erneut mit Peng konferiert habe. Nun war plötzlich nicht mehr die Rede vom Wohlergehen – stattdessen sei man «besorgt» und habe der Spielerin «weitreichende Unterstützung» zugesichert.

Woher der Sinneswandel? Kein Wort dazu. Auch nicht, ob man Pengs Vorwürfe endlich thematisiert habe – mit der Spielerin oder den Behörden, mit denen das IOK angeblich «stille Diplomatie» betreibt. Welch durchschlagenden Erfolg das haben kann, hatte Bachs erstes, nicht ganz so stilles Telefonat mit Peng gezeigt: Bei dem hatte er sich fotografieren lassen und noch eine «entspannte» Athletin erlebt.

Ein Bild, das für Beruhigung sorgen sollte, aber eher das Gegenteil bewirkte: IOK-Präsident Thomas Bach bei einem Videocall mit Peng Shuai. 

Wie sehr man bei Sinnen sein muss, um derartige Bekundungen zu glauben? Von einer Athletin, in einer Diktatur lebend, die immer wieder unliebsame Personen unter Zwang setzt? Von einer Frau zudem, die erst noch in 1600 rasenden Wörtern geklagt hatte, wie sehr sie sich gerade in die Zerstörung reitet? Und die vermutlich für den Rest ihres Lebens eine Gefangene im eigenen Land sein wird, wie das Portal Chinachange.org nun schrieb?

Und China selbst?

Stillschweigen, am Tag nach der WTA-Entscheidung. Kein Wort in den Zeitungen, im Radio. Keine Meldung in den Abendnachrichten des Staatsfernsehens. Einen einzigen Satz rang sich der Sprecher des Pekinger Aussenamts bei der täglichen Pressekonferenz ab: «Wir sind entschieden dagegen, dass der Sport politisiert wird», sagte er.

Zensur im Internet, Polizei vor dem Restaurant

Am frühen Abend verbreitet dann die staatliche «Global Times» eine ausschliesslich auf Englisch verfasste Stellungnahme des chinesischen Tennisverbands, und zwar nur auf Twitter und Facebook; beide Dienste sind in der Volksrepublik gesperrt. Der Verband sei empört. Es sei eine «einseitige Entscheidung des Frauen-Tennisverbands» gewesen. Ruft man beim Verband an und fragt nach der Presseabteilung, wird sofort aufgelegt.

Der Name «Peng Shuai» ist in Chinas Internet weiter gesperrt, wer nach «Tennis» oder «WTA» sucht, erhält eine Fehlermeldung.

Im Internet ist die Zensur noch brutaler. Der Name «Peng Shuai» ist weiter gesperrt, wer nach «Tennis» oder «WTA» sucht, erhält eine Fehlermeldung. Kurzfristig sichtbar ist die Meinungsäusserung eines Nutzers, der statt WTA die hübsche Umschreibung der «Frauen-Ping-Pong-Vereinigung, die jenseits des Tisches spielt» eingeführt hat. «Man kann nur sagen, Sie haben ein starkes Rückgrat», lobt er. Wenig später ist auch dieser Eintrag gelöscht.

Besucht man das Sichuan-Restaurant in Peking, in dem sich Peng Shuai Ende November mit angeblichen Bekannten zum Abendessen traf, fallen sofort die Polizeifahrzeuge auf. Acht Stück. Sie stehen auf dem Trottoir, an der Kreuzung, selbst in der engen Gasse vor dem Restaurant haben sie einen der Wagen abgestellt. Kaum ein Ort in China ist derzeit besser bewacht.

Irgendwer hatte am Abend des Dinners ein Tischgespräch mit dem Smartphone aufgenommen, das Video wurde später im Ausland verbreitet. Man hörte darin einen Mann, er verhaspelte sich, dann sagte er, dass morgen der 20. November sei, woraufhin ihn eine Frau sofort korrigierte, nein, der 21. November sei das tatsächliche Datum des nächsten Tages. Peng Shuai hörte ihm zu, schwieg und nickte. Wie in einem Erpresservideo, wenn die Geisel mit der Morgenzeitung posieren muss.

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