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Video

Aufnahmen veröffentlicht
Peng Shuai nickt und schweigt – wie in einem Entführervideo

Sie ist wieder da: Peng Shuai, die vermisste chinesische Tennisspielerin, die einen der mächtigsten Männer der Volksrepublik der sexualisierten Gewalt beschuldigt hat. In der Nacht zu Samstag verbreiteten Reporter von Staatsmedien zunächst drei ­Fotos, die sie zu Hause zeigen sollen.

Am Abend darauf dann eine wacklige Smartphone-Aufnahme: Man sieht Peng in einem Sichuan-Restaurant in Peking unweit der Verbotenen Stadt ­sitzen. Das Essen spülen sie und ihre Begleiter offenbar mit Rotwein aus bauchigen Gläsern hinunter. Ein Mann im Video sagt: «Morgen ist der 20. November», wird aber sofort von einer Frau in der Runde korrigiert, dass dann der 21. November sei – und damit Sonntag. Peng nickt und schweigt.

Es hat etwas von einem Entführervideo, in dem eine Zeitung hochgehalten wird, zum Beweis, dass die Geisel noch lebt.

Die Botschaft ist klar: Peng ­Shuai geht es gut – nun lasst uns endlich in Ruhe!

Am Sonntagmorgen dann die nächsten Aufnahmen: Der Chefredaktor der staatlichen «Global Times» postet auf Twitter, einem Dienst, der in China gesperrt ist, ein Video, das die 35-Jährige in einer Pekinger Sporthalle bei der Eröffnung eines Jugend-Tennisturniers zeigt. Peng trägt eine blaue Sportjacke, eine weisse Trainingshose und steht inmitten einer Gruppe von Gästen. Ein Reporter der Staatszeitung twittert kurz darauf ein weiteres Video, in dem zu sehen ist, wie Peng Autogramme für Kinder schreibt und für Fotos posiert. Die Botschaft ist klar: Peng ­Shuai geht es gut – nun lasst uns endlich in Ruhe!

In den chinesischen Medien wird weiterhin eisern geschwiegen. Ausschliesslich auf Twitter veröffentlichen die Staats­medien ihre Fotos und Videos. Wer in Chinas sozialen Netzwerken nach Peng Shuai oder dem ehemaligen Vizepremierminister Zhang Gaoli sucht, dem sie einen sexuellen Übergriff vorgeworfen hatte, erhält eine Fehlermeldung.

Winnie Puuh spendet Trost

Entsprechend zurückhaltend reagiert Steve Simon, der Chef des internationalen Frauentennisverbands WTA. Es sei zwar «positiv», dass Peng zu sehen sei. ­Allerdings sei immer noch unklar, ob die Spielerin «frei und in der Lage ist, selbstständig und ohne Zwang oder Einmischung von aussen Entscheidungen zu treffen und Massnahmen zu ­ergreifen», sagte er.

In der Tat: Warum schreibt Peng Shuai, dreimalige ­Olympiateilnehmerin und frühere Nummer eins der Doppel-Weltrangliste, nicht selbst etwas beim chinesischen Kurznachrichtendienst Weibo, auf dem sie am 2. November von ihren traumatischen Erfahrungen berichtet hatte? Warum antwortet sie nicht auf Nachrichten von besorgten Spielerinnen und Spielern (auch ­Roger Federer äusserte sich solidarisch)?

Der Fall erinnert an das Sterben von Liu Xiaobo, dem ­chinesischen Friedensnobelpreisträger, 2017 – ein unwürdiges Schauspiel damals. Jeden Tag stellte das Spital ein Bulletin ins Netz. Klinisch kalt, die reinen Fakten: Nierenfunktion eingeschränkt, Bauchfell entzündet, der Krebs weitergewachsen. Septischer Schock. Selbst der Tod wurde auf einer Website gemeldet. Ein Kämpfer für die Demokratie in China, ­reduziert auf schlechte Nierenwerte und Metastasen. In den chinesischen Nachrichten ­wurde Liu Xiaobos Sterben verschwiegen. Nur das Propagandablatt «Global Times» berichtete und kommentierte auf Englisch, genau wie heute.

Warum antwortet sie nicht auf Nachrichten von besorgten Spielerinnen und Spielern?

Immerhin, ein klitzekleiner Akt der Subversion kommt in Peng Shuais Fall zum Vorschein: Auf einem der Fotos, die sie angeblich am vergangenen Freitag zeigten, ist ein kleines gerahmtes Bild von Winnie Puuh hinter ihr zu sehen – jeder in China weiss, dass damit Xi Jinping gemeint ist.

Für viele Chinesen ist der Vergleich mit der korpulenten Disney-Figur die vielleicht einzige unbeschwerte Möglichkeit, über ihren Präsidenten zu spotten. Das begann, als Xi 2013 zum Staatsbesuch in den USA weilte und ein Foto veröffentlicht wurde, das ihn mit dem damaligen Präsidenten Obama zeigt. Xi mit seiner etwas zu weit hochgezogenen Hose wirkt leicht pummelig neben dem drahtigeren Obama. Irgendwer im Netz hatte dann die Idee: Xi der Bär und Obama, sein Comic-Kompagnon Tigger. Wurde natürlich auch wegzensiert, wie heute der Name von Peng Shuai.

Videoanruf von IOK-Chef

Am Wochenende hat ihr Fall derweil neue politische Ebenen erreicht. WTA-Boss Simon übermittelte dem chinesischen Botschafter Qin Gang in Washington einen unmissverständlichen Brief, den die «New York Times» veröffentlichte. In diesem fordert der Amerikaner abermals eine «unabhängige und nachweis­bare Bestätigung, dass Peng Shuai sicher ist». Zudem, dass die Vorwürfe, die sie gegen Zhang ­Gaoli erhob, «fair, umfänglich, transparent und ohne Zensur» untersucht werden.

Bemerkenswert ist das Ende des Schreibens. Simon untermauerte auf diesem offiziellen Weg die Botschaft: «Wenn unseren beiden Bitten nicht entsprochen wird, haben wir keine andere Wahl, als ernsthaft darüber nachzudenken, ob wir ­wieder in China spielen können.»

Das Videotelefonat zwischen Thomas Bach und Peng Shuai.

Am Sonntagabend folgte die nächste Beschwichtigung. Wie die Nachrichtenagentur Reuters meldete und das Internationale Olympische Komitee (IOK) bestätigte, hat IOK-Präsident ­Thomas Bach mit Shuai ein Video-Telefonat geführt. Sie habe übermittelt, ihr gehe es gut, man solle nun ihre Privatsphäre respektieren. Auch das wirkte: höchst inszeniert.