Kommentar zum Zugunglück im GotthardEin Riss im Herzen der Schweiz
Was im Gotthard-Basistunnel geschah, zeigt, wie verwundbar die Schweiz sein kann. Nun muss SBB-Chef Vincent Ducrot über sich hinauswachsen. Es geht auch um den Zusammenhalt des Landes.
Der Gotthard wird gerne als Herz der modernen Schweiz beschrieben. Nun blutet dieses Herz. Voraussichtlich erst Anfang 2024 kann der Personenverkehr durch den Gotthard-Basistunnel wieder normal stattfinden. Damit wird die Geschichte von der eigenen Unverwundbarkeit ein Stück weit infrage gestellt.
Es passt etwas zu dem, was der zurücktretende Bundeskanzler Walter Thurnherr am selben Tag sagte, an dem die SBB über die Folgen des Unfalls im Tunnel informierten. Gefragt nach aktuellen Herausforderungen, sagte er: «Die Schweiz ist immer mehr mit Problemen konfrontiert, die im Ausland entstehen. Das bedeutet, dass wir international vernetzt sein müssen.»
Anders gesagt: In Zeiten, in denen Jahr für Jahr mehr Güterwagen über Europas Schienen rasseln, wird es zunehmend schwieriger, das Schweizer Qualitätsversprechen zu erfüllen.
Der Gotthard ist wichtig für den Zusammenhalt des Landes, wirtschaftlich und menschlich.
Und der Gotthard ist wichtig für den Zusammenhalt des Landes, wirtschaftlich und menschlich. Tessinerinnen und Tessiner pendeln zu ihren Arbeitsplätzen in die Wirtschaftszentren des Nordens, Ausflüglerinnen und Ausflügler aus der Deutschschweiz verbringen ihre freien Tage in der südlichen Sonnenstube.
Gesorgt wird so für einen regelmässigen Austausch zwischen Nord und Süd. Fliesst der Schienenverkehr zwischen den Regionen nicht richtig, ist dieser teilweise blockiert – und damit auch die Schweiz als Einheit.
Geschlagen hat nun die Stunde von Vincent Ducrot. Der Bähnler alter Schule sollte bei seinem Antritt das Vertrauen in die SBB wiederherstellen und nach aufreibenden Jahren das Unternehmen wieder in ruhige Fahrwasser bringen. Doch ist der sachliche Freiburger auch ein guter Krisenmanager? Bisweilen wirkt er dazu im aktuellen Fall noch zu distanziert.
Die SBB – immerhin ein Bundesbetrieb – rücken nur spärliche Informationen zum Unfall heraus. Dafür zu sorgen, dass das Volk Verständnis dafür hat, wenn das Herz des Landes blutet, ist nun Ducrots grosse Bewährungsprobe.
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