Analyse zum Kernfusion-DurchbruchEin Meilenstein falscher Versprechen
Was US-Forschende erreicht haben, ist sicher ein historischer Schritt für die Wissenschaft. Die Energiewende muss dennoch ohne Kernfusion stattfinden. Ohnehin hat das Projekt vor allem militärische Zwecke.
Es war ein historischer Laserblitz, der die Energie der Sonne auf die Erde holte. Am 5. Dezember feuerten an der National Ignition Facility (NIF) bei San Francisco 192 Laser perfekt synchron und fokussierten ihre Energie auf ein pfefferkorngrosses Kügelchen. Dieses wurde auf rund 100 Millionen Grad Celsius erhitzt. Die im Kügelchen enthaltenen Wasserstoffkerne fusionierten zu Helium. Für einen Moment blitzte ein kleiner Stern auf, der rund 50 Prozent mehr Energie freisetzte, als die Laser zuvor auf das Kügelchen eingestrahlt hatten.
In der Medienmitteilung der NIF überschlagen sich die Stimmen zur weltweit führenden US-Wissenschaft. Es ist sogar von einem Paradigmenwechsel die Rede, und zwar für das Ziel von US-Präsident Joe Biden, eine CO2-freie Wirtschaft aufzubauen. Schliesslich steht die Kernfusion in puncto Klimaschutz gut da: Die ganze Energiekette emittiert kaum CO2. Und der Brennstoff – die Wasserstoffisotope Deuterium und Tritium – gilt zumindest in der Theorie als nahezu unerschöpflich.
Deutlich negative Energiebilanz
Tatsächlich ist der kleine Stern an der NIF nicht mehr als ein Fünkchen Hoffnung. Denn in der präsentierten Energiebilanz fehlt ein entscheidender Faktor: die Energie für den Betrieb der 192 Laser. Diese ist immer noch mehr als 100-mal grösser als die beim Experiment gewonnene Fusionsenergie. Zahlreiche Prozesse müssen noch optimiert werden, bis die gesamte Energiebilanz vielleicht einmal ins Positive kippt.
Die Hoffnung zur Lösung der Energiekrise, die das NIF in seiner Mitteilung verbreitet, ist daher grob irreführend. Bis ein Laserfusionskraftwerk Strom erzeugt, dürfte es noch Jahrzehnte dauern. Joe Biden wird dann sicher nicht mehr im Amt sein.
Die Energiewende muss aber jetzt vollzogen werden. Dafür können nur die vorhandenen Lösungen zum Einsatz kommen, allen voran die Fotovoltaik und die Windenergie, zum Teil ein Ausbau der Wasserkraft und vielleicht auch die Geothermie. Eine Energie wie die Kernfusion, die möglicherweise in zwei oder drei Jahrzehnten Energie liefern könnte, wird bei der jetzt dringend nötigen Energiewende schlicht keine Rolle spielen. Wenn die Kernfusion so vermarktet wird, wie es die NIF nun getan hat, schürt das nur falsche Hoffnungen.
Ersatz für Atombombentests
Einen konkreten Nutzen hat der erreichte Meilenstein aber durchaus: Er dient dem US-Militär, das auch finanziell hinter dem Projekt steckt. 1992 führten die USA den letzten Atomtest durch. Seit der Fertigstellung der NIF im Jahr 2009 studieren die Forschenden vor allem Prozesse, die bei einer Wasserstoffbombenexplosion ablaufen. Das ist jetzt mit der erfolgreichen Zündung des Wasserstoffs im Kügelchen noch viel besser möglich.
Zudem sollen mit dem Projekt Nachwuchsforschende für die Kernfusion begeistert werden. Denn mit den Atombomben altern auch deren Entwickler. Es fehlt an qualifiziertem Nachwuchs, der künftig das Arsenal an Kernwaffen betreuen soll. Das erklärt auch, warum die Atomnation Frankreich ebenfalls eine mit der NIF vergleichbare Anlage betreibt: den Laser Mégajoule.
Und ja, vielleicht wird die Laserfusion dereinst tatsächlich nutzbare Energie liefern. Für den Moment hat die NIF allerdings nur einen Durchbruch für die Grundlagenwissenschaft und für das US-Militär erreicht, keinen Durchbruch für die Energiewende.
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