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Mamablog: Solidarität statt Zeigefinger
Ein Loblied auf die Züri-Eltern

Keine Elternzeit und teure Kitaplätze: Zürcher Eltern sitzen alle im selben Boot – und das eint.
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«Es gibt hier ja auch Sorbet» – sagte mir diesen Sommer nicht etwa die Glaceverkäuferin in einer Eisdiele im Berliner Prenzlauer Berg. Sondern die Frau, die hinter mir mit ihrem Kleinkind in der Schlange stand. Ich hatte meiner Tochter gerade eine Kugel Stracciatella gekauft. Ich bedankte mich für die Information, weil ich dachte: Vielleicht ist das Sorbet hier besonders gut. Und erklärte, dass ich lieber andere Sorten mag (und meine kleine Tochter auch). «Im Sorbet ist auch weniger Zucker und halt keine Milch. Nur so fürs nächste Mal mit der Kleinen», so die Antwort.

Ungefragter Rat

Leider war ich so schockiert, dass mir keine lustige Erwiderung einfiel. Nicht einmal etwas Fieses vermochte ich der Sorbetmutter zu antworten. Seither war ich noch ein paar Mal in Berlin. Und es blieb nicht bei diesem einen Erlebnis. Ich solle nicht nein sagen zu meinem Kind (hätte ich sagen sollen, dass «nein» das erste Wort meiner Tochter war?). Meine gekauften Snacks – voller Zusatzstoffe, quasi Gift. Das Handy in der Hand? Da kann man das Kind gleich mit dem Messerblock spielen lassen.

So genervt ich von den Berlin-Erlebnissen bin, einen guten Effekt hatte das Ganze: Ich weiss die Mütter in Zürich zu schätzen. Und die Väter (in Berlin pöbelten leider nur Frauen).

Denn auch wenn man hier in der Schweiz ebenfalls oft ungefragt Rat erhält – von anderen Kleinkindeltern kam der bei mir eigentlich eher selten. Meistens waren es ältere Frauen und Männer, Eltern älterer Kinder oder oft auch Kinderlose, die irgendeinen Artikel über das Stillen, Schlafen, Essen gelesen hatten.

Erlebte Solidarität

Stattdessen erlebte ich auf Spielplätzen, im Tram, beim Abholen in der Kita oft Solidarität. Etwa, als ich kürzlich übermüdet von der zerstörerischen Energie meiner Tochter überfordert war. Die dann auch noch einem anderen Kind das Spielzeug entriss. Dessen Mutter sagte nur: «Einfach machen lassen, das macht sie auch oft genug.» Und scherzte dann über terrible twos, horrible threes, crazy fours, und was noch so alles an Stresszeit auf einen zukommt. Auch in Berlin entriss meine Tochter mal einem anderen Kind die Schaufel. Und ich war froh, dass die andere Mutter nicht die Polizei rief.

Lange habe ich überlegt, warum es hier so anders ist. Die Erklärung liegt womöglich in einem bekannten Phänomen: Hat man einen gemeinsamen Feind, verbündet man sich.

Unser gemeinsamer Feind

Der Feind ist in diesem Fall der Staat. Klar, ist ein bisschen dramatisiert, jetzt. Immerhin kann man in der Schweiz sicher gebären, Abtreibungen sind (anders als im kleinen Nachbarland Liechtenstein) erlaubt und ermöglichen eine umsichtige Familienplanung und es gibt genügend Kitas. Aber dann hört es auch auf. Denn ist das Kind einmal da, lässt der Staat Eltern ziemlich im Stich – zumindest, wenn beide weiterhin arbeiten wollen. Keine Elternzeit und teure Kinderbetreuung, wenn man nach den paar Wochen wieder arbeiten will – nicht so nett.

In anderen Ländern, wo der Mutterschutz ähnlich kurz dauert, wie etwa in Frankreich, muss man zumindest nicht Tausende Franken hinblättern, um die Betreuung zu sichern. Ich hatte mir einmal vorgenommen, auszurechnen, wie lange ich im Monat arbeiten muss, damit ich arbeiten darf. Habe das aber aufgegeben, weil es mich deprimieren würde.

Wenn wir Eltern uns hier also mit Augenringen und Handy in der Hand (Arbeitsemails oder kurze Zerstreuung? Beides legitim) und unseren gekauften Snacks auf dem Spielplatz begegnen, wissen wir: Wir sitzen alle im selben Boot. Für das man uns keinen Motor, noch nicht mal Segel, sondern nur Teelöffel zum Rudern gegeben hat. Und dafür schlagen wir uns alle glaube ich ziemlich gut.

Hatten Sie ähnliche Erlebnisse, liebe Leserinnen und Leser? Und orten sie womöglich weitere Gründe für die erlebte Solidarität? Diskutieren Sie mit.