Analyse zum Erbe von Hans KüngEin grosser Umbruch zu Ende gedacht
Man tut dem grossen Theologen unrecht, wenn man ihn auf den grossen Theologen reduziert. Sein «Weltethos» war und ist eine Revolution auch für die Politik.
Revolutionen erscheinen im milden Rückblick häufig nur als erster, wütender Schritt auf dem allemal fälligen Weg der Modernisierung. Wenn Revolutionen noch dazu in beschaulichen Universitätsstädten ausgetragen werden, in Vorlesungssälen oder mithilfe von Denkschriften, werden sie gern zum Intellektuellen-Disput reduziert. Im Fall von Hans Küng ist für eine Verniedlichung kein Platz. Die Fachwerkkulisse der Universitätsstadt Tübingen mag seiner Revolution standgehalten haben – ein paar gesellschaftliche Fassaden hat sie aber eingerissen.
Küng hat einen gewaltigen Modernitätssprung für die Kirche, aber auch für ausserkirchliche Milieus vorausgedacht.
Wer heute das Leben des nun im Alter von 93 Jahren verstorbenen Theologen Hans Küng Revue passieren lässt, erkennt den gewaltigen Modernitätssprung, den er für die Kirche, aber auch für ausserkirchliche Milieus vorausgedacht hat. Die späten 60er- und die 70er-Jahre waren geprägt vom Bedürfnis nach einer gesellschaftlichen Häutung, nach Modernität – warum sollte die Kirche davon ausgespart bleiben? Auch wenn sich die theologische und institutionelle Fassade bis heute nur mühsam modernisieren lässt – es sind die Bewohner des Hauses, die seinen Charakter prägen.
Ein-Mann-Revolutionäre haben nicht selten die schwierige Eigenschaft, dass intellektuelle Kapazität und Sendungsdrang im eitlen Wettbewerb stehen. Erstaunlicherweise sind es auch immer wieder deutschsprachige Philosophen und Theologen, die es mit nicht weniger als dem Weltgetriebe oder den Ewigkeitsinstitutionen wie der Kirche aufnehmen.
Küng hat in seiner zweiten Schaffensphase den revolutionären Anspruch hin zur Universaltheologie getrieben, zum Weltethos und nichts Geringerem als den Werkzeugen für einen Weltfrieden. Was ist es also, was die Menschheit verbinden könnte? Welche Werte teilen die grossen Religionen der Erde? Und müsste eine Verständigung, ein ethischer Kanon, nicht zu etwas Unerhörtem führen: Weltfrieden?
Politische Utopie ist kein Vorrecht für die Theologie, aber sie tut sich leichter damit. Von der Bedeutung der Friedfertigkeit sind leider nicht alle Erdenbewohner zu jeder Zeit überzeugt. Gleichwohl steckt in der Küng-Botschaft vom Weltethos ein revolutionärer Kern, weil es weder ein theologischer noch ein politischer Schaden sein kann, wenn die Religionen der Erde miteinander sprechen und ihre Anhänger auf Grundsätze des zivilisierten Miteinanders einschwören. Die Weltgeschichte steckt voller Religionskriege und Niederträchtigkeiten, die mit dem Willen einer höheren Macht begründet wurden.
Am Ende führt Küngs «Weltethos» schnurstracks zu den revolutionären Kraftzentren der Aufklärung.
So wie sich der friedfertige Charakter in jeder Religion finden lässt, so lässt sich auch der Wunsch nach Abgrenzung, Überlegenheit ausmachen. Es ist kein Privileg der Religionen, friedlich zu sein. Genauso wenig sind Religionen gefeit vor dem Missbrauch – bis hin zur Rechtfertigung von Terror und Gewalt. Am Ende führt Küngs Weltethos schnurstracks zu den revolutionären Kraftzentren der Aufklärung und – so schliesst sich der Kreis – des Christentums.
Es sind die Wurzeln dessen, was man politisch den aufgeklärten Westen nennt, der sich in Demokratie, Menschenrechten und einem nie nachlassenden Wunsch nach mehr Gerechtigkeit äussert. Der «Westen» hat sich diese Werte in der harten Trennung von der Kirche erkämpft. Küng hat gezeigt, wie nahe sich Politik und Theologie dennoch sind.
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