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Corona und Armut in Grossbritannien
Ein Fussballstar macht sich zum Anwalt der Kinder

Schüler und Leher protestieren vor der Downing Street gegen die Entscheidung der Regierung, keine Essensgutscheine zu bewilligen.
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Erneut haben sich Grossbritanniens Tories den Ruf einer «nasty party» – einer widerwärtigen Partei – eingehandelt. Der Regierung Boris Johnsons sei es gleichgültig, ob Kinder in England hungerten, werfen ihr ihre Kritiker vor. Selbst einzelne konservative Politiker können nicht glauben, dass «ihre» Regierung sich erneut diesem Verdacht ausgesetzt hat. Schon im Juni hatte es ja entsprechende Beschuldigungen gegeben, als sich Johnson weigerte, bedürftigen englischen Kindern für die Dauer der Sommerferien Essensgutscheine zu bewilligen.

Erst eine leidenschaftliche Kampagne des Manchester-United-Stars und englischen Nationalspielers Marcus Rashford hatte die Regierung damals zu einer bemerkenswerten Kehrtwende gezwungen. Nach einer Woge öffentlicher Entrüstung hatte Johnson notgedrungen das Geld für die Gratismahlzeiten bereitgestellt.

1,3 Millionen Kinder beziehen Gratismahlzeiten

15 Pfund extra pro Kind und Woche wurden den ärmsten Familien in Form von Essensgutscheinen für die Sommerwochen bewilligt. 1,3 Millionen Kinder, die in ihren Ganztagsschulen freies Essen beziehen, mussten so auch in den Ferien «nicht mit knurrenden Mägen ins Bett gehen», formulierte Rashford es seinerzeit. Inzwischen soll sich die Zahl der wirklich bedürftigen Schulkinder auf zwei Millionen erhöht haben. Und doch sperrte sich die Regierung jetzt erneut, als die Labour-Opposition sie aufforderte, auch in den an diesem Montag beginnenden Herbstferien und für die Dauer der Weihnachts- und Winterferien wieder Gutscheine auszugeben.

Man habe genug Gelder ins Sozialhilfesystem gepumpt und an die Gemeinden verteilt, die solche Gutscheine überflüssig machten, wehrten Johnsons Minister ab. Das war auch Überzeugung fast der gesamten Fraktion des Regierungslagers. Nur fünf der 364 Tory-Abgeordneten im Unterhaus versagten Johnson letztlich die Gefolgschaft, als es vorige Woche zu einer Abstimmung kam.

«Lassen wir den Lärm beiseite»

Für die Abgeordneten des rechten Flügels war die Sache eh klar. Der Abgeordnete Ben Bradley etwa fand, die Essensgutscheine für die Sommerferien hätten in Englands Elendsvierteln am Ende nur dazu beigetragen, «Drogenhändler und Bordelle am Laufen zu halten». Die Verantwortung zur Ernährung von Kindern, erklärte sein Kollege Philip Davies, liege «erst mal bei den Eltern, und nicht beim Staat».

Prompt kehrte Marcus Rashford auf die politische Bühne zurück, um erneut dringlich Hilfe für die Ärmsten zu verlangen. «Lassen wir doch allen Lärm, alle gegenseitigen Anwürfe, alle Parteipolitik beiseite», meinte er. «Die Realität ist doch, dass eine Menge Kinder heute Nacht nicht nur hungrig zu Bett gehen werden, sondern auch mit dem Gefühl, dass sie überhaupt nichts gelten – wenn solche Kommentare laut werden, wie sie jetzt laut geworden sind.»

«Selbstlosigkeit, Güte, Gemeinsamkeit – das ist das England, das ich kenne»: Fussballerstar Marcus Rashford. 

In der Tat hat die kompromisslose Position der Regierung diesmal eine noch heftigere Reaktion in der Öffentlichkeit ausgelöst als im Juni. Ein Top-Tory, Sir Bernhard Jenkin, musste am Sonntag einräumen, «dass wir uns echt vertan haben, was die öffentliche Stimmung betrifft». 2000 Kinderärzte sowie prominente Briten aus allen Lebensbereichen forderten eine rasche «Umbesinnung» in Downing Street. Eine Petition für eine neue Runde von Essensgutscheinen hat fast eine Million Unterschriften erreicht.

Eine humanitäre Welle

Dutzende örtliche Ratsversammlungen boten am Wochenende «Notmassnahmen» aus eigenen Mitteln an. Auch mehrere konservative Gemeinden befanden sich darunter, zum Beispiel der Kreis Hillingdon – Boris Johnsons Wahlkreis. Und Tausende von Geschäften, kleine wie grosse, offerierten spontan Gratismahlzeiten und freie Auslieferung an bedürftige Familien in der Ferienzeit. McDonald’s stellte eine Million Mahlzeiten in Aussicht. Cafés, Restaurants und Imbissläden meldeten sich mit Angeboten bei Wohlfahrtsverbänden. Taxifahrer waren bereit, für die Beförderung zu sorgen. Schulleiter überall schlossen sich der Kampagne an.

Eine humanitäre Welle der Hilfsbereitschaft, die die Regierung zutiefst beschämen musste, flutete durchs Land. Es habe ihm regelrecht «den Atem verschlagen», erklärte Marcus Rashford. «Selbstlosigkeit, Güte, Gemeinsamkeit – das ist das England, das ich kenne.»