Editorial zur BundesratswahlFertig geschmollt, SVP
16 Jahre nach der Abwahl von Christoph Blocher scheint das Trauma langsam überwunden zu sein. Damit wird am 13. Dezember alles möglich.
Endlich ist politisch wieder was los in der Schweiz. Die Linken liebäugeln damit, im Bundesrat zusammen mit der Mitte die Mehrheit zu übernehmen – die linke «Wochenzeitung» rief dazu auf, FDP-Aussenminister Ignazio Cassis durch Mitte-Präsident Gerhard Pfister zu ersetzen.
Bei den Rechten rief Christoph Blocher in seiner eigenen TV-Sendung dazu auf, einen wilden SP-Bundesratskandidaten zu wählen. Fast schon vergessen geht im ganzen Trubel, dass auch die Grünen mit einem Kandidaten in den Bundesrat wollen.
Man fühlt sich ein bisschen an TV-Serien wie «House of Cards» oder «Borgen» erinnert. Zuvor ähnelten Bundesratswahlen lange eher einer Sendung mit Bob Ross, dem meditativen Landschaftsmaler. Kam es mal zu einer Überraschung wie letztes Jahr mit Elisabeth Baume-Schneider, war der Grund – Sympathie-Stimmen dank Schwarznasen-Schafen – fast schon ulkig: ein sicheres Zeichen dafür, dass langsam was faul ist im System.
Dass Regierungsmitglieder ihren Posten räumen müssen, ist im Ausland normal. Nur in der Schweiz nicht.
Die Zauberformel sollte wieder neu ausgetüftelt werden. Viel zu lange waren Parlamentarierinnen und Parlamentarier ängstlich gewesen. Sie wurden gewählt, um die Interessen ihrer Wählerschaft durchzusetzen – mit allen politischen Mitteln. Und dazu gehören auch Tabubrüche.
Und eines der grössten politischen Tabus in der Schweiz ist es, einen amtierenden Bundesrat abzuwählen. Warum eigentlich? Das Land ist bekannt dafür, seine Magistraten nicht wie Könige zu behandeln. Zum helvetischen Erfolgsgeheimnis gehörte im Übrigen schon immer, dass es keinen besonderen Kündigungsschutz gibt. Heute schon müssen sich die Mitglieder der Landesregierung alle vier Jahre offiziell der Wiederwahl stellen. Statt dort kleine Rüffel zu verteilen, indem der eine oder die andere weniger Stimmen erhält, sollte es in Ausnahmefällen auch zu einer Abwahl kommen dürfen. Dass Regierungsmitglieder unfreiwillig ihren Posten räumen müssen, ist im Ausland normal. Nur in der Schweiz nicht.
Wann wäre eine solche Ausnahme gerechtfertigt, wenn nicht jetzt? Es hat sich was angestaut im Bundeshaus. Man muss der «Wochenzeitung» und Christoph Blocher danken, dass sie das erkannt haben. Wobei es bei der SVP ironisch ist, dass ausgerechnet sie zu einer wilden Wahl aufruft – die Partei ist hauptverantwortlich dafür, dass alle so lieb und korrekt geworden sind miteinander.
Die SVP sollte die Strafklausel ganz streichen.
Nach Blochers Abwahl schrieb die SVP in ihre Statuten, dass ein wild gewählter Bundesrat sofort aus der Partei fliegen würde. Seither wagte niemand mehr ein Manöver. Die Regel widerspricht womöglich gar der Verfassung, weil laut dieser die Bundesversammlung den Bundesrat frei wählen darf.
Die SVP sollte ihr Trauma langsam überwunden haben. Vier Jahre sass Blocher im Bundesrat, viermal so lange ist die Abwahl her – ein rekordverdächtiges Schmollen. Bei seinem Aufruf zur wilden Wahl relativierte Blocher nun selber zum ersten Mal die Strafaktion. Die SVP sollte die Klausel ganz streichen. Es wäre für die Partei ein Zeichen der Grösse und für die Schweiz ein Schritt zurück zur Normalität.
Und bei der Bundesratswahl wäre dann definitiv alles möglich.
In einer ersten Version dieses Textes hiess es, die Grünen wollten zum ersten Mal in den Bundesrat. Das ist falsch. Wir haben die Stelle korrigiert.
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