Zahl von 30'000 Infektionen relativiertEconomiesuisse: Solches Szenario «absolut nicht problemlos»
Die Aussage des Arbeitgeber-Chefs Valentin Vogt, 30’000 tägliche Neuinfektionen seien verkraftbar, schlug hohe Wellen. Jetzt relativiert der Chefökonom von Economiesuisse. Auch andere Verbände rudern zurück.
Economiesuisse und andere Wirtschaftsverbände haben Montag den geordneten Rückzug angetreten: 30'000 Corona-Neuinfektionen pro Tag wolle niemand, eine solche Grösse müsse unbedingt verhindert werden, sagt der Chefökonom von Economiesuisse, Rudolf Minsch. Er relativiert damit die Aussagen von Arbeitgeber-Präsident Valentin Vogt, der diese Zahl am Freitag als «verkraftbar» bezeichnet hatte. Noch am am Wochenende hatte sich Minsch auf Anfrage dieser Redaktion nicht so deutlich distanziert.
Sobald alle Risikogruppen geimpft seien, sinke das Risiko einer Überlastung des Gesundheitswesens im Vergleich zur zweiten Welle markant, sagte Minsch am Montag gegenüber der Nachrichtenagentur Keystone-SDA. Dann gebe es mehr Spielraum für zusätzliche Lockerungen.
Lediglich «grobe Bandbreite»
Die Zahl von 20'000 bis 30'000 Fällen pro Tag basiere auf den Erfahrungen aus der zweiten Welle – vor der Verbreitung der mutierten Varianten. Es handle sich dabei lediglich um eine «grobe Bandbreite», bei der das Gesundheitswesen überlastet würde, auch wenn alle über 60-Jährigen geimpft wären.
Diese kritische Grösse müsse aber zwingend verhindert werden, sagte Minsch. Ein solches Szenario sei «absolut nicht problemlos».
Wirtschaftsvertreter erklären hinter vorgehaltener Hand, dass das Öffnungskonzept, in dem die umstrittene Zahl von 20’000 bis 30’000 Fälle steht, von Februar ist und damit veraltet. «Damals dachte man, dass die Impfungen schneller greifen und die Ansteckungszahlen tief bleiben», sagt eine Quelle.
Im Unterschied zum Gewerbeverband sind wichtige Branchengruppen wie die Pharma-Industrie auch nicht für eine schnelle, umfassende Öffnung. «Solange bei den Impfungen aber keine Herdenimmunität von 60-80 Prozent erreicht ist, erscheint uns nicht der Moment zu sein, grosse Lockerungen zu beschliessen», sagt zum Beispiel Marcel Sennhauser, Sprecher von Scienceindustries. «Diese sind aus unserer Sicht dann zu verantworten, wenn das Contact Tracing, Testen und Impfen die entsprechenden Wirkung zeigen.»
Auch die Spitalbetreiberin Hirslanden, die das Öffnungskonzept von Economieuisse mitgetragen hat, betont, dass «die Fallzahlen trotz Öffnungen tief bleiben» sollten. «Daher dürfte der Teillockdown uns noch eine Weile erhalten bleiben», erklärte ein Unternehmenssprecher.
Im ihrem Corona-Lockerungsfahrplan vom 12. Februar hatte Economiesuisse statt «harte und teilweise willkürliche Verbote» «prinzipienbasierte» Entscheide gefordert, bei denen vermehrt auf «Freiwilligkeit und Selbstverantwortung» gesetzt werden müsse. Die Durchimpfung der Bevölkerung sei dabei zentral.
Aussage vom Freitag
Seien die Risikogruppen einmal geimpft, drohe selbst bei einem starken Anstieg der Fallzahlen keine Überlastung der Intensivstationen mehr, steht in dem Papier weiter. Je höher die Durchimpfung in der Bevölkerung sei, desto mehr wirtschaftliche und persönliche Freiheiten könnten und sollten wieder erlaubt werden.
Valentin Vogt, der Präsident des Schweizerischen Arbeitgeberverbandes, hatte am Freitag gegenüber der SRF-Tagesschau gesagt: «Wenn die Risikopatienten geimpft sind, werden etwa drei Viertel der Hospitalisationen wegfallen». Das bedeute, dass man mit Fallzahlen von 20'000 bis 30'000 pro Tag leben könnte, ohne dass die Spitäler an den Anschlag kämen. Die Aussage hatte für heftige Kritik gesorgt. (sda/ali)
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SDA
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