Update folgtBlick in Zug, Bus und TramEcht jetzt – ohne Maske im ÖV?
Es herrscht die neue Freiheit, die letzten Corona-Massnahmen sind aufgehoben. Wir zeigen hier, ob die Maske bei den Menschen im öffentlichen Verkehr auch wirklich fallen.
10.00 Uhr, TGV Lyria Basel–Zürich
Ist es möglich? Am grossen Befreiungstag für Gesichter und Nasen sieht es im Zug aus wie immer. Pendler vergraben sich in Handys, Zeitungen und, ja, auch hinter der Maske. Der einzige Unterschied im Vergleich zu den letzten zwei Jahren: Der eine oder andere macht ganz entspannt auf oben ohne. Auch ich habe die Maske weggelassen und zucke nur kurz zusammen, als die Kontrolleurin erscheint, bevor ich mich erinnere: Das ist seit heute legal.
Noch gestern trafen mich, als ich maskenlos ins Tram stieg, vorwurfsvolle Blicke und missbilligendes Mustern. Heute nicht mehr. Hat die Blockwartmentalität nun endlich ausgedient?, frage ich mich. Ich hoffe es, aber schon vermeine ich etwas Neues bei den Maskierten wahrzunehmen: ein Vibe trotziger Überlegenheit. Wir sind klug, scheinen sie signalisieren zu wollen, wir schützen uns und das werden wir auch weiterhin tun! Corona ist noch lange nicht vorbei!
Gut für sie, denke ich. Hoffentlich bleiben sie gesund. Ich meinerseits geniesse jetzt das Abenteuer, in meinem TGV-Waggon einen tieeeefen Atemzug zu nehmen. Sie mag abgestanden schmecken, diese Freiheit – süss ist sie trotzdem. Michèle Binswanger
8.00 Uhr, S-Bahn S12, Dietikon–Zürich HB
Reflexartig kommt der Ärger hoch beim Anblick des ersten Mitreisenden ohne Maske. Entspann dich, das darf er jetzt. Vergiss den inneren Polizistinnen-Modus. Nun zieht der Mann nebenan eine frische FFP2-Maske aus der Jackentasche. «Jetzt erst recht», murmelt er.
Rund zwei Drittel der Fahrgäste im vollen Zug zwischen Dietikon und Zürich machen Gebrauch von der neuen Freiheit, die anderen trauen ihr noch nicht ganz. Die gestern noch durch die Masken gedämpften Töne sind nun wieder lauter. Aber die meisten schauen sowieso stumm ins Handy. Wie immer, mit oder ohne Maske. Später dann in der SZU die Durchsage: «Im öffentlichen Verkehr gilt die Maskenpflicht.» Rundum Lächeln – bei denen, die keine Maske tragen, sieht man es auch. Hélène Arnet
6.51 Uhr, S-Bahn S5, Uster–Zürich
Es beginnt schon auf dem Perron, beim Warten auf den Zug. Gestern hat hier noch fast die Hälfte vor dem Einsteigen in den Zug eine Maske getragen. Jetzt tut das um mich herum nur noch eine ältere Frau.
Auch im Inneren der S5 zeigt sich die Gestaltungsmacht des Bundesrats. In der freitagsbedingt mässig gut besetzten ersten Klasse hat nur noch etwa ein Sechstel der Passagiere das Gesicht verhüllt. Gestern waren es noch ausnahmslos alle.
In der zweiten Klasse hingegen, wo die Disziplin schon in den letzten Wochen und Monaten etwas nachgelassen hat, ist die Maskenquote jetzt plötzlich höher als in der ersten Klasse. Der Grund dafür ist offensichtlich: Diese Abteile sind deutlich besser besetzt, und die Reisenden sitzen enger aufeinander. Etwa ein Viertel schützt sich hier mit einer Maske – je besser der Wagen gefüllt ist, desto höher der Anteil.
Gesprächsthema ist die wegfallende Verhüllungspflicht kaum. Wie an anderen Morgen ist es in den Wagen eher ruhig. Iwan Städler
8.45 Uhr, Tram 9, Schmiede Wiedikon – Stauffacher, Zürich
In den Trams und Bussen im Quartier Zürich-Wiedikon haben viele Teenager und junge Erwachsene die Maskenpflicht schon vor Wochen eigenmächtig abgeschafft. An diesem Morgen, eine Stunde nach Schulanfang, ist diese Gruppe im locker gefüllten Tram Richtung Innenstadt nicht vertreten. Aber auch ohne ihren Beitrag reisen rund zwei Drittel der Passagiere maskenlos. Selbst dort, wo sie nah aufeinandersitzen.
Das andere Drittel behält die Maske auf, unabhängig von Alter, Sitzkonstellation oder Geschlecht – ein Muster ist nicht auszumachen. Höchstens eines: Alle in diesem Tram scheinen sehr bemüht, sich ruhig zu verhalten. Auch die Frau, die kurz vor dem Einsteigen noch von einem üblen Hustenreiz geschüttelt wurde. Marius Huber
7.17 Uhr, Interregio Schaffhausen–Zürich
«Die letzte Maske!», jubelte gestern eine Zugreisende, als wir am Bahnhof von Schaffhausen ankamen. Am Tag 1 ohne Maskenobligatorium ist im morgendlichen Pendelverkehr von Schaffhausen nach Zürich dann nichts viel anders als sonst: Die Unmaskierten machen etwa die Hälfte der Reisenden aus. Das hatte ich erwartet.
Aber kann es sein, dass die SBB die S-Bahn-Komposition um zusätzliche Wagen verlängert hat? Oder sind an diesem Morgen so viele, die sonst pendeln, zu Hause im Homeoffice geblieben – aus Vorsicht vor den Virus-Varianten, die nun quasi Freilauf erhalten? Der Pendelzug ist jedenfalls deutlich schwächer besetzt als zu Zeiten der Maskenpflicht.
Sicher ist auch, dass der Maskengraben nun auch durch Paarbeziehungen geht: Mir schräg gegenüber schläft eine Zugreisende mit Maske an der Schulter ihres unmaskierten Freundes. Vielleicht wird das dann mal ein Thema in Scheidungsprozessen. Ansonsten wird in der morgendlichen Aufwachzone, die der Pendelverkehr ja immer auch ist, noch ausgiebig gefrühstückt. Wie sonst auch. Nun aber ganz ohne dass man sich zwischen den Bissen und Schlucken wieder verschämt die Maske vors Gesicht zieht – wie die unmaskierte Zugreisende im Nebenabteil beweist. Hektik kommt erst auf, als ich ein Selfie von mir zu machen versuche, wofür ich gut hundert Versuche brauche. Hier das Ergebnis. Mit Maske, versteht sich. Andreas Tobler
6.36 Uhr, Kirchdorf Post – Bahnhof Wichtrach, dann S-Bahn und Bus nach Bern
Ich habe schon länger entschieden, dass ich die Maske im Bus und in der Bahn auch nach dem 1. April noch tragen werde. Zu hoch ist mir die Zahl der Corona-Ansteckungen und zu unsicher der weitere Verlauf der Pandemie. So gehe ich an diesem Morgen, an dem zum ersten Mal seit anderthalb Jahren im öffentlichen Verkehr Mund und Nase nicht mehr bedeckt sein müssen, mit einer gewissen Spannung zur Bushaltestelle in Kirchdorf, meinem Dorf zwischen Thun und Bern: Ob ich wohl der Einzige sein werde, der so denkt?
Es ist kurz nach halb sieben, als der Bus vorfährt, und ein erster Blick beruhigt mich. Ich werde nicht allein sein, zuhinterst im Fahrzeug sitzt eine Frau, die sich sogar mit einer FFP2-Maske schützt. Sonst aber scheinen alle an diesem Morgen die neue Freiheit zu nutzen und wohl auch zu geniessen. Bis gegen Ende der gut zehnminütigen Fahrt zum Bahnhof Wichtrach nochmals ein Maskenträger zusteigt, es ist – ganz entgegen dem Klischee, wonach vor allem die Jugend unter den Corona-Beschränkungen gelitten habe – ein junger Mann.
Dann aber bleiben wir Maskenträgerinnen und -träger bis zum Ende der Fahrt zu dritt, unter rund zwanzig Passagierinnen und Passagieren übrigens. Wie es wohl anschliessend in der S-Bahn sein wird? Im Zug nach Bern scheint das Tragen von Masken viel selbstverständlicher zu sein, zumindest in jenem Wagen, den ich an diesem Morgen wähle. In einem Abteil sitzen sogar ausschliesslich Maskenträgerinnen, und auch sonst wächst der Anteil der Maskenträger kontinuierlich, je näher in der folgenden Viertelstunde nun die Stadt rückt. Zuweilen bedeckt von den neu zusteigenden Pendlerinnen und Pendlern gleich die Hälfte Mund und Nase, und so halten sich am Schluss in meinem Wagen die Maskenlosen und die Maskentragenden mehr oder weniger die Waage.
Auf den letzten zehn Minuten mit dem Bus durch die Stadt zeigt sich ein ähnliches Bild wie am Anfang im Bus vom Dorf zum Bahnhof, und unvermittelt gerate ich ins Grübeln. Ob die Zugfahrerinnen und -fahrer vorsichtiger sind als die Buspassagiere? Noch bleibt die Frage für mich offen. Die nächsten Tage werden mir die Antwort wohl geben. Stephan Künzi
8.03 Uhr, Bus 80, Chaletweg – Bahnhof Oerlikon, S9 nach Zürich HB
Schon an der Bushaltestelle tragen einzelne Passagiere am Morgen kurz nach 8 Uhr eine Maske, ähnlich wie es am Tag zuvor war. Im Bus Nummer 80 zum Bahnhof Oerlikon sind es dann etwa zwei Drittel der Passagiere, die eine Maske tragen. Am Vortag waren es noch fast alle. Auffällig ist, dass verhältnismässig mehr FFP2-Masken getragen werden.
Wer den Bus betritt, schaut sich neugierig um. Es scheint, als würde Einzelne fast schon erleichtert die Maske überstreifen, weil sie bemerken, dass sie nicht die Einzigen sind mit dem Mund-Nasen-Schutz. In der S9 zum Zürcher Hauptbahnhof ergibt sich dann später ein ähnliches Bild, noch etwa die Hälfte trägt eine Maske. Und ansonsten ist alles wie immer: Kaum jemand spricht miteinander und fast alle schauen müde in ihr Smartphone. Corsin Zander
8.01 Uhr, Interregio Sissach–Zürich
Es schneit in Sissach. Die Reisenden am Bahnhof sind eingepackt in Winterkleider; die meisten halten einen Regenschirm in der Hand, manche auch noch einen Kaffeebecher. Ob jetzt noch jemand mühsam seine zerknüllte Maske aus der Jackentasche hervorkramt? Nein. Als um 8 Uhr der Zug einfährt, steigen alle ein – ohne Mundschutz. Corona – das war einmal.
Es sitzen nur wenige Fahrgäste im hintersten Zugwagen, davon tragen die allerwenigsten eine Maske. Im Zugabteil nebenan unterhalten sich zwei Frauen über ihre Kinder, die eine mit Maske, die andere ohne. Dass heute schweizweit alle noch bis anhin geltenden Corona-Massnahmen fallen und damit auch das kleine Stoffteil, unser ewiger Begleiter, scheint sie nicht zu interessieren. Es ist jedenfalls kein Thema.
Der Mann mit dem Desinfizierspray muss niesen.
«Alle Billette vorweisen, bitte!» Zwei Zugbegleiterinnen betreten den Wagen. Die eine trägt eine geblümte Maske. «Endlich sehe ich das Lächeln», sagt sie, als sie vom Abofoto auf dem Handy zum Gesicht des Gasts blickt. «Pfff, pfff, pfff …» – der Herr im hinteren Abteil desinfiziert sich kräftig die Hände.
8.31 Uhr. In Lenzburg steigen nur wenige Passagiere ein. Ein Herr mit FFP2-Maske nimmt Platz. Ein anderer hält seine in der Hand, blickt unsicher nach rechts und nach links und verzichtet dann darauf, den Mundschutz aufzusetzen. «Hatschi!» Der Mann mit dem Desinfizierspray muss niesen. Zuckt sein Nachbar nervös zusammen? Weist ihn jemand freundlich darauf hin, er möge sich doch bitte woanders hinsetzen? Keine Reaktion. Nur ein leises «Pfff, pfff, pfff». Alessandra Paone
6.12 Uhr, Tram 10, Therwil – Basel Aeschenplatz
Der junge Mann fällt auf. 17 Menschen sitzen im hinteren Teil des gelben 10er-Drämmli, das die Menschen an diesem nasskalten Morgen vom Leimental in die Stadt Basel fährt. Er ist der Einzige, der Maske trägt und gleichzeitig ein Fläschchen aus seinem Rucksack kramt und sich mit dessen Inhalt die Hände desinfiziert. Später gesellt sich zu ihm sein Kollege, die graue Kapuze tief ins Gesicht gezogen, ohne Maske. Das Gesprächsthema der beiden: Corona, die überstandene Infektion und die Vorsicht, sich noch nicht ohne Maske unter die Leute begeben zu wollen.
Dennoch ist eines während der gut 20-minütigen Tramfahrt auffallend: So schnell man sich an das Einsteigen mit Maske gewöhnt hat, so schnell wird man intus haben, dies nun nicht mehr tun zu müssen. Aber in der Region Basel sollte man dennoch immer eine Maske im Mantelsack oder in der Tasche haben: Wer die grenzüberschreitenden ÖV-Angebote nach Frankreich oder Deutschland nutzt, muss sich an die Regeln unserer Nachbarn halten – und dort gilt im öffentlichen Verkehr bis auf weiteres Maskenpflicht. Dominic Willimann
6.37 Uhr, Interregio Altdorf–Zürich
Es ist noch dunkel, als der Interregio im Altdorfer Kantonsbahnhof anhält. Rund drei Dutzend Leute steigen ein, die meisten davon Pendler. Auf dem Perron ist die Stimmung aufgehellter als sonst, obwohl es regnet, scheint die Erleichterung greifbar – endlich darf man, nach 634 Tagen Maskenpflicht, ohne Schutz ein öffentliches Verkehrsmittel besteigen. Zwei Schülerinnen witzeln, hoffentlich sei das kein schlechter 1.- Aprilscherz von diesem Berset.
Ist es nicht. Ab heute ist die Schweiz wieder im Normalbetrieb – ohne jegliche Corona-Einschränkungen. Im Zug ist es relativ ruhig wie eh und je zu dieser Tageszeit. Doch etwas ist anders: Die Gesichter sind nicht verhüllt. Man sieht wieder Nasen – und Münder, die sich bewegen und auch ein wenig preisgeben, wie sich die Leute fühlen. Und die Stimmung ist gut an diesem Morgen, es sind deutlich mehr Gespräche zu hören. «Das ist richtig geil», sagt ein junger Mann zu seinem Kollegen.
«Ich bin wirklich froh, ist diese Zeit vorbei», sagt der Kondukteur.
«Ich bin wirklich froh, ist diese Zeit vorbei», sagt der Kondukteur, angesprochen auf die Maskenpflicht. Er sei Gott sei Dank nie in schwierige Situationen gelangt. Aber was seine Arbeitskolleginnen und Arbeitskollegen ihm erzählt hätten, sei nicht immer schön gewesen. Und er äussert noch einen Wunsch: Das Virus möge sich doch so entwickeln, dass im Herbst nicht wieder eine Maskenpflicht eingeführt werden müsse. Das würde dann deutlich unangenehmer, ist er überzeugt.
«Bitte alle Billette ab Arth-Goldau vorweisen.» Wie jeden Tag sagt er nach dem Halt an diesem Eisenbahn-Knotenpunkt den gleichen Satz. Aber heute Morgen tönt es eine Nuance freundlicher als in den letzten Monaten. Vielleicht weil endlich wieder ein sichtbares Lächeln diesen Appell begleitet? Oder bin ich ob der neuen Freiheit derart euphorisiert, dass ich heute Morgen alles etwas freundlicher empfinde? Gregor Poletti
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