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Dumbphones im Trend
Smarter ohne Smartphone

Dumbphone.
Immer mehr Menschen, vor allem junge Menschen, verzichten auf ein Smartphone. 
Der Trend zum sog. Dumbphone ist viral. Daher: Kleiner auf drei, vier Treffen mit smartphonelosen (oder stark verzichtenden) Menschen basierender Essay über Handyfasten. Warum machen das die Menschen? Wie ist es so zu leben? Und haben nicht viele von uns Sehnsucht auf genau diesen entschleunigenden Verzicht? 
07.08.2024
(RAHEL ZUBER/TAGES-ANZEIGER)
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BotTalk

Der Auslöser dieser Zeilen liegt vermutlich in Ihren Händen: ein Smartphone. Ist es nicht praktisch? Es weckt uns, zeigt uns den Weg, verbindet uns mit Freundinnen, und was früher einmal im Monat «Wetten dass…?» war, findet sich nun stets auf diesen Geräten: Ablenkung. Instagram, Musik, das Wetter, Nachrichten, Filme, Geld, Fotos, die Welt. Seien wir ehrlich: Wir können uns ein Leben ohne Smartphone nicht mehr vorstellen.

Doch es gibt Menschen, die freiwillig darauf verzichten – vor allem die zwischen 1980 und 2010 Geborenen, Gen Z und Gen Y. Sie setzen vermehrt auf Handys, die nicht mit Apps und Social Media ausgestattet sind. «Dumbphones» werden diese genannt, dumme Telefone.

Auch auf der Mailänder Modemesse fielen sie auf, junge Menschen, die Nokia-Geräte aus ihren Hosen zogen, die aus den 90ern zu stammen schienen. «Langweilige Geräte sind jetzt cool», schrieb der «Guardian» dazu. Der «New Yorker» hat derweil herausgefunden, dass Dumbwireless, ein amerikanischer Händler für Dumbphones, die Umsätze mit diesen Geräten innert eines Jahres verzehnfacht hat. Auch Schweizer Händler berichten von steigenden Zahlen.

Warum verzichten Menschen auf ein Smartphone? Und was sagt das über sie – und uns?

Nurit, 32

Zürich, Bellevue, dort wartet die Schauspielerin Nurit, die ihren Nachnamen nicht nennen möchte. Freunde sagen über sie, sie habe eine spezielle Handy-Philosophie.

Nurit, die in zahlreichen deutschen Krimis zu sehen war, drückt einem im Bellevueplatz-Café ein Nokia 225 in die Hand, ihr Handy. Es lässt einen an das 90ies-Spiel Snake denken. Zuvor hatte man versucht, ihr den eigenen Standort auf ihr Handy zu senden. Ihr Provider antwortete: nicht möglich. Die Fläche vor dem Opernhaus ist gross. Aber auch ohne solche verzichtbaren Nachrichten finden wir Menschen uns eigentlich.

Dieser Eindruck passt zu dem, was in der «New York Times» eine Professorin sagt, die zum Handykonsum forscht: Dieser sei oft gedankenlos. Ein sonst hoch konzentrierter Mensch kann bei seinem Handy ein fahriger «App to App»-Surfer sein – und oft versenden wir eben an Freunde, Bekannte, Partner unnötige Wohlstands-Kurznachrichten.

Seit zwei Jahren benutzt Nurit das alte Nokia anstelle eines Smartphones – nur Anrufe und SMS. Warum?

Kann nicht viel, schenkt aber Ruhe: Das Handy der Schauspielerin Nurit.

«Das ständige Interagierenmüssen machte mich wahnsinnig», antwortet Nurit. Und: «Mich stresste, dass alle es für selbstverständlich hielten, dass ich verfügbar war.» Die Schauspielerin hat noch ihr altes Smartphone, doch ohne SIM-Karte. Sie benutzt es spärlich, um ihre Arbeitsmails zu checken, und das ist nur möglich an Orten mit WLAN. Instagram, Whatsapp, andere Apps – hat Nurit nicht.

Bevor sie aufs Nokia umstieg, stellte sie fest, dass die Mitteilungen, die ihr Smartphone abfeuerte, sie nicht nur nervten, sondern auch ihren «Suchtnerv» bedienten. Sie brauchte immer mehr davon, wie früher beim Rauchen. Dieser Eindruck Nurits passt zu allerlei Studien, die Algorithmen als den Suchtstoff beschreiben, der uns im Netz bleiben lässt, weil sie uns stets neue Inhalte anzeigen, die auf unserem bisherigen Suchverhalten basieren.

 «Mein Körper reagiert mega drauf», sagt Nurit, und dass ein Smartphone ihren Geist und ihren Körper anspanne.

Während Nurit spricht, fällt ihre flatterige Art auf. Bewegt sich etwas im Café, bewegt sich auch Nurit. Sie habe ADHS, sagt sie. Jede zusätzliche Ablenkung vom einfachen Leben – das ist ein Smartphone – ist Gift für ihre Nerven. Ihr Smartphonefasten sei kein Statement, sondern sie tue es ihrer mentalen Gesundheit zuliebe. «Ich bin durch das Smartphone depressiv geworden und daher aufs Handy umgestiegen», sagt sie.

Am liebsten würde sie ganz aussteigen. Kein Handy bedeutet für sie mehr Ruhe, innen wie aussen. Sie ahnt aber, dass das nicht möglich ist. Wir sind abhängig davon, verdrahtet zu sein, 93 Prozent aller Schweizerinnen und Schweizer nutzen ein Handy.

Wir sind abhängig von unseren Smartphones

Nurits Verzicht hat auch Nachteile, auf manche Geburtstage wird sie nicht eingeladen, da sie nicht in den Whatsapp-Chats ist. SMS zu schreiben, scheuen sich viele: Extraaufwand und -kosten. Häufig wird Nurit vergessen.

Doch vor allem beruflich wirkt sich ihre Philosophie negativ aus: Bei Filmdrehs bräuchte sie, im Gegensatz zu ihren Kolleginnen, einen ausgedruckten Drehplan – auch ein Instagram-Account, den Nurit ablehnt, ist Pflicht für Schauspielerinnen, hierüber verkaufen sie ihre Arbeit, sich. Zu alldem sagt Nurit – ihr Vater Schauspieler, ihre Mutter Filmcasterin – nur ein Wort, immer wieder: «Horror.»

Derzeit sei sie arbeitslos, warte auf das nächste Angebot. In Wochen wie diesen ist ihre anachronistisch wirkende Philosophie für sie schwer auszuhalten.

Gleichzeitig beobachte sie nämlich, wie dauerdigitale Influencerinnen Schauspielerinnen Jobs wegschnappten. «Du musst dich verkaufen», solche Sätze sagen Schauspielagenturen. «Instagram – ich hoffe, ich komme irgendwie drumherum», sagt dagegen Nurit. Sie träumt vom komplett Analogen: «Bruno Ganz hat auch auf einem Berg gelebt – und es hat geklappt.» 

Klappt das? Viele von uns gehen mit gesenktem Kopf durch das Leben, beantworten Mails, reagieren auf Nachrichten, lesen News auf unseren Smartphones – und dann beschweren wir uns über HWS-Störungen, Diagnose Handynacken. Unsere Telefone zeigen oft Tausende von ungelesenen Mails an, sie sind wie ihre Nutzer überlastet. 20 Stunden die Woche nutzen wir im Schnitt unser Handy, nicht wenige von uns weit mehr. Das Smartphone ist für viele von uns die Verlängerung des Geists geworden, ohne das Gerät verlassen wir das Haus nicht. Vergessen wir es doch, fehlt uns was.

Manche von uns stellen ihr Handy öfter in den Ruhemodus, Anrufe dringen genauso wenig in unsere Welt durch wie Nachrichten – wir schützen uns selbst, mithilfe der Technik.

Unangekündigte Anrufe zu bekommen, stört jüngere Menschen oft. Telefonangst nennen wir das. Nurit dagegen ruft so selbstverständlich an, wie wir früher bei unseren Freunden an die Tür geklopft haben. 

Sie hat 30 Kontakte auf ihrem Handy, der Autor dieser Zeilen 1712 auf seinem iPhone, zwei unterschiedliche digitale Welten. Wir aus der iPhone-Welt haben schon oft daran gedacht, das Smartphone aufzugeben. In der Hoffnung, weniger Stress im Leben zu haben. Aber ist das möglich? 

Filip, 31

Nurits altes Nokia ist Filips früheres Handy. In unserer Redaktion erzählt Journalist Filip von seiner früheren Smartphonenutzung: Er wachte auf, ging mit einem Kaffee auf den Balkon, checkte News, Mails und Insta, aber bemerkte, «das stresst mich mega», und steckte sein Smartphone wieder zurück in die Hosentasche. Eine halbe Minute später hatte er es, ungewollt, wieder in der Hand. Auch Filip schiebt das auf die Algorithmen.

Dumbphone.
Immer mehr Menschen, vor allem junge Menschen, verzichten auf ein Smartphone. 
Der Trend zum sog. Dumbphone ist viral. Daher: Kleiner auf drei, vier Treffen mit smartphonelosen (oder stark verzichtenden) Menschen basierender Essay über Handyfasten. Warum machen das die Menschen? Wie ist es so zu leben? Und haben nicht viele von uns Sehnsucht auf genau diesen entschleunigenden Verzicht? 
07.08.2024
(RAHEL ZUBER/TAGES-ANZEIGER)

Er sei aufgrund seines Konsums früher oft in ein stundenlanges Zeitloch gefallen, auf Youtube und Instagram hängen geblieben. «Das Zeug ist dazu designt, süchtig zu machen», sagt er. «Ich fühlte mich schlecht, machte aber trotzdem weiter.» Kennen wir diesen Moment nicht auch?

Filip war auf dem Weg, ein Smartphone-Zombie zu werden. Zu so einem, wie er sie heute immer im Tram beobachtet; keiner guckt raus, alle nach unten in ihre digitalen Fenster. Ab und an befällt ihn sogar «Ekel, dass das jetzt unsere Realität ist – und bleiben wird».

Sind wir algorithmenabhängig?

Filips Abkehr vom Smartphone kam schleichend, nach und nach fühlte er sich gestresster, auch weil Corona dazu beitrug, dass unsere Welt immer digitaler wurde. Filips Eindruck deckt sich mit den Erkenntnissen von Experten.

Auf seinem Nokia 3310 kann Filip kaum surfen. Online ist er meist nur bei der Arbeit. In der Zeit, die früher sein Smartphone schluckte, lässt Filip nun seine Gedanken schweifen, guckt aus dem Zug, Leute und Landschaft an. Abends liest er vierzig Seiten in einem Buch, zum Einschlafen. Klingt simpel – und ist es eigentlich auch.

Dumbphone.
Immer mehr Menschen, vor allem junge Menschen, verzichten auf ein Smartphone. 
Der Trend zum sog. Dumbphone ist viral. Daher: Kleiner auf drei, vier Treffen mit smartphonelosen (oder stark verzichtenden) Menschen basierender Essay über Handyfasten. Warum machen das die Menschen? Wie ist es so zu leben? Und haben nicht viele von uns Sehnsucht auf genau diesen entschleunigenden Verzicht? 
07.08.2024
(RAHEL ZUBER/TAGES-ANZEIGER)

Eigentlich. Hatten nicht viele von uns diese lieb gewonnene Angewohnheit früher auch, aber das Smartphone verdrängte sie aus unseren Betten? Gleichzeitig ist unsere Selbstdisziplin noch nicht stark genug, wieder zu ihr zurückzukehren. Sind wir algorithmenabhängig?

Er habe an Lebensqualität gewonnen, sagt Filip. Bei manchen seiner Mitmenschen aber steigt der Puls: Seine Freundin stresst seine Philosophie, hat das Gefühl, ihr Freund sei kaum erreichbar. Freunde seien genervt, dass sie ihm keine Fotos senden könnten – und Leute, die er neu kennen lernt, reagieren mit Unverständnis. Sie sagen: «Das ist doch extrem.» Und: «Was soll das?»

Filip glaubt, sie seien vor den Kopf gestossen, weil er ihren Lebensstil infrage stelle und sie durch ihn merkten, dass sie sich selbst nicht disziplinieren könnten.

Es ist ein Privileg, auf ein Smartphone verzichten zu können. Filip meint, eigentlich gehöre es ja als Journalist zum guten Ton, «mega informiert» zu sein. Er könne sich das aber erlauben, weil er keine Führungsposition innehabe.

Lucien, 35

Ähnlich war das lange bei Lucien, einem Künstler; seinen Nachnamen will auch er nicht hier lesen. Solange es sein Geldjob – er arbeitet als Berater in einem digitalen Casino – zuliess, verzichtete er auf ein Smartphone. Nun nutzt er es wider Willen und sehr spärlich – und er möchte zu seinem alten Nokia, ohne Internet, zurück.

Seine Erzählung ähnelt der von Filip. Viele hätten seinen Verzicht für eine politische Aktion gehalten. Er verneinte dann genervt, stellte aber eine interessante Frage: Ist es nicht auch politisch, ein Smartphone zu nutzen, weil man signalisiert, dauerhaft verfügbar zu sein?

Er würde es gern wieder einsetzen – das alte Nokia des Künstlers Lucien.

Hat er damit nicht einen Punkt? Für all die Menschen, die in diesem Text vorkommen, steht bei der Handynutzung der mentale Aspekt im Vordergrund: Sie schonen Körper und Geist. Oft lässt der Job einen Verzicht nicht zu, fordert – siehe Nurit – sogar das Gegenteil.

Warum eigentlich? Filip sagt, er sei seit seiner Smartphone-Abkehr produktiver. Die anderen denken ähnlich.

Beeinträchtigt ein Smartphone die innere Gelassenheit?

Dennoch hat ihr Verzicht eine egoistische Seite. Menschen ohne Smartphone müssen extra eingeladen werden, in Whatsapp-Gruppen tauchen sie nicht auf, bei digitalen Planungen von Ferien oder Feiern fallen sie durchs Raster. Eine andere Smartphone-Fasterin fragt einen Kollegen im Büro täglich, ob sie sich mithilfe seines Geräts beim Sicherheitscheck ihres Arbeitscomputers einloggen könne. Und ist man mit diesen Menschen unterwegs, ist der Satz «Hey, kannst du mal schnell was nachschauen?» ein Standard. Sie lagern aus.

Kaum jemand hat keine Meinung zu ihnen. Aber ist ihr Lebensentwurf nicht auch spannend? Bald soll – Filip interessiert sich stark dafür – ein neues Gerät auf den Markt kommen, das Lightphone III, ein Dumbphone mit einem schwarz-weissen Bildschirm. Ein Telefon, das den Nutzerinnen und Nutzern laut Hersteller dabei helfen soll, «die bewussteste Version ihrer selbst» zu werden; «ein Werkzeug für ein besseres Leben» sei es. Trotz des peinlich achtsamen Marketings – auch für Ihr, mein, unser Leben?

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Ist die Einschätzung von Filip, dass man einen Preis für die mit einem Smartphone einhergehende Bequemlichkeit zahlt und die Nutzung auf Kosten der inneren Gelassenheit geht, denn nicht richtig? Träumen viele von uns nicht davon, vor dem Schlafengehen wieder einmal in ein Buch anstatt in ein iPhone eintauchen zu können? Apropos: Der Autor dieser Zeilen fragte einmal den leider zu früh verstorbenen Schriftsteller Roger Willemsen für ein Interview an, Fragen wie Antworten sollten nach und nach per SMS kommen. Er wäre dabei, erwiderte Willemsen: «Aber ich besitze kein Handy und deshalb auch keinen Zugang zur SMS-Form.» Roger Willemsen galt als Intellektueller oder, anders gesagt, als äusserst smart.

Früher dachte der Autor über seine Freundin: «Jetzt hängt sie abends schon wieder am Handy rum», während er in einem Buch liest. Heute ist er selbst einer von diesen Smartphone-Zombies.