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Menschen in der Ukraine erzählen
«Du kannst dich zum Pizzaessen verabreden und sterben» 

13 Personen wurden bei einem russischen Angriff auf eine beliebte Pizzeria in Kramatorsk getötet. Eine Frau legt bei dem Restaurant Blumen nieder.

Es hätte ein gemütliches Abendessen mit Freunden werden sollen. Das Restaurant war voll mit Leuten, die den Sommerabend genossen, Pizza assen und Cocktails tranken. «Doch dann hörten wir plötzlich eine sehr laute Explosion. Und kurz darauf war alles wie in einem Horrorfilm», sagt Lila Trochimez.

Die 27-jährige Ukrainerin überlebte vergangene Woche den russischen Angriff auf eine beliebte Pizzeria in Kramatorsk. Bei dem Angriff starben mindestens 13 Personen, darunter vier Kinder, es gab über 60 Verletzte. (Hier finden Sie alle News zum Ukraine-Krieg)

Sie hätten keine Chance gehabt, um zu reagieren, beschreibt Trochimez im Gespräch mit dieser Redaktion die Situation, als die Rakete einschlug. «Ich sass mit meinem Bruder und einem Freund im Aussenbereich der Pizzeria und war in ein Gespräch vertieft, als wir die Explosion hörten. Und bevor wir realisieren konnten, was passiert ist, lagen wir bereits am Boden unter den Tischen.» Danach habe sie als Erstes ihren Bruder und ihren Freund gesucht: «Wir realisierten, dass wir am Leben sind und keine schweren Verletzungen haben. Und dann fingen wir an, uns um Verletzte zu kümmern.»

Die Szene im Restaurant sei chaotisch gewesen, sagt Trochimez: «Alles rund um uns war zerstört, die Tische, die Stühle. Überall lagen verletzte Personen. Es strömten viele Zivilisten herbei, doch viele waren sehr panisch.» Kurz darauf trafen Soldaten und medizinisches Personal ein, die mit der Erstversorgung der Verletzten begannen.

Die Pizzeria wurde bei dem Angriff beinahe vollständig zerstört. 

Bei dem Angriff starb die bekannte ukrainische Schriftstellerin Wiktorija Amelina. Trochimez sass kurz vor dem Angriff am Tisch neben Amelina, wie auch Videoaufnahmen zeigen: «Etwa 30 Minuten bevor die Rakete einschlug, sprachen wir zusammen. Wir unterhielten uns über mögliche Projekte und Zusammenarbeiten. Wir führten ein ganz normales Gespräch. Und kurz darauf war sie schwer am Kopf verletzt und bewusstlos.» Ihr Bruder habe ihr Erste Hilfe geleistet, danach wurde Amelina ins Spital eingeliefert, wo sie am 1. Juli ihren Verletzungen erlag.

Es sei eine Realität, mit der sie lebten: «Du kannst dich zum Pizzaessen verabreden und dabei sterben.» Dass jeder Moment in der Ukraine tödlich enden könne, realisiere man im Alltag nicht, sagt Trochimez: «Man versteht zwar, dass es in der Ukraine keinen einzigen sicheren Ort gibt. Die russischen Raketen können dich immer und überall treffen. Aber das Hirn kann nicht ständig daran denken, dass man in grosser Gefahr ist, sonst dreht man durch.» Trochimez lebt in Kiew, hört dort regelmässig Raketen einschlagen und kann wegen Bombenalarmen nicht schlafen: «Trotzdem gehen wir unserem Alltag nach. Wir haben keine andere Option.»

Lila Trochimez kommt aus Kiew und leistet in Kramatorsk und anderen Teilen der Ukraine Freiwilligenarbeit.

Dass sie vergangenen Dienstag nur knapp am Tod vorbeigeschrammt ist, realisiert sie noch nicht: «Es ist schwer, zu verstehen, wieso ein anderes Land mich tot sehen möchte. Ich muss das Erlebte nun erst mal in Ruhe verarbeiten.» 

Er feierte, als die Rakete einschlug

Auch Mack hat die Attacke im Restaurant überlebt. Da er sich nicht in den Medien exponieren möchte, äussert er sich nur mit Vornamen. Der gebürtige Australier ist seit einem Monat in der Ukraine und leistet Freiwilligenarbeit an der Front. Auch er war mit Freunden zum Pizzaessen verabredet, feierte den Geburtstag eines Freundes, als die Rakete einschlug.

«Wir sassen auf der Terrasse, als ich zuerst ein lautes Geräusch und dann eine starke Druckwelle und einen Feuerball wahrnahm», sagt Mack im Gespräch. An die genauen Umstände kann er sich nicht mehr erinnern, nur, dass er kurz danach auf dem Boden lag und sich unter einem Tisch versteckte. «Es dauerte einige Sekunden, bis ich realisierte, was vor sich ging. Dann habe ich nachgesehen, ob ich verletzt bin. Wie durch ein Wunder hatte ich keine äusseren Verletzungen.»

«Es war eine traumatische Erfahrung. Aber im Vergleich zu anderen hatte ich grosses Glück.»

Mack, Überlebender

Obwohl er unter Schock stand, konnte er sich zusammenreissen und anderen Personen helfen. «Es war wahnsinnig chaotisch. Die ganze Decke ist zusammengebrochen, überall schauten Stromkabel heraus, und man musste geduckt gehen. Die Situation war sehr gefährlich.» Er habe angefangen, Trümmer wegzuräumen, damit die Rettungskräfte zu den Verletzten gelangen konnten: «Es war eine traumatische Erfahrung. Aber im Vergleich zu anderen hatte ich grosses Glück.» (Lesen Sie unsere Analyse zur Gegenoffensive: Kiew braucht militärische Erfolge, sonst verliert die Bevölkerung den Glauben)

Als genügend Rettungskräfte vor Ort waren, ging auch Mack ins Spital, um sich untersuchen zu lassen. «Es war sehr hektisch, überall rannten Leute herum, und auf den Korridoren lagen verletzte Personen.» Auf Tragen wurden viele Verletzte gebracht, einige habe er aus der Pizzeria wiedererkannt. «Wir konnten alle immer noch nicht realisieren, was passierte. Auch der Kellner, der uns kurz zuvor noch bedient hatte, war im Spital. Er scherzte, dass wir die Rechnung noch nicht bezahlt hätten.» 

Der Vorfall habe alles für ihn verändert: «Ich fühle mich nicht mehr sicher, schrecke bei jedem lauten Geräusch zusammen. Es wird noch lange dauern, bis ich und alle anderen Betroffenen das verarbeiten können.» Bei seinen Freiwilligeneinsätzen an der Front habe er sich auch schon in gefährlichen Situationen befunden, doch noch nie war sein Leben so direkt bedroht wie an jenem Abend in der Pizzeria.

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Die Unschuld der betroffenen Zivilisten und Zivilistinnen schockiere ihn am meisten: «In dieser Pizzeria gingen keine militärischen Aktivitäten vor.» Es sei nichts Illegales passiert und niemandem sei Unterschlupf gewährt worden. «Es war ein Abend in einem schönen Restaurant. Ein solcher Ort darf kein militärisches Ziel sein.»