Strafprozess im Fall Mike Ben PeterDrückten die Polizisten auf den Brustkorb des Festgenommenen – oder nicht?
Die Staatsanwaltschaft habe den Tod von Mike Ben Peter schlampig untersucht, kritisiert der Anwalt der Opferfamilie vor Gericht. Die Staatsanwaltschaft kontert.
Wie haben sechs Lausanner Stadtpolizisten den 39-jährigen Mike Ben Peter in der Nacht vom 28. Februar 2018 «neutralisiert»? Drückten sie auf seinen Bauch und seinen Brustkorb mit den Knien auf den Boden, als er längst Handschellen trug? Oder knieten sie neben seinem Körper, fassten ihn an Schultern und Beinen?
Das sind zentrale Fragen, auf die es im Strafprozess gegen die Polizisten nach wie vor keine widerspruchsfreien Antworten gibt. Fakt ist: Mike Ben Peter erlitt beim Polizeieinsatz einen Herzstillstand. Trotz Reanimation starb er im Universitätsspital. Die Polizisten hatten ihn zuvor mit Pfefferspray besprüht, mit Knien in die Rippen und in die Genitalien geschlagen und legten ihm, einmal in Bauchlage auf die Strasse gezwungen, Handschellen an. Als Mike Ben Peter bereits das Bewusstsein verloren hatte, fanden sie in seinem Mund Kokainkügelchen. Gerichtsmediziner stellten in dessen Leichnam jedoch kein Kokain fest.
Polizist warnte Kollegen
Seit Montag sitzen die sechs Beamten wegen fahrlässiger Tötung vor dem Lausanner Bezirksgericht. Alle dementierten, dass sie Druck auf Mike Ben Peters Thorax ausübten, nachdem sie diesen in Bauchlage auf die Strasse gebracht und ihm Handschellen angelegt hatten. Man habe ihn fixiert gehalten, weil er sich selbst in Handschellen immer noch zur Wehr gesetzt habe, sagten sämtliche Polizisten. Gemäss ihren Aussagen fasste ihn einer an den Beinen, ein anderer am Bizeps eines Oberarms und ein weiterer an einer Schulter. Sämtliche Polizisten gaben an, sie hätten sich an der Seite des Körpers befunden. Niemand will auf den Rücken gedrückt haben, und falls doch, nur sehr kurz. Offen ist, wie viele Minuten Mike Ben Peter in Bauchlage war.
Die Strafuntersuchung hat fünf Jahre gedauert.
Gemäss der Anklageschrift warnte ein Beamter während der Aktion davor, dass jemand in Bauchlage ersticken könnte, wenn man Druck auf den Nacken oder den Brustkorb ausübt. Der betreffende Polizist sagte: «Ich habe die Warnung ausgesprochen, aber nicht, weil jemand auf Mike Ben Peters Rücken drückte, sondern präventiv, damit genau dies nicht geschieht.»
Als Zivilkläger im Gerichtssaal sitzen auch die Ehefrau und ein Bruder von Mike Ben Peter. Die Familie lässt sich von Anwalt Simon Ntah vertreten. Dieser kritisierte die Waadtländer Staatsanwaltschaft für ihr Strafverfahren gegen die Polizisten scharf und stellte die Konformität mit der Schweizer Verfassung und der Europäischen Menschenrechtskonvention infrage. Die Angeklagten seien im März 2018 zweimal einvernommen und seither nie mehr angehört worden, monierte Ntah. Die Strafuntersuchung habe trotzdem fünf Jahre gedauert.
Nachbarinnen hörten «zerreissende Schreie»
Während Ärzte im Unispital versuchten, das Leben von Mike Ben Peter zu retten, seien die Polizisten zum Polizeihauptquartier zurückgekehrt und hätten sich dort stundenlang über das Geschehen austauschen und absprechen können. «Die Polizisten sind erst am kommenden Morgen einvernommen worden, dabei war klar, dass eine Verdunkelungsgefahr bestand», so Simon Ntah. Später habe die Staatsanwaltschaft grösste Mühe gehabt, Zeuginnen und Zeugen zu finden, obschon es Anwohner gab, die die Polizeiaktion beobachtet hatten.
Die Zeuginnen hätten von «zerreissenden Schreien» gesprochen, seien von einem «Racheakt» ausgegangen und hätten Mike Ben Peter mitnichten um sich schlagen sehen. Vor Gericht verlangte Simon Ntah vergeblich, dass das Gericht die Zeuginnen anhört. Es war nicht seine erste Niederlage. Der Anwalt sagte im Gerichtssaal, man habe ihm während der Strafuntersuchung signalisiert, das Strafverfahren einzustellen. So weit kam es in der Folge aber nicht.
Am Ende übernahm der stellvertretende Generalstaatsanwalt Laurent Maye den Fall. Dieser wies die Vorwürfe von Anwalt Ntah kategorisch zurück und warf ihm wiederum vor, «einen Prozess nach amerikanischem Vorbild» machen zu wollen. An der Qualität der Strafuntersuchung gebe es nichts auszusetzen, so Laurent Maye.
Weil die Staatsanwaltschaft die Polizisten «lediglich» der fahrlässigen Tötung bezichtigt, forderte Simon Ntah vor Gericht, die Anklage auf vorsätzliche Tötung zu verschärfen. Das Gericht lehnte diesen Antrag aber ab. Das Gericht dürfte sein Urteil am Mittwoch, dem 21. Juni, bekannt geben.
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