US-Forscher im Interview «Drogen können die Welt retten»
Rick Doblin glaubt, dass MDMA und LSD Millionen von Menschen helfen können. «Um globale Probleme anzugehen, muss die Psyche der Massen verbessert werden», sagt er.
Herr Doblin, Sie prognostizieren, dass im Jahr 2070 die Welt von einer spirituellen Gesellschaft geprägt sein wird. Auch dank der Droge MDMA, besser bekannt als Partydroge Ecstasy. Sie glauben nicht ernsthaft an diese Utopie, oder?
Doch, ich halte das für eine Möglichkeit. Wenn Millionen von Menschen daran teilhaben, kann MDMA zur Rettung der Welt beitragen.
Das klingt – um es mal höflich zu formulieren – hippieesk.
Mag sein. Ich habe übrigens kein Problem damit, mich als Hippie zu bezeichnen. Das ist für mich ein positiv besetzter Begriff. Aber ich stütze mich auch auf meine empirischen Erfahrungen als Wissenschafter. Und nach über 30 Jahren Forschung kann ich mit Sicherheit sagen: LSD, MDMA oder das in Pilzen vorzufindende Psilocybin haben – wenn sie im therapeutischen Kontext eingesetzt werden – ein enormes Heilungspotenzial. Diese Stoffe sind ein schnell wirkendes Mittel und können Millionen von Menschen helfen.
Wie soll das gehen?
Millionen von Menschen sehen die Welt durch einen Filter ihrer eigenen Traumata. Um grundlegende Veränderungen herbeizuführen, müssen wir die Mass Mental Health, also die psychische Gesundheit der Massen, verbessern und eine spirituelle Menschheit aufbauen. Drogen werden seit Tausenden von Jahren eingesetzt, um unser Dasein besser zu verstehen. Wir sind alle Teil von etwas Grösserem und miteinander verbunden.
«Es geht um den Kontext, in dem Drogen eingenommen werden.»
Und dafür müssen Millionen von Menschen Drogen nehmen?
Ja, aber es geht nicht einfach nur um die Einnahme von Drogen. Es geht vielmehr um den Kontext, in dem sie eingenommen werden. Psychedelika sind nur Werkzeuge. Und um es klar zu sagen: Drogen sind nur eine Möglichkeit. Jeder Mensch ist anders und sollte in der Lage sein, individuell zu handeln. Kennen Sie die Maslowsche Bedürfnishierarchie?
Ja. Das Konzept zeigt in einem Pyramidenmodell die Bedürfnisse eines Menschen auf.
Korrekt. Aber wussten Sie, dass Abraham Maslow kurz vor seinem Tod 1970 die Pyramide erweitert hat?
Nein.
Die meisten Menschen lernen, dass die Spitze der Pyramide die Selbstverwirklichung ist. Maslow fügte jedoch die Selbsttranszendenz hinzu. Er verstand, dass wir im Grunde alle miteinander verbunden sind.
Das bedeutet?
Um gesund zu sein, mental und körperlich, müssen wir auch die Dimension, die über das eigene Ich hinausgeht, beachten. Und ich bin überzeugt, dass Psychedelika uns dabei helfen können. Und zwar schneller als viele andere Ansätze.
«Die Verabreichung von MDMA hat einen positiven Einfluss aufs Gehirn.»
Sie haben traumatisierten Kriegsveteranen unter strengen Auflagen MDMA verabreicht – und erstaunliche Resultate erzielt. Die Studie wurde 2021 im renommierten Magazin «Science» veröffentlicht…
… und später gar zu den wichtigsten Studien des Jahres gezählt.
Was waren die Schlüsselerkenntnisse?
Drei Punkte. Erstens: Die Teilnehmerinnen und Teilnehmer bleiben in der Therapie. In unserer zweiten Phase-3-Studie, die im September 2023 in «Nature Medicine» veröffentlicht wurde, brachen weniger als zwei Prozent die Studie ab. Dies ist erstaunlich, wenn man es zum Beispiel mit einer Studie der Veterans Administration vergleicht. In kognitiven Verarbeitungstherapien stieg die Hälfte vorzeitig aus.
Zweitens?
Die Verabreichung von MDMA hat einen positiven Einfluss auf die Neuroplastizität, das heisst auf die Fähigkeit des Gehirns, seine Struktur und seine Funktionen zu verändern. So können Erfahrungen aus MDMA-unterstützten Therapiesitzungen in langfristige Veränderungen integriert werden.
Und drittens?
Vor allem bei Menschen mit schweren Traumata ist die Therapie sehr hilfreich.
«90 Prozent wollen die Dosis erhöhen.»
Wie läuft so eine Session ab?
Die Patienten kommen gegen neun Uhr morgens an und werden von uns durchgecheckt: Blutdruck, Herzfrequenz, Temperatur und so weiter. Diese Menschen haben bereits vorbereitende Sitzungen hinter sich. In der ersten Session verabreichen wir 80 Milligramm MDMA. Nach zwei Stunden können die Probanden selbst entscheiden, ob sie weitere 40 Milligramm nehmen wollen. In der zweiten Sitzung, etwa einen Monat später, können die Probanden entscheiden, ob sie die gleiche Dosis beibehalten oder auf eine höhere Dosis von 120 Milligramm wechseln, gefolgt von 60 Milligramm etwa zwei Stunden später. Auch bei der dritten Sitzung kann man zwischen verschiedenen Dosen wählen.
Wie entscheiden sie sich?
Etwa 90 Prozent wollen die Dosis in der zweiten und der dritten Sitzung erhöhen.
Was machen die begleitenden Fachpersonen?
Wir haben in der Regel eine weibliche und eine männliche Fachperson. Wir gehen mit den Personen keinen Fragenkatalog durch. Wir beobachten vielmehr und lassen das, was hervorkommt, einfach zu. Da kommen ganz erstaunliche Dinge hervor.
«Und plötzlich sprach er von einem gelähmten Arm während der Session.»
Zum Beispiel?
Damals, als MDMA legal war, begleitete ich einen deutschen Arzt. Während der Session berichtete er plötzlich von einem gelähmten Arm. Er geriet in Panik und wollte, dass wir ihn in die Notaufnahme bringen. Es gelang uns, ihn zu beruhigen und ihm zu erklären, dass es sich um eine psychosomatische Reaktion handelte. Es stellte sich heraus, dass sein Vater an den lebenserhaltenden Maschinen hing und seine Mutter und seine Geschwister beschlossen, dass es das Beste sei, die Maschinen abzuschalten. Als Arzt war es an ihm, die Dokumente zu unterschreiben. Er erzählte, dass er seinen Vater gehasst habe und ein Teil von ihm gedacht habe, dass er seinen Vater getötet habe.
Dieser innere Konflikt schlug sich in einem gelähmten Arm nieder.
Ja. Er erkannte aber in der Session, dass auch seine Mutter und seine Geschwister der Meinung waren, dass die lebenserhaltenden Massnahmen beendet werden sollten. Seine subjektiv empfundene Schuld verschwand, das Gefühl kehrte in seinen Arm zurück.
Er hat offenbar ein tief sitzendes Trauma erkannt. Das ist auch ohne Drogen zu schaffen.
Selbstverständlich. Ich habe nie etwas anderes behauptet. Aber es gibt eben viele Menschen, die das Innere nicht einfach so hervorholen können. Und es gibt Menschen, die wirklich leiden und nicht mehr weiterwissen, Kriegsveteranen, zum Beispiel. Ich kann Ihnen sagen, dass gerade unter diesen Menschen nicht gerade Typen sind, die man als Hippies bezeichnen würde. Da sind knallharte Republikaner dabei, die eigentlich komplett gegen Drogen sind.
Sie nehmen zum ersten Mal MDMA und werden bekehrt.
Das ist mir zu religiös konnotiert. Diese Menschen realisieren, dass sie ein hilfreiches Werkzeug erhalten haben.
Was ist der Haken an dem Ganzen?
Sicher, übermässiger Konsum ist nicht gut. Aber wir haben keine Hinweise gefunden, dass Menschen in unseren Studien süchtig oder abhängig von MDMA wurden. Die Nebenwirkungen sind vorübergehend und gering. Auch die Theorie, dass die Substanz Neurotoxizität und Hirnschäden verursacht, konnten wir nicht belegen. Wir setzen MDMA nur im Rahmen einer Therapie ein.
«Die Legalisierung wäre ein starkes Signal an die Welt.»
Die USA, lange im «Krieg gegen Drogen», wandelt sich. Cannabis ist in vielen Staaten bereits legal. Ist die Akzeptanz für Ihre Arbeit dadurch gestiegen?
Ja. Die Dämonisierung von Psychedelika und Cannabis ist viel weniger geworden – zum Glück. Unser Institut Maps sammelt seit 1992 wissenschaftliche Daten, wir haben die dritte und letzte Testphase abgeschlossen und sind dabei, alle Ergebnisse bei der FDA einzureichen. Jetzt muss die Arzneimittelbehörde einen Entscheid fällen. Wir erwarten diesen für nächsten Juni oder Juli.
Was würde eine Zulassung der FDA bedeuten?
Dies würde bedeuten, dass die MDMA-unterstützte Therapie von ausgebildeten Therapeuten auf Rezept erhältlich wäre. Die Legalisierung durch die FDA wäre ein starkes Signal an die Welt. Israel, Kanada oder Grossbritannien beobachten genau, wie die amerikanischen Behörden und die Europäische Arzneimittelagentur (EMA) entscheiden.
Die Schweiz soll führend sein in diesem Bereich. Stimmt das?
Ja, ihr seid uns Amerikanern weit voraus. Die Arbeiten der Universitäten von Basel oder auch Zürich sind stark. Gerade mit LSD gibt es sehr fundierte Arbeiten.
Wir haben es ja auch erfunden!
Genau. Der Basler Albert Hofmann hat LSD entdeckt. Für Wissenschafter wie mich ein Vorbild.
Warum?
Hofmann hat sehr genau gearbeitet und eine undogmatische, wissenschaftliche Haltung zu Drogen vertreten. Aber er war gleichzeitig auch sehr spirituell.
«Es ist normal, Angst vor Kontrollverlust zu haben.»
Sie haben zum Thema 2001 an der Harvarduniversität eine Dissertation verfasst. Mit 48 Jahren. Wie sehr mussten Sie die Eliteuni von Ihrem Thema überzeugen?
Ich kann sehr überzeugend sein. Denn die Daten sind überzeugend.
Meine Mutter hat noch nie MDMA oder Ähnliches genommen. Wie wollen Sie jemanden wie sie von einem Trip überzeugen?
Es ist normal, Angst vor Kontrollverlust zu haben. Aber um gesund zu bleiben, sollten wir uns unserem inneren Selbst stellen. Der einfachste und sicherste Weg, dies zu tun, ist die Einnahme dieser Substanzen in einem kontrollierten Umfeld.
Was können Sie eigentlich von Ihren eigenen Trips erzählen?
Sie haben mein Leben zutiefst bereichert und inspiriert. Das letzte halbe Jahrhundert meines Lebens habe ich mich darum der Wiederbelebung der psychedelischen Forschung gewidmet. Ich will ein legaler psychedelischer Therapeut werden.
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