Corona-Einfluss auf WissenschaftDrei positive Auswirkungen der Pandemie
Covid-19 hat die Gesellschaft nachhaltig verändert – aber nicht nur zum Negativen. Von einigen Errungenschaften wird die Menschheit noch lange profitieren.
Die seit einem Jahr wütende Pandemie hat viel Leiden gebracht. Dennoch gibt es einen Silberstreifen am Horizont. Weltweit laufen Impfprogramme an, flächendeckende Immunisierungen versprechen baldige Normalität. Möglich gemacht haben dies Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler. Seit die erste Genomsequenz des neuartigen Coronavirus im Februar 2020 der Öffentlichkeit vorgestellt wurde, steht die Wissenschaft unter Hochspannung.
Die Geschwindigkeit und der Umfang der Entdeckungen im letzten Jahr waren bemerkenswert. Forscherinnen und Forscher haben es geschafft, das molekulare Profil des Virus zu entschlüsseln, sie haben Tests, Medikamente und Impfstoffe entwickelt, um es zu bekämpfen. Kurz: Die Welt hat gesehen, was die Wissenschaft unter Druck leisten kann.
Hinsichtlich dieser positiven Entwicklung ist etwas Optimismus nicht fehl am Platz. Eine Übersicht über die positiven Auswirkungen der Pandemie auf die Gesellschaft, welche uns besser auf die Zukunft vorbereitet:
Entwicklung eines neuartigen Impfstoffs
Die Entwicklung, die wohl die grösste Auswirkung auf künftige Generationen haben wird, wie «The Atlantic» schreibt, ist der unglaubliche Fortschritt in der Biotechnologie der synthetischen Boten-RNA, auch mRNA genannt. Die neuartigen RNA-Impfstoffe gegen das Coronavirus sind die ersten ihrer Art und wurden unglaublich schnell entwickelt.
Der bisherige Rekord für die Entwicklung von Impfstoffen lag bei vier Jahren, und das war in den 1960er-Jahren. Während der Corona-Pandemie haben Forscher gleich mehrere wirksame Impfstoffe in weniger als einem Jahr entwickelt. Die Entwicklung der neuartigen mRNA-Technologie gelang Moderna und Biontech im Wesentlichen an einem Wochenende im Januar 2020 und wurde am Computer entworfen. Bei Biontech dauerte es nur ein paar Stunden, um genau zu sein.
Diese Rekordgeschwindigkeit ist laut «The Atlantic» zu einem gewissen Teil auch Glück zu verdanken. So gibt es zum Beispiel auch nach jahrelanger Forschung noch immer keinen wirksamen HIV-Impfstoff. Dies liegt zum einen daran, dass die Oberfläche des HI-Virus ganz anders aufgebaut ist als die Oberfläche des neuen Coronavirus. Beim HI-Virus gibt es weniger Andockstellen für Antikörper. Zum anderen hat das HI-Virus eine sehr hohe Mutationsrate, was dazu führt, dass diese Andockstellen sich auch noch ständig verändern.
Im Kampf gegen das Coronavirus trieben auch die globale Dringlichkeit und Milliarden von Franken an öffentlichen Geldern die Dinge voran. Auch weil die Pandemie in einem grossen Ausmass wütete und es mehr Fälle gab, gegen die getestet werden konnte, war es einfacher, Ergebnisse von Impfstoffversuchen zu erhalten. Die Studien konnten zudem teilweise parallel oder kurz nacheinander gestartet werden, normalerweise vergehen dazwischen Monate oder sogar Jahre, um genügend Teilnehmende und Forschungsgelder zu finden.
Das Rennen um den Impfstoff brachte also historische Entdeckungen hervor. Die neue mRNA-Technologie, auf der mehrere Impfstoffe von Pharmaunternehmen wie Pfizer/Biontech und Moderna basieren, ist ein epochaler wissenschaftlicher und technischer Durchbruch. Dank der Fortschritte in Wissenschaft und industrieller Produktion können die Impfstoffe in Massenproduktion hergestellt werden. Im Jahr 2021 wollen die Unternehmen gemeinsam Milliarden von Impfstoffdosen produzieren.
Impfstoffe für andere Krankheiten
Dank des Durchbruchs hat sich nun eine Vielzahl von Möglichkeiten eröffnet. So könnten bald Impfstoffe für viele andere Krankheiten wie Krebs entwickelt werden. Ozlem Tureci, Mitgründerin des Unternehmens Biontech, sagte gegenüber AP, dass ein Impfstoff gegen Krebs bereits in einigen Jahren entwickelt werden könnte. Auch an einem mRNA-Impfstoff gegen Malaria wird laut «The Academic Times» bereits gearbeitet – einen Parasiten, der jedes Jahr Hunderttausende von Menschen, vor allem Kinder, tötet.
Die mRNA-Technologie könnte auch den Übergang von Medikamenten, die für alle in einer bestimmten Gruppe identisch sein sollen, zu gezielten und individualisierten Therapien ermöglichen. Ausserdem eignet sich diese Technologie laut «The Atlantic» für eine Produktion in kleinem Massstab, die aber billig genug ist. Dank dieser Entwicklung könnten auch seltene Krankheiten behandelt werden, von denen nur ein paar Tausend Menschen pro Jahr betroffen sind und die daher normalerweise von massenmarktorientierten medizinischen Technologien ignoriert würden.
Vorteile einer digitalen Infrastruktur
Die Pandemie war ein regelrechter Digitalisierungs-Booster. Die allgegenwärtigen Videokonferenz-Tools wie Hangout, Zoom und Teams wurden zu Plattformen, um zu arbeiten, Freunde und Familie zu treffen oder gemeinsam Sport zu machen. Nach einigen Monaten machte sich zwar eine allgemeine Zoom-Müdigkeit breit. Corona hat die Digitalisierung aber auch in anderen Bereichen vorangetrieben und gezeigt, wie die Gesellschaft nach der Pandemie besser und effizienter funktionieren könnte.
So gab es beispielsweise einen Boom in der sogenannten Telemedizin (mehr zum Thema: Online-Selbsthilfe in Zürich – Und dann trat sie der virtuellen Gruppe bei). Dadurch können Patienten und Patientinnen medizinische Hilfe per Videochat in Anspruch nehmen. Solche Besuche sind natürlich nicht für jede Erkrankung geeignet. Für viele Menschen bedeutet diese Möglichkeit jedoch, dass sie sich nicht mehr um Transport, Kinderbetreuung oder übermässige Abwesenheit von der Arbeit sorgen müssen. Der Fernzugang zu medizinischer Hilfe ist seit langem auch ein Wunsch von Menschen mit Beeinträchtigungen und Menschen aus ländlichen Gebieten, für welche die Fahrt zum Arzt eine zusätzliche Belastung darstellen kann.
Auch der Arbeitsalltag hat sich gewandelt. Durch die Pandemie mussten plötzlich Hunderte von Millionen Menschen auf der ganzen Welt herausfinden, wie sie ihre Arbeit erledigen können, ohne ins Büro zu gehen. Es hat sich herausgestellt, dass dies für viele Berufe nicht nur möglich ist, sondern auch eine Reihe von Vorteilen mit sich bringt. Pendeln, um ein Beispiel zu nennen, ist laut einer Studie ungesund und verschwendet Zeit. Der Weg zur Arbeit sei ein Stressfaktor und werde mit vielen negativen gesundheitlichen Folgen in Verbindung gebracht. Zudem gehört das Autofahren zu den gefährlichsten Aktivitäten, die wir täglich unternehmen.
Inklusivere Veranstaltungen dank Zoom und Co.
Ein weiterer Vorteil der Digitalisierung: Viele Veranstaltungen sind inklusiver geworden. Während der Pandemie kann man nun an Konferenzen und Vorträgen teilnehmen, an denen man sonst ohne grossen Zeit- und Reiseaufwand nicht hätte dabei sein können. Auch im Fernsehen kann nun ein breiteres Spektrum von Experten auftreten, da es normal geworden ist, vom Homeoffice, Wohnzimmer oder sogar Schlafzimmer aus Auskunft zu geben.
Auch auf die Wissenschaft hatte die Digitalisierung grosse Auswirkungen. So konnte sich die Zusammenarbeit auch mit anderen Fachgebieten in einer Art und Weise ausweiten, die ohne den schnellen digitalen Austausch kaum vorstellbar gewesen wäre. «Ich hoffe, dass sich diese internationale Zusammenarbeit in der Forschungsgemeinschaft fortsetzen wird», sagt Magdalena Skipper, Chefredaktorin von «Nature», gegenüber «c&en». «Aber ich hoffe, dass es auch als Beispiel über die Forschungsgemeinschaft selbst hinaus aufgegriffen wird», fügt sie hinzu und merkt an, dass Wissenschaftler während der Pandemie zwar auf globaler Ebene zusammenarbeiteten, politische Entscheidungsträger sich aber viel lokaler befassten.
Effizientere und transparentere Forschung
Am 10. Januar 2020 veröffentlichte Edward Holmes, ein australischer Virologe, einen entscheidenden Tweet: «An alle, eine erste Genomsequenz des Coronavirus, das mit dem Ausbruch in Wuhan in Verbindung gebracht wird, ist jetzt hier bei Virological.org verfügbar.» Ein Mikrobiologe antwortete mit «Und so beginnt es!».
Tatsächlich – es war der Anfang eines bemerkenswerten Jahres offener, schneller, kollaborativer, dynamischer und zum Teil chaotischer wissenschaftlichen Aktivitäten, die Möglichkeiten der Zusammenarbeit beinhalteten, die noch vor einigen Jahrzehnten undenkbar gewesen wären.
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Holmes gab bekannt, dass ein Wissenschaftler in China, Zhang Yongzhen, das Genom des mysteriösen Virus aus Wuhan sequenziert hatte. Sein Team hatte praktisch nonstop gearbeitet und die Sequenzierung in nur 40 Stunden abgeschlossen, nachdem eine Virusprobe in einer Kiste mit Trockeneis in seinem Büro in Shanghai angekommen war. Ohne auf eine offizielle Genehmigung zu warten, teilte Zhang das Ergebnis auch sofort mit einem Forschungskonsortium in Australien und gab ihnen grünes Licht, es online auf einer öffentlichen Plattform zu publizieren.
Verbreitung von Forschungsergebnissen
Vor der Corona-Pandemie hatte man nur eingeschränkt Zugriff auf die neusten wissenschaftlichen Fortschritte. Die Ergebnisse mussten nämlich vor der Publikation in «Peer-reviewed»-Wissenschaftszeitschriften einen formalen und geschlossenen Prozess durchlaufen. Peer-Review, also die Begutachtung von Ergebnissen durch andere Wissenschaftler, ist nach wie vor der Eckpfeiler des wissenschaftlichen Prozesses. Andere Forscherinnen und Forscher untersuchen die neuen Erkenntnisse, replizieren Ergebnisse, testen Theorien und fordern sich gegenseitig heraus.
Obwohl die Forschungsergebnisse und die anschliessenden Peer-Reviews meist auf freiwilliger Basis und kostenlos erarbeitet wurden, stellten besonders die hoch angesehenen und gewinnorientierten Zeitschriften die Artikel meist hinter Paywalls. Während die Zeitschriften hochprofitabel waren, beklagten sich viele Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler über diesen Prozess voller Hindernisse, der die Verbreitung der Wissenschaft behinderte. Trotzdem fühlten sie sich – vor allem diejenigen, die am Anfang ihrer Karriere standen – bis anhin gezwungen, weiterhin an diesem System teilzunehmen. Schliesslich ist eine Veröffentlichung das Zünglein an der Waage für Anstellung, Beförderung und Prestige.
Dieses Verfahren hat sich dank der Pandemie nun geändert. Das alte, langsame und geschlossene Verfahren war angesichts der Corona-Krise nicht mehr weiter vertretbar. Ein grosser Teil der Forschungsgemeinschaft begann die Ergebnisse nun als sogenannte Preprints zu veröffentlichen. Dabei handelt es sich im Grunde genommen um Arbeiten, die noch nicht durch formale Publikationen genehmigt wurden. Forscher begannen, die Preprints auf gemeinnützigen wissenschaftlichen Plattformen zu veröffentlichen, die nicht durch Paywalls gesperrt waren. Laut Daten von «Dimensions Covid-19» haben Forscher seit Anfang 2020 über 38’000 Sars-CoV-2-Preprints (Stand 25. Januar 2021) veröffentlicht.
«Preprints» für leichtere Zugänglichkeit
Die «Preprints» wurden heftig und offen debattiert, oft auch in den sozialen Medien. Einige der wichtigsten ersten Daten über die Immunantwort auf die besorgniserregende Variante in Grossbritannien kamen aus einem Twitter-Thread eines Forschers aus Texas. Er zeigte wahren wissenschaftlichen Geist: Das Labor des Forschers verzichtete auf das Prestige, die Ergebnisse als Erster in einem Manuskript zu veröffentlichen, indem es anderen erlaubte, mit den neuen Informationen so schnell wie möglich an die Arbeit zu gehen.
Viele Arbeiten durchliefen zwar oft auch das formale Peer-Review-Verfahren und wurden schliesslich in einer Fachzeitschrift veröffentlicht, aber die Pandemie hat viele dieser Unternehmen dazu gezwungen, ihre Paywalls fallen zu lassen. Ausserdem bleiben die «Preprints», auf denen dann die endgültigen Arbeiten basieren, für jedermann zugänglich.
Die Pandemie hat nebst ihren dunkeln Seiten auch gezeigt, was für ein enormes Potenzial die Menschheit hat. Menschen weltweit haben unter enormem Druck hervorragende Resultate in medizinischen, digitalen, sozialen und anderen Bereichen erreicht – und haben damit die Gesellschaft nachhaltig verändert.
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