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Unterschätzter Körperteil
Die Zunge – ein wahres Multitalent

Wer von der flinken Zunge getroffen wird, bleibt kleben und wird in den Schlund des Chamäleons gezogen.
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Eigentlich redet kaum jemand von ihr, obwohl wir ohne sie keine Wörter verständlich herausbringen würden. Die Zunge ist vermutlich eines der am meisten unterschätzten Organe überhaupt. Denn ohne sie würden wir nichts schmecken, könnten nicht richtig kauen, saugen und schlucken, würden irgendwelche harten, unverdaulichen Dinge wie etwa Fischgräten oder kleine Steinchen nicht rechtzeitig im Mund ertasten und Krankheitserreger vielleicht nicht so schnell bemerken. 

Die Zunge spielt nicht nur eine zentrale Rolle in unserem Alltag, sondern auch in unserem Menschsein. Wie die Fachzeitschrift «Science» vor kurzem berichtete, haben die ersten Wirbeltiere auf dem Land eine Zunge benötigt, um dort die Vielfalt der neuartigen Nahrung zu erkunden und auszuprobieren. Dies hat dazu geführt, dass sich im Lauf der Evolution spezialisierte Zungenformen im Tierreich entwickelt haben, die weit über das Schmecken hinausgehen. 

Die Zunge kann allerlei Gestalt annehmen, ohne dabei ihr Volumen zu verändern.

So nutzen beispielsweise manche Amphibien ihre lange, klebrige Zunge als Waffe, um Insekten zu fangen. Schlangen verwenden die gespaltenen Zungenspitzen als Geruchsdetektor, indem sie beim Züngeln permanent Duftstoffe auf der rechten und linken Seite des Gaumens abstreifen und sich so ein umfassendes Bild ihrer Umgebung machen. Kolibris brauchen die Zunge als eine Art Trinkhalm, um den Nektar aus den Blüten zu schlürfen. Fledermäuse schnalzen und klicken mit ihren Zungen zur Orientierung. Und Giraffen setzen ihre bis zu 50 Zentimeter lange Zunge – neben dem Greifen von Blättern der stacheligen Akazien – zwischendurch zum Putzen des Gesichts ein. 

Mit der Zunge umfassen Kühe einzelne Grasbüschel und rupfen sie raus. 

Fische brauchen dagegen keine Zunge, um ihre Nahrung zu schlucken. Sie reissen ihr Maul blitzschnell auf, weiten ihre Kehle und pumpen Wasser durch ihre Kiemenschlitze, um einen Sog zu erzeugen, durch welchen sie dann Nahrung aufnehmen können. In dem Moment, in dem die Tiere jedoch ihren Kopf aus dem Wasser strecken, funktioniert dies nicht mehr. Eine Theorie geht davon aus, dass die ersten Landwirbeltiere wahrscheinlich Millionen von Jahren lang zurück ins Meer gingen, um dort Beute zu verschlingen, die sie an Land gefangen hatten.

Im Verhältnis zur Körpergrösse ist die Zunge des Chamäleons doppelt so lang wie das Tier selbst.

«Dennoch gab es schon in Fischen bereits Ansätze für eine Zunge», erklärt der Evolutionsbiologe Daniel Schwarz vom Naturkundemuseum Stuttgart, der unter anderem auch die Entwicklung der Zunge erforscht. Mit Kollegen fand er heraus, dass Molche vor ihrer vollständigen Umwandlung in ein ausgewachsenes Tier ein zungenartiges Organ besitzen, welches mehr Bewegungsfreiheiten besitzt und die Nahrung gegen spitze, nadelförmige Zähne des Gaumens drückt. Eventuell könnten in ihrer Form und Funktion ähnliche Organe die Vorläufermodelle heutiger Zungen gewesen sein, als die meisten Wirbeltiere zu Urzeiten noch grossteils im Wasser lebten. Viele Wissenschaftler gehen davon aus, dass diese Tiere damals begannen, langsam immer «amphibischer» zu werden und nach und nach mehr Zeit an Land verbrachten, bis sie letztlich Landbewohner wurden.

Die längste Zunge der Welt wird von einem der farbenprächtigsten Geschöpfe der Welt getragen: dem Chamäleon. Im Verhältnis zur Körpergrösse ist sie doppelt so lang wie das Tier selbst. Innerhalb weniger als einer Zehntelsekunde schnellt sie wie ein Gummiband in Richtung Beute und wieder zurück, um ein Insekt zu schnappen.

Durch das Hecheln mit weit herausgestreckter Zunge kühlt sich der Hund ab. 

Bei Säugetieren zeigt die Zunge jedoch ihre ganze Vielseitigkeit. Sie besteht aus einem komplizierten Netzwerk von Muskelfasern, die sich ohne Knochen, Sehnen oder Gelenke bewegen lassen. Bei den meisten Arten ist sie vor allem für die Nahrungsaufnahme verantwortlich. Doch bei Hunden hilft sie zum Beispiel auch bei der Wärmeregulierung: An heissen Tagen strecken Hunde ihre Zunge heraus und hecheln, um sich durch den verdunstenden Speichel abzukühlen.

Für den Menschen ist die Zunge ein wichtiges, multifunktionales Werkzeug. Es sei erstaunlich, was wir mit der Zunge alles tun würden: essen, sprechen, küssen, sagt Jessica Mark Welch vom Forsyth-Institut in «Science». Der mit Schleimhaut überzogene Muskelkörper ist tatsächlich ein wahres Multitalent, ohne den die Menschheit sich aufgrund der dadurch gegebenen enormen Kommunikationsfähigkeiten eventuell gar nicht so weit entwickelt hätte. 

Ihre Anatomie ist dabei äusserst komplex: Vier Muskelpaare verankern die Zunge im Kopf- und Halsbereich, damit sie sich in alle möglichen Richtungen wie etwa oben und unten sowie rechts und links bewegen kann. Die restlichen vier Muskeln des Zungenkörpers sorgen für eine nahezu unbegrenzt scheinende Flexibilität, mit der sich die Zunge verlängert und verkürzt, abflacht und aufwölbt. Sie kann allerlei Gestalt annehmen, ohne dabei ihr Volumen zu ändern. «Ähnlich wie ein wassergefüllter Luftballon, den man an einer Seite drückt, beult er sich an anderer Stelle aus», erklärt Schwarz. 

Beim Wurf setzt der American-Football-Spieler Patrick Mahomes die Zunge für mehr Konzentration und Koordination ein.

Doch damit nicht genug: Oft benutzen wir die Zunge auch unbewusst, um uns zu konzentrieren oder um Bewegungen mit den Händen gezielter zu koordinieren. Gut sichtbar ist dies bei einigen Sportlern wie etwa dem amerikanischen Footballstar der Superbowl, Patrick Mahomes. Um genauer werfen zu können, hat er sich den Einsatz der Zunge längst zur Gewohnheit gemacht. 

Nicht zu unterschätzen ist aber auch die symbolische Bedeutung einer solchen Geste, vor allem wenn man dieses hochsensible, bewegliche und vielseitige Organ in vollem Umfang demonstrativ herausstreckt. Zum Beispiel bei Kleinkindern, die etwas absolut nicht essen wollen. Aber auch, wenn jemand besonders frech oder bösartig sein will, um eine andere Person zu ärgern oder zu beleidigen. Seit eh und je wird dann zur Provokation einfach die Zunge herausgestreckt.

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