Abnützungskrieg in der UkraineDie umkämpften Gebiete sind die «Hölle»
Die Front im Osten der Ukraine bewegt sich nur wenig, noch halten die ukrainischen Truppen dem russischen Vorstoss stand. Doch die Verluste auf beiden Seiten sind riesig.
Die Schlinge um die ostukrainischen Zwillingsstädte Sjewjerodonezk und Lisitschansk zieht sich immer weiter zusammen. Die russische Armee hat mehrere Dörfer im Umkreis erobert und versucht von Süden her zu den beiden Städten vorzudringen, um sie vom ukrainischen Territorium abzuschneiden, das unter der Kontrolle Kiews ist. Bei einem direkten Treffer einer Polizeistation in Lisitschansk, das immer stärker in den Fokus des russischen Vorstosses rückt, wurden 20 Personen verletzt. Wenn Russland die beiden Städte einnimmt, kontrolliert es das ganze Gebiet Luhansk, eines der erklärten Kriegsziele des Kremls.
Die ukrainischen Soldaten seien unter massivem und beständigem Feuer, sagte der Gouverneur der Region, Serhi Gaidai. Die Zerstörung sei «kolossal», die Lage in Sjewerodonezk sei die «Hölle». Seit vier Monaten seien alle ukrainischen Positionen von überall unter Feuer – «durch alle Waffen, welche die russische Armee hat.» Dennoch halte die Armee die Position, sagte Gaidai. Die Ukraine hat inzwischen täglich zwischen 200 und 500 tote Soldaten zu beklagen.
Doch auch für die Angreifer ist der Vorstoss offenbar sehr verlustreich. Laut britischen Geheimdienstinformationen haben allein die Truppen der sogenannten Volksrepublik Donezk, die seit acht Jahren mit russischer Hilfe gegen die Ukraine kämpfen, 55 Prozent ihrer Kampfkraft verloren. Eine Sprecherin der Rebellenregion erklärte, Donezk habe 2128 tote Soldaten zu beklagen. 8897 Mann seien zudem verwundet worden. Beim ukrainischen Beschuss, der regelmässig auch die Grossstadt Donezk trifft, seien zudem 654 Zivilisten getötet worden. Moskau macht keine Angaben über seine Verluste in der Ukraine.
Auch Russlands Grenzregion zur Ukraine kommt sporadisch unter Beschuss. Offenbar wurde erneut eine grosse Ölraffinerie getroffen. Die Anlage in der Region Rostow sei von zwei ukrainischen Drohnen angegriffen worden, erklärten die lokalen Behörden. Danach sei ein riesiges Feuer ausgebrochen. Teile der Drohnen seien sichergestellt worden, sagte der Gouverneur der Region. Bereits im April hatte es eine schwere Explosion in einem anderen Öldepot gegeben. Die Ukraine hat die Verantwortung für die Angriffe bisher nicht übernommen, bestreitet diese aber auch nicht.
Neue Provokationen rund ums Baltikum
Derweil spitzte sich die Lage um das Baltikum zu. Estland meldete am Mittwoch, zwei russische Kampfflugzeuge vom Typ Suchoi Su-35 hätten am Dienstagmorgen den Luftraum des Nato-Mitglieds verletzt. Es sei bereits der vierte derartige Vorfall in diesem Jahr. Am selben Tag berichtete der Stabschef des estnischen Verteidigungsministeriums, Russland habe Raketenangriffe mit Helikopter auf estnischem Territorium simuliert. Auch diese Grenzverletzungen hätten sich in letzter Zeit gehäuft. Dänemark hatte schon am Montag den russischen Botschafter einbestellt, weil russische Militärmaschinen zweimal den Luftraum über der Insel Bornholm verletzt haben sollen.
Die beiden Suchoi Su-35, die am Dienstag in Estland gesichtet worden waren, setzten ihren Flug über dem Baltischen Meer fort und drangen wenig später laut offiziellen Angaben etwa einen Kilometer weit in litauischen Luftraum ein, wo sie sich eine knappe Minute lang aufgehalten haben sollen. Moskau widersprach den Darstellungen: Es habe sich um Routineflüge über internationalen Gewässern gehandelt. Russland sowie die Nato führen derzeit Manöver in der Ostsee durch.
Kaliningrad ist für Russland von grosser strategischer Bedeutung.
Westliche Beobachter vermuten, dass Moskau damit Druck auf die EU und vor allem auf Litauen aufbauen will. Der baltische Staat hat angekündigt, die EU-Sanktionen gegen Russland wegen des Kriegs in der Ukraine umzusetzen und den Warenverkehr per Eisenbahn in die russische Exklave Kaliningrad einzuschränken. Betroffen sind davon vor allem Baumaterialien, Zement und Metalle. Lebensmittel und viele andere Waren können nach wie vor in die Enklave importiert werden. Kaliningrad liegt zwischen Polen und Litauen, es gibt keine direkte Verbindung nach Russland. Die Region ist für Moskau von grosser strategischer Bedeutung, es ist der Heimathafen der russischen Ostseeflotte, und mit dort stationierten Raketen kann Moskau einen grossen Teil Europas bedrohen.
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