Ukraine weicht zurück Russische Soldaten rücken in Sjewjerodonezk ein
Die Ukraine muss sich immer weiter aus der Stadt im Osten zurückziehen. Damit kontrolliert Russland fast die ganze Region Luhansk. Ein erstes Kriegsziel des Kreml wäre dann erreicht.
Die ukrainischen Streitkräfte haben in der umkämpften Stadt Sjewjerodonezk eine Niederlage erlitten. Wie der ukrainische Generalstab auf Facebook mitteilte, haben die russischen Angreifer dank starkem Artilleriebeschuss das Stadtzentrum eingenommen und die Verteidiger zurückgedrängt. «Stand heute kontrolliert Russland leider über 70 Prozent, jedoch nicht die ganze Stadt», sagte der Gouverneur des Luhansker Gebiets, Serhi Haidai.
Die Stadt in der Ostukraine ist seit Wochen Schauplatz schwerer Gefechte. Gemeinsam mit der Nachbarstadt Lissitschansk ist sie der letzte Teil der Region Luhansk, der noch nicht von russischen Truppen besetzt ist. Die Eroberung der Region sowie des benachbarten Donezk hatte Moskau zuletzt als Ziel seines Angriffskrieges angegeben.
Noch nicht in russischer Hand ist offenbar das Chemiewerk Asot, das Gelände wird laut dem Regionalgouverneur von den russischen Streitkräften bombardiert. In den Bunkern dort befinden sich gemäss ukrainischen Informationen etwa 500 Zivilisten, unter ihnen 40 Kinder. Der Rückzug aus dem Gebiet ist zuletzt immer schwieriger geworden. Die russische Armee hat es zwar bisher nicht geschafft, die Städte einzukreisen, aber ein Grossteil der Brücken über den Fluss, der Sjewjerodonezk und Lissitschansk trennt, sind offenbar zerstört worden. Nur noch eine beschädigte Brücke soll aus der Stadt herausführen.
Laut dem britischen Militärgeheimdienst haben ukrainische Truppen bei ihrem Rückzug Brücken gesprengt, viele sollen aber auch gezielt durch die russische Artillerie zerstört worden sein, wohl mit dem Ziel, die ukrainischen Verteidiger vom Nachschub abzuschneiden. «Eigentlich sollten die russischen Truppen lieber versuchen, die Brücken einzunehmen, anstatt sie zu zerstören», schreiben die Experten des Institute for the Study of War über dieses Vorgehen in ihrer täglichen Einschätzung. Die russische Armee hatte zuletzt grosse Schwierigkeiten bei der Überquerung von Flüssen. Sie hat dabei teilweise schwere Verluste durch ukrainische Artillerie erlitten. Auch der britische Geheimdienst hält die Flussüberquerung für strategisch entscheidend in den kommenden Kriegsmonaten.
Um den Krieg zu beenden, brauche die Ukraine nun unter anderem 1000 Artilleriegeschütze, 500 Panzer und 1000 Drohnen.
Für die ukrainischen Verteidiger ist die Lage derzeit äusserst angespannt. Immer wieder betonen ukrainische Regierungsmitglieder die zahlenmässige Überlegenheit der russischen Angreifer. Gemäss einem nicht verifizierten Bericht des russischen Verteidigungsministeriums ist bei einem Raketenangriff ein grosses Depot mit ukrainischen Militärgütern zerstört worden. Der ukrainische Präsidentenberater Michailo Podoljak schrieb auf Twitter, um den Krieg zu beenden, brauche die Ukraine nun unter anderem 1000 Artilleriegeschütze, 500 Panzer und 1000 Drohnen.
Noch immer kämen Waffenlieferungen aus dem Westen viel zu langsam in der Ukraine an, beklagen die Verteidiger. Der ukrainische Präsident Wolodimir Selenski fordert auch moderne Luftabwehrsysteme. Er habe 2606 Gründe dafür, sagte er in seiner täglichen Ansprache. So viele Raketen seien seit Kriegsbeginn in ukrainischen Städten eingeschlagen. «Das sind Leben, die hätten gerettet werden können, Tragödien, die hätten verhindert werden können – wenn die Ukraine erhört worden wäre.»
Ungeachtet der Gebietsverluste im Osten definiert die Ukraine weiterhin eine Niederlage Russlands als ihr Ziel. «Wir werden so lange kämpfen, bis Russland verliert», sagte Podoljak in einem Interview. Das von Präsident Selenski formulierte Minimalziel sei dabei weiter ein Rückzug der russischen Truppen auf die Linien vom 23. Februar – ein Tag vor Kriegsbeginn.
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