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98. Kriegstag
Russen zerstören Sjewjerodonezk, um es zu erobern

Sturmreif geschossen: Rauch über der strategisch wichtigen Stadt Sjewjerodonezk. 
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Russische Truppen haben die Stadt Sjewjerodonezk, bisher Sitz der Kiew-treuen Verwaltung der ostukrainischen Grenzregion Luhansk, weitgehend erobert. Serhij Gajdaj, als Militärgouverneur Vertreter von Präsident Wolodimir Selenski in der Region, sagte am Mittwochmorgen im ukrainischen Fernsehen, russische Streitkräfte kontrollierten bereits «70 Prozent» der früher 100’000 Einwohner zählenden Stadt.

Dies deckt sich mit Angaben des ukrainischen Generalstabes. Sjewjerodonezk war ein Hauptstützpunkt der ukrainischen Armee. Gajdaj zufolge hat nun der Rückzug Richtung Westen begonnen, bevor die russischen Streitkräfte die Stadt einschliessen. Ein entsprechendes Vorgehen für den Fall russischen Vorrückens hatte Gajdaj gegenüber ukrainischen Journalisten bereits am 26. April angekündigt.

Zu wenig Haubitzen angekommen

Die USA haben der Ukraine in den vergangenen Wochen bereits knapp 100 Panzerhaubitzen mit grosser Reichweite und andere Waffen geliefert – von derlei Waffen seien indes «zu wenige angekommen», um die Dynamik etwa in Sjewjerodonezk zugunsten der Verteidiger zu ändern, so Gajdaj im Fernsehinterview.

90 Prozent von Sjewjerodonezk seien zerstört, sagte Gajdaj. In der Stadt, die russische Einheiten wie zuvor Mariupol während Wochen mit Fliegerbomben und Artillerie sturmreif geschossen haben, halten sich angeblich immer noch rund 15’000 Einwohner auf, weitere rund 25’000 in umliegenden Dörfern und kleineren Städten der Region. «99 Prozent dieser Menschen» wollten ihre Heimat nicht verlassen, weil sie zu alt seien, kein Geld hätten, hofften, dass sie der Krieg verschone – oder sie zu Hause sterben wollten.

«Tausende, die in der Stadt geblieben sind, haben Angst vor Rache oder einem grundlosen Massaker so wie in Butscha.»

Serhij Gajdaj, Militärgouverneur

Russische Medien veröffentlichten Aufnahmen angeblicher Einwohner, die russische Soldaten mit Jubel begrüssten. Gajdaj nannte die Aufnahmen gestellt. «Tausende, die in der Stadt geblieben sind, haben Angst vor Rache oder einem grundlosen Massaker so wie in Butscha», so der Militärgouverneur. Bereits am 29. Mai hatte Gajdaj mitgeteilt, allein in Sjewjerodonezk seien schon vor dem Einmarsch der Russen 1500 neue Gräber ausgehoben worden – darunter offenbar viele Opfer russischer Bomben oder Artillerieangriffe.

Gemäss Militärgouverneur Serhij Gajdaj kontrollieren russische Streitkräfte bereits «70 Prozent» der früher 100’000 Einwohner zählenden Stadt Sjewjerodonezk.

Russische Truppen versuchen Gajdaj und dem Generalstab zufolge nicht nur, Sjewjerodonezk einzuschliessen, sondern weiter im Westen auch zentrale Städte wie Bachmut und vor allem Slowjansk und Kramatorsk zu erobern, ohne die eine Kontrolle der an Luhansk grenzenden Region Donezk und somit der gesamten Ostukraine nicht möglich ist.

Sowohl die russischen Angreifer als auch die ukrainischen Verteidiger erleiden enorme Verluste: «Die Lage ist sehr schwierig, wir verlieren jeden Tag 60 bis 100 Soldaten, die im Kampf getötet werden, und ungefähr 500, die im Kampf verwundet werden», sagte Präsident Selenski dem US-Fernsehsender «Newsmax».

Bedeutung von Cherson

An anderen Stellen hat die ukrainische Armee ihrerseits erfolgreiche Gegenoffensiven durchgeführt – vor allem, um russische Einheiten von Stellungen nahe Charkiw, der zweitgrössten Stadt der Ukraine, zurückzudrängen. Die Ukraine hat zudem vor einigen Tagen mit einer Gegenoffensive in der weitgehend von Russland eroberten Region Cherson begonnen, die nicht nur wegen der gleichnamigen 260’000-Einwohner-Stadt von enormer Bedeutung ist.

In der Region Cherson haben russische Truppen die einzige Stellung westlich des die Ukraine trennenden Dnjepr-Flusses. «Damit ist Russland in einer sehr starken Position, von der aus es eine künftige Invasion (der restlichen Ukraine) beginnen kann», urteilt das Washingtoner Institut für Kriegsstudien (ISW). «Falls jedoch die Ukraine Cherson zurückgewinnt, wird die Ukraine in einer viel stärkeren Position sein, um sich gegen künftige russische Angriffe zu verteidigen.»