Entscheid gegen Uber-EatsKommt jetzt der Mindestlohn für Essenskuriere?
Das US-Unternehmen Uber muss seinen Essens-Lieferanten in der Schweiz einen Mindestlohn zahlen, weil die Firma künftig unter das Postgesetz fällt.
Nein, er habe nichts gehört von diesem Entscheid, sagt der Uber-Eats-Fahrer in Zürich, auf dem Rücken einen dieser unförmigen Würfel, es ist Mittagszeit. Nein, Postcom sage ihm nichts. «Noch nie gehört», sagt der Essenskurier. Aber ja, gegen mehr Lohn wehre er sich natürlich nicht. «Aber zuerst muss ich das Essen ausliefern.» Sagt es und fährt mit dem Velo davon.
Die Neuigkeiten sind noch nicht ganz überall durchgedrungen, doch sie dürften die Arbeit der Kuriere wesentlich beeinflussen. Vergangene Woche hat die Postaufsichtsbehörde Postcom entschieden, dass man die Dienste von Uber Eats als Postdienst bewertet und die US-Firma dadurch unter das Postgesetz fällt. Ein Uber-Eats-Kurier muss künftig also in einem Gesamtarbeitsvertrag arbeiten, ist angestellt, besser versichert – und verdient sehr wahrscheinlich mehr.
Heute gilt ein Kurier als Selbstständiger. Das heisst, Uber Eats bezahlt ihm keine Altersvorsorge, keine Ferienzulagen, die Unfallversicherung ist limitiert, und er allein trägt die unternehmerischen Risiken. Haben die Kunden keinen Hunger und bestellen kein Essen, muss der Fahrer warten und verdient nichts (lesen Sie den Fall von Kurier Mari).
Pro Kilometer erhalten sie 1.50 Franken
Überhaupt ist das Entgelt bescheiden. Uber-Eats-Fahrer werden pro Kilometer abgerechnet. Sie bekommen 4 Franken für jede Abholung, 1.50 Franken pro Kilometer und noch einmal 1.50 Franken für jede Ablieferung. Ein Beispiel: Liefert ein Kurier vier Pizzen zum Wert von 100 Franken zwei Kilometer weit, dann verdient er 8.50 Franken. Uber Eats wiederum erhält vom Restaurant 30 Prozent vom gelieferten Warenwert, in diesem Fall 30 Franken. Brutto.
Der Lohn sorgte in der Vergangenheit immer wieder für Streit. Uber Eats sagt, dass ein Kurier unter dem aktuellen Regime während der Essenszeiten im Schnitt 21 Franken in der Stunde verdiene. Die Gewerkschaft Unia widerspricht. Sie geht von effektiven Stundenlöhnen um die 10 Franken aus, weil eben das Warten bei vielen Kurierinnen zur Arbeit dazugehört (lesen Sie hierzu das Interview zu den neuen Gig-Jobs).
Der Entscheid der Postcom würde das Modell von Uber Eats über den Haufen werfen. Die Postcom geht davon aus, dass die Fahrer erstens angestellt sind und zweitens Anspruch auf Mindestlöhne haben. Allerdings kann der US-Konzern bis im Januar vor dem Bundesverwaltungsgericht Beschwerde einreichen. Auf Anfrage sagt eine Mediensprecherin: «Wir haben die Begründung der Postcom erst vor kurzem erhalten und werden diese nun analysieren, um nächste Schritte zu evaluieren.»
Ein langer Prozess droht
Nimmt man Ubers Verhalten der letzten Jahre zum Massstab, wird es zu einer Beschwerde kommen. Uber hat in den vergangenen Jahren immer wieder Urteile von Gerichten verzögert, wie Gewerkschaften kritisierten. Das zeigt auch das Hin und Her zwischen Postcom und Uber Eats, von einem «extensiven Schriftwechsel» ist die Rede. Seit Januar 2020 war das Verfahren am Laufen, die Tech-Firma versuchte um jeden Preis zu verhindern, dass sie unter das Postgesetz fällt (zur Verfügung gegen Uber).
Doch was bedeutet der Entscheid für die Kuriere auf der Strasse? Bei der Postcom gibt man sich bedeckt. Man wolle erst abwarten, wie Uber reagiere. Darum könne man auch keine Prognosen geben. Die Gewerkschaften schwanken zwischen Euphorie und Skepsis – die Gemütslage hat auch mit den eigenen Interessen zu tun. Bei der Unia möchte man den Entscheid erst analysieren, doch so richtig Freude kommt nicht auf. Denn die Postcom hat indirekt entschieden, dass Uber-Eats-Kuriere künftig wohl Mitglieder der Konkurrenzgewerkschaft werden, der Syndicom. Diese ist das Zuhause der Kuriere. Entsprechend ist die Laune dort beschwingter. «Das ist ein sehr guter Entscheid. Das ist für die meisten Kuriere eine markante Verbesserung», sagt Zentralsekretär David Roth.
Neuer Mindestlohn: 20.65 Franken
Uber Eats muss künftig branchenübliche Arbeitsbedingungen einhalten und sich in diesem Fall dem Gesamtarbeitsvertrag der Kuriere anschliessen. Dieser verspricht den Essenslieferanten einen Mindestlohn von 20.65 Franken pro Stunde; bei regelmässiger Sonntagsarbeit einen Zuschlag von 5 Prozent, dazu 30 Rappen Velospesen pro Stunde. Zudem darf die Mindestarbeitszeit von drei Stunden nicht unterschritten werden. Letzterer Punkt sei besonders wichtig, sagt Roth. «Damit wird verhindert, dass die Kuriere auf Minutenbasis arbeiten müssen.» Er spricht von einem «Leitentscheid». So fallen auch andere Kurierdienste darunter wie Eat.ch und Smood. Nicht betroffen von der Meldepflicht sind aber Restaurants, die ihre Essen selbst ausliefern.
Auch Roth tut sich schwer mit einer Prognose, ab wann ein GAV greift. Im Optimalfall sei es in ein paar Monaten so weit. Im schlechteren Fall folgt ein abermaliges Verschleppen. Es hängt ab vom Verhalten von Uber und den Behörden. Der Entscheid der Postcom ist ein seltenes Beispiel einer Behörde, die gegen Anbieter der sogenannten die Gig-Economy wie Airbnb oder Uber vorgeht.
Viele Kantone stellen sich auf den Standpunkt, dass es ein wegweisendes Urteil brauche, bevor sie eingreifen könnten. Also warten sie. Eine Ausnahme ist Genf. Der Kanton hat im September Uber Eats als Arbeitgeber bestimmt, seither muss die Tech-Firma seine Kuriere anstellen und Sozialleistungen zahlen. Uber Eats zieht den Entscheid ans Bundesgericht, muss ihn aber bereits jetzt umsetzen.
Die Kuriere auf den Strassen interessieren sich für solche juristische Geplänkel nur mässig, sie bekommen sie meist gar nicht erst mit. Entscheidend ist vor allem eines: der Lohn. Je höher, desto besser.
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