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Terroralarm in Südostasien
Die Strahlkraft der Taliban

Erhöhte Alarmbereitschaft: Indonesische Anti-Terror-Polizei Densus 88 bei einer Razzia in Tangerang.
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Als Aussteiger aus der Terrorszene hat Nasir Abbas viel zu erzählen. Warum er sich einst für den Jihad in Afghanistan begeistern konnte, warum er an der Seite der Mujahedin in den Kampf zog, das erklärte der gebürtige Malaysier vor einigen Jahren einmal in Jakarta, bei einem Teller Sushi. Als junger Mann habe er eben daran geglaubt, dass man ein muslimisches Land von ungläubigen Besatzern befreien müsse, sagte er. Deshalb Afghanistan.

Das war der Ort, um sich als Verteidiger des Islam zu bewähren. Als Abbas vor drei Jahrzehnten vom Hindukusch heimkehrte, wurde er Mitglied der Extremistentruppe Jemaah Islamiyah (JI). 2002 ging er indonesischen Fahndern ins Netz, doch im Gefängnis verbrachte er nur kurze Zeit. Er zeigte sich reumütig, schwor der Gewalt ab und liess sich vom indonesischen Staat rekrutierten.

Sein Job war es fortan, auf junge Terrorverdächtige einzuwirken, sie durch Gespräche zu «deradikalisieren». Er sollte sie umdrehen, um weiterem Terror vorzubeugen. Der Nutzen dieser Strategie ist umstritten, doch Abbas, der Aussteiger, ist zu einer bekannten Stimme in Indonesien geworden. Und so kommentierte er in regionalen Medien auch die jüngsten Ereignisse in Afghanistan.

Mit Blick auf indonesische Sympathisanten der Taliban warnte er: «Sie werden mit Sicherheit ihr militärisches Training dort absolvieren, wenn sich die Gelegenheit dazu ergibt.» Anders formuliert: Afghanistan dient auch in diesen Tagen wieder als Sehnsuchtsort für angehende Gotteskrieger. Dass die Taliban Kabul eingenommen haben, dass sie nach 20 Jahren Widerstand gegen hochgerüstete alliierte Kräfte triumphierten, sendet Signale bis in den fernen indonesischen Archipel.

Viele Südostasiaten kämpften in Afghanistan

«Der Sieg der Taliban dürfte in der Tat die Moral indonesischer Jihadisten stärken», schreibt Alif Satria, der am Zentrum für strategische und internationale Studien (CSIS) in Jakarta forscht. Daraus ergeben sich nicht nur für Indonesien Probleme, sondern auch für benachbarte Länder, in denen islamistische Gruppen politischen Raum beanspruchen oder darum kämpfen, eine Aussenstelle des Kalifats zu errichten. Der Sieg der Taliban motiviert auch radikale Kräfte in Malaysia, auf den Philippinen und auch in Bangladesh.

Indonesiens Aussenministerin Retno Marsudi griff das Thema eilig auf und appellierte an die neuen Machthaber in Kabul, sie sollten Afghanistan nicht zum «Nährboden für terroristische Aktivitäten werden lassen», wohl wissend, dass die historisch engen Verbindungen zwischen Taliban und al-Qaida schlimme Konsequenzen für das überwiegend von Muslimen bevölkerte Indonesien hatten, das vor allem nach 9/11 zur Terrorfront wurde.

Seit dem Fall von Kabul ist nun die Spezialeinheit Densus 88 in Alarmbereitschaft und überwacht verstärkt die sozialen Netzwerke. Der Chef der nationalen Anti-Terror-Behörde, Boy Rafli Amar, warnt eindringlich davor, dass das «Momentum der Machtübernahme» in Afghanistan zu einer «Quelle der Inspiration» für Jihadisten im eigenen Land werden könnte. (Lesen Sie auch die Analyse «Der Jihad erlebt ein berauschendes Comeback».)

Aus Südostasien waren schon in den 1980er-Jahren viele junge Männer an den Hindukusch aufgebrochen. Als die Kämpfer zurückkehrten in ihre Heimat nahe des Äquators, bildeten sie den Kern militanter Gruppen. Sie halfen, ihre Ideologie des Jihad in Koranschulen zu tragen, und verübten Anschläge, den grössten auf Bali 2002, mit 202 Toten in einer Nacht.

Die Jihadisten in Südostasien lernen von den Taliban vor allem eines: Zähigkeit und Geduld zahlen sich aus.

Die Sicherheitskräfte in Jakarta vereitelten erst Mitte August nach eigenen Angaben einen erneuten Anschlagversuch zum Unabhängigkeitstag. Zwar erwartet der Analyst Alif Satria nicht, dass es nun unmittelbar zu einer grossen Welle von Anschlägen in Indonesien kommt. Lokale Terrorzellen hätten es schwerer als früher, an Geld zu kommen. Ausserdem hätten Fahnder in den vergangenen drei Jahren mehr als 1000 Verdächtige gefasst.

Aber die grosse Zahl deutet eben auch darauf hin, wie breit das Feld von Sympathisanten ist. Und Anti-Terror-Chef Boy Rafli Amar befürchtet, dass die Euphorie über den Talibansieg zu neuen Rekrutierungen ermuntern könnte. Nach Einschätzung des Experten Satria werden die Ereignisse in Afghanistan vor allem eine langfristige Wirkung entfalten.

Demnach lernen die Jihadisten in Südostasien vor allem eines: Zähigkeit und Geduld zahlen sich aus. Das Beispiel der Taliban lehrt sie, dass Strategien mit einem «sehr langen Zeithorizont» zum Erfolg führen können. Asiens Extremisten dürften sich den Widerstand afghanischer Islamisten nun zum Vorbild nehmen, um auf den Sturz ihrer Regierungen hinzuarbeiten.

Für die Anti-Terror-Einheiten Südostasiens bedeutet dies: Sie müssen auch mit solchen Gruppen rechnen, die sie bereits weitgehend zerschlagen hatten. Indonesische Spezialkräfte melden häufig Erfolge. Allerdings stellt sich die Frage, wie nachhaltig sie sind. Die Signalwirkung in sozialen Netzwerken ist jedenfalls gross, weil der afghanische Jihad schon zum zweiten Mal zeigt, dass er Grossmächte verjagen kann, zuerst die Armee der Sowjetunion, nun die Allianz unter Führung Amerikas.

Festnahme im Oktober 2015: Mitglieder der Extremisten von Jamaa’tul Mujahideen Bangladesh.

Eine ganze Reihe von Faktoren begünstigen in asiatischen Ländern extremistische Strömungen, häufig ist es Frust über Korruption und Misswirtschaft. Oder es ist das Gefühl, der Staat treibe die Gesellschaft in einen moralischen Verfall und ergebe sich blind westlich-säkularer Dominanz, wogegen nur noch eine erkämpfte Scharia helfe.

In Bangladesh, wo Islamisten seit Jahren versuchen, den Staat durch Anschläge ins Wanken zu bringen, feiern Sympathisanten der Taliban den Rauswurf der Amerikaner als «Sieg des Islam». Shafikul Islam, Polizeichef in Dhaka, sagte dem Magazin «India Today», dass nun «Jugendliche irgendwie Afghanistan erreichen wollen», sie seien «zu Fuss» unterwegs. (Lesen Sie auch den Artikel «Al-Qaida ist in Afghanistan willkommen»

Diese Leute sind offenbar bereit, für ihre Ziele einiges in Kauf zu nehmen, denn zwischen Bangladesh und Afghanistan liegen 2500 Kilometer. «Unsere Truppen sind in Bereitschaft», bestätigte ein indischer Grenzschützer angesichts der Meldungen, dass Extremisten über die Grenze einsickerten. Wie in Indonesien greifen Fundamentalisten in Bangladesh oft auf Erfahrungen im afghanischen Krieg zurück.

Komplizierte Gemengelage von Extremisten

Eine der aktivsten Gruppen ist die Jamaa’tul Mujahideen Bangladesh (JMB), die schon mehr als hundert Menschen ermordet hat: Akademiker, Politiker, Angehörige religiöser Minderheiten. 2005 koordinierte die Gruppe 459 Explosionen in 63 Distrikten innerhalb einer einzigen Stunde. JMB untergräbt entschlossen den Staat, ist aber auch mit einem Sicherheitsapparat konfrontiert, der härter durchgreift als früher.

Für manche dieser Netzwerke gilt, dass sie zuletzt durch den Islamischen Staat (IS) in Syrien und dem Irak Auftrieb erhielten. So hatte der philippinische Staat grösste Mühe, eine mit dem IS verbündete Miliz aus Marawi zu vertreiben. Monatelange Kämpfe verwandelten die Stadt in ein riesiges Trümmerfeld.

Dass sich die Taliban und der IS in Afghanistan teils gegenseitig bekämpfen, kompliziert die Gemengelage, ändert aber nichts am ideologischen Signal, das der Triumph der Taliban aussendet. Asiens Islamisten bekommen einen mentalen Schub, wie sie ihn seit Jahren nicht mehr erlebt haben.