Kommentar zu Schottlands UnabhängigkeitDie Sehnsucht bleibt
Schottland darf ohne Zustimmung aus London kein Unabhängigkeitsreferendum abhalten. Die Frage muss damit mit den nächsten Wahlen geklärt werden. Das ist der falsche Weg.
Die Lust auf Referenden hat in weiten Teilen des Vereinigten Königreichs doch arg gelitten seit 2016, als der Brexit von den Populisten um Boris Johnson und Nigel Farage über das Land gebracht wurde. Ein Referendum kann Familien und Freunde trennen. Und Risse entstehen lassen, die Jahre, wenn nicht Jahrzehnte brauchen, um wieder zusammenzuwachsen.
Und doch verfolgt die SNP, seit Jahren die stärkste Partei in der schottischen Regionalregierung, gemeinsam mit den Grünen dort genau dieses Ziel: noch ein Referendum, Indyref2 genannt, ein zweites zur Unabhängigkeit, nachdem sie Indyref1 vor acht Jahren verloren hat.
«Der Brexit hält die schottische Sehnsucht nach Unabhängigkeit am Leben.»
Die schottische Bevölkerung ist genau in der Mitte gespalten in der Unabhängigkeitsfrage. Ist es also so, wie die frühere Premierministerin Theresa May am Mittwoch im Unterhaus sagte: Ist die SNP besessen von einer nationalistischen Idee? Immerhin will die Partei weiter auf Unabhängigkeit setzen, obwohl das höchste britische Gericht nun bestimmte: Das schottische Parlament darf ohne Zustimmung aus London kein Unabhängigkeitsreferendum abhalten.
Gerade May müsste wissen, dass es seit 2016 ein starkes Argument für die schottische Unabhängigkeitsbewegung gibt: den Brexit. 62 Prozent der Schotten stimmten dagegen, nach aktuellen Umfragen wären es heute sogar noch mal 10 Prozent mehr. Das Vereinigte Königreich kommt wirtschaftlich schlechter aus der Pandemie als die anderen G-7-Länder. Praktisch alle relevanten Ökonomen Grossbritanniens sind sich einig, dass der Brexit dafür der Hauptgrund ist. Der Brexit hält die schottische Sehnsucht nach Unabhängigkeit am Leben.
Ob der nun nach dem Gerichtsurteil angekündigte Weg, die nächsten schottischen Wahlen auf diese einzige Frage zu reduzieren, allerdings der richtige ist, darf man bezweifeln. Im Leben der Menschen gibt es weitaus drängendere Probleme.
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