Ihr Browser ist veraltet. Bitte aktualisieren Sie Ihren Browser auf die neueste Version, oder wechseln Sie auf einen anderen Browser wie ChromeSafariFirefox oder Edge um Sicherheitslücken zu vermeiden und eine bestmögliche Performance zu gewährleisten.

Zum Hauptinhalt springen

Leitartikel zum Ukraine-Krieg
Die Schweiz muss ihre Haltung zu Waffenlieferungen ändern

Das Schweizer Kriegsmaterialgesetz verbietet eine Ausfuhr: Arbeiter in einer Produktionshalle der Mowag in Kreuzlingen TG. 
Jetzt abonnieren und von der Vorlesefunktion profitieren.
BotTalk

15’000 Tote, noch viel mehr Verwundete, 6 Millionen Flüchtlinge, 4,8 Millionen Jobs weg, die Hälfte der Geschäfte geschlossen, ein Sachschaden von 100 Milliarden Franken und ein Fünftel des Territoriums verloren: Das ist die Bilanz der Ukraine nach 100 Tagen Krieg mit Russland, und sie wird täglich schlimmer. Der Aggressor Russland hat wohl einen ähnlich hohen Blutzoll zu bezahlen, die wirtschaftlichen Schäden sind auch im grössten Land der Welt gewaltig, es droht ein Rückfall in die Mangelwirtschaft der Sowjetzeit – und dennoch: Keine der beiden Seiten sucht den Ausweg in der Diplomatie, beide wollen auf dem Schlachtfeld Fakten schaffen, bevor sie sich an den Verhandlungstisch setzen. 

Die Bilanz der Schweiz nach 100 Tagen Krieg in der Ukraine ist ebenfalls keine erfreuliche – unsere Neutralität wird bei befreundeten Nationen nicht mehr bedingungslos akzeptiert. Im Gegenteil: Es wird von unserem Land erwartet, dass es sich zumindest in Teilen mit Europa solidarisch erklärt, und vor allem, dass die Schweiz aufhört, den Waffenlieferungen in die Ukraine Steine in den Weg zu legen. Es wird zwar anerkannt, dass die Schweiz aus Neutralitätsgründen nicht direkt Waffen in die Ukraine liefern kann, allerdings gibt es «breites Unverständnis» darüber, dass die Schweiz mit ihrem Pochen auf eine strikte Anwendung der Nichtwiederausfuhr-Erklärungen die Lieferung von dringend benötigtem Kriegsmaterial an die Ukraine verunmöglicht. So steht es in vertraulichen Unterlagen des Bundesrats. 

Demnach wurde Verteidigungsministerin Viola Amherd am WEF in Davos gehörig unter Druck gesetzt. Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg, die niederländische Verteidigungsministerin Kajsa Ollengren, der dänische Verteidigungsminister Morten Bødskov und die amerikanische Vize-Verteidigungsministerin Kathleen Hicks hatten alle dieselbe Botschaft: Ändert eure sture Haltung und ermöglicht wenigstens indirekt die Weitergabe von Schweizer Kriegsmaterial in die Ukraine. Dänemark, Deutschland und Polen haben dazu schriftliche Gesuche eingereicht. 

Nur: Das Schweizer Kriegsmaterialgesetz verbietet das. Damit findet sich die Schweiz nach 100 Tagen Krieg wieder dort, wo sie bereits am Anfang des Kriegs war, als es um die Übernahme der Sanktionen gegen Russland ging: in bundesrätlicher Ratlosigkeit. Und einmal mehr beschliessen Bundesrätinnen und Bundesräte unter enormem Druck der befreundeten Staaten eine Schlaumeierei. Statt dass sie die Deutschen Schweizer Panzermunition und Dänemark Piranha-Schützenpanzer an die Ukraine weitergeben lässt – was das Kriegsmaterialgesetz verbietet –, geben sie gegenüber Deutschland uralte Leopard-Panzer frei und verzichten auf die schnelle Lieferung von schwedischen Panzerabwehrwaffen. Die Schweizer Bestellung geht nun nach England und ermöglicht dem Land weitere Lieferungen dieser Waffen in die Ukraine. 

Faktisch bleibt die Schweiz so immer wieder erpressbar.

Der Deal mit den hocheffizienten Panzerabwehrwaffen (Typ NLAW von Saab), die vertragstechnisch der Schweiz gehören, ist höchst problematisch und könnte, wenn nicht de jure, so doch de facto eine indirekte Kriegsmateriallieferung bedeuten. Er lässt sich jedenfalls kaum mit dem vereinbaren, was man gemeinhin unter Neutralität versteht. Auch ist fraglich, ob sich beim nächsten Druckversuch wieder eine Waffenlieferung finden lässt, die man aufschieben kann.  Faktisch bleibt die Schweiz so immer wieder erpressbar.

Hier wird Inhalt angezeigt, der zusätzliche Cookies setzt.

An dieser Stelle finden Sie einen ergänzenden externen Inhalt. Falls Sie damit einverstanden sind, dass Cookies von externen Anbietern gesetzt und dadurch personenbezogene Daten an externe Anbieter übermittelt werden, können Sie alle Cookies zulassen und externe Inhalte direkt anzeigen.

Darum fragt es sich, ob es nicht viel ehrlicher, und am Ende auch unverfänglicher, wäre, wenn der Bund einen Vorschlag von FDP-Präsident Thierry Burkart näher prüfen würde. Der hat vorgeschlagen, man solle die Wiederausfuhr von Schweizer Kriegsmaterial bei demokratischen Rechtsstaaten zulassen. Natürlich bestünde bei solch einer Regelung die Gefahr, dass das Schweizer Waffenausfuhrgesetz umgangen würde, doch immerhin würde dies nicht von der Schweiz aktiv gesteuert, wie im Fall der Panzerabwehrwaffen. Aber für solch eine Lösung bräuchte es eine Gesetzesänderung und damit eine Parlamentsdebatte, ja vielleicht sogar eine Volksabstimmung. Das braucht Zeit, aber immerhin wäre das keine Schlaumeierei unter Druck der Amerikaner und der Europäer.

Vielleicht ist der Fingerzeig auf die Schweiz einfach eine billige Ausrede, wenn man sich nicht allzu stark mit den Russen anlegen will.

Zur Ehrenrettung des Bundesrats sei noch angefügt, dass er in Sachen Schlaumeierei keineswegs allein dasteht. Deutschland, das rhetorisch stramm zur Ukraine steht, hat der Ukraine bisher zwar immer wieder Waffen versprochen, aber kaum geliefert. Hinter den Kulissen fragt sich in Bern manch einer, warum denn die Deutschen die Panzermunition und die Dänen die Piranha-Schützenpanzer nicht einfach in die Ukraine liefern. Vielleicht ist der Fingerzeig auf die Schweiz einfach eine billige Ausrede, wenn man sich nicht allzu stark mit den Russen anlegen will. Nach all dem, was mit Schweizer Waffenlieferungen in den Nahen Osten bereits passiert ist; es tauchten Handgranaten in Syrien auf, und die Saudis schützen sich im Jemenkrieg mit Schweizer Flugabwehrwaffen, und es hatte kaum reale Konsequenzen. Darum müssten auch Deutschland und Dänemark von der Schweiz kaum viel befürchten, wenn sie es mit dem Wiederausfuhrverbot nicht so genau nehmen würden.