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Erbgut aus der Epidemie
Die Pest steckt uns in den Genen

Die Pest wütet auf der Esplanade de la Tourette in Marseille im Jahr 1720: Gemälde von Michel Serre.
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Die Pest ist der Schrecken des ausgehenden Mittelalters gewesen. Von 1347 an grassierte sie in Europa und hat Schätzungen von Historikern zufolge etwa ein Drittel der damaligen Bevölkerung dahingerafft. Die Seuche gilt als eine der grössten Katastrophen der Geschichte, und sie brach jahrhundertelang immer wieder aus. Doch irgendetwas veränderte sich mit der Zeit. Spätere Pestwellen forderten erheblich weniger Tote als die erste. Hatten die Leute aus ihrem Unglück gelernt?

Das sei gut möglich, schreibt ein internationales Team um die Chemikerin und Anthropologin Jennifer Klunk von der McMaster-Universität in Hamilton in Kanada nun in der Zeitschrift «Nature». Ihre Genanalysen aber deuten in eine andere Richtung. Demnach haben sich die Menschen evolutionär an die Bedrohung angepasst: Anfällige sind vermehrt gestorben, Menschen, deren Immunsystem dem Erreger mehr Widerstand leisten konnte, haben eher überlebt. Auf diese Weise habe die Pest bis heute ihre Spuren in den Genen hinterlassen. Allerdings hat das die Menschen nicht nur widerstandsfähiger gemacht.

So verheerend die Pest auch war: Es ist nicht einfach, den Einfluss einer Seuche aus dem Mittelalter auf das Genom heutiger Menschen zu untersuchen. Im Laufe der Geschichte habe es viele tödliche Krankheiten, also viele Selektionsfaktoren gegeben, erklärt der Genetiker und Mit-Autor Luis Barreiro von der Universität Chicago in einer Mitteilung. Der einzige Weg sei, ein möglichst kleines Zeitfenster in den Blick zu nehmen.

Das Team um Jennifer Klunk hat das Erbgut von Hunderten Individuen untersucht, die während der grossen Epidemie von 1347 bis 1353, kurz zuvor oder danach begraben worden sind. Dabei suchten die Wissenschaftler nach statistisch relevanten Unterschieden in der Häufigkeit bestimmter Gene, die mit dem Immunsystem zu tun haben. Die Idee: Sollte eine Genvariante für die Pest anfällig machen, sollte sie unter Pesttoten häufiger vertreten sein und später seltener vorkommen. Eine Genvariante, die dagegen eher schützt, sollte unter den Pesttoten seltener sein und sich dafür später häufen.

40 Prozent höhere Überlebenschance

Tatsächlich identifizierten sie vier offenbar entscheidende Gene. Besonders wichtig ist demnach ERAP2. Wer einst zweimal eine Variante namens «rs2549794» dieses Gens im Erbgut gehabt habe, dessen Immunabwehr-Zellen sei es besser gelungen, eine Infektion mit Yersinia pestis zu erkennen, das Wachstum dieser Bakterien einzudämmen und seine Zellen zu schützen, schreiben die Forschenden; das habe sich auch bei Versuchen im Labor bestätigt. Menschen mit dieser Genvariante hätten bei einer Infektion mit der Beulenpest eine um 40 Prozent höhere Überlebenschance gehabt.

Natürlich entschieden die Gene nicht allein darüber, wer lebte und wer starb. Brach die Pest in der Umgebung aus, herrschte in einer mittelalterlichen Stadt bald der Ausnahmezustand. Wer es sich leisten konnte, isolierte sich. Andere flohen aufs vermeintlich sichere Land oder in andere Städte – und verbreitete den Erreger dabei mitunter weiter.

Um das zu verhindern, schotteten sich Städte ab, so gut sie konnten. Das soziale Leben wurde heruntergefahren. Aus Florenz zum Beispiel ist bekannt, dass die Stadt bei Epidemien systematisch gereinigt wurde; Kneipen, Bäder und Bordelle mussten schliessen. Mutmasslich mit der Pest Infizierte wurden unter Quarantäne gestellt, teils derart rigoros, dass die Kranken nicht an der Pest starben, sondern vorher verhungerten.

Übetragungsweg von schweizerisch-französischem Bakteriologe entdeckt

Andere griffen in ihrer Verzweiflung zu aus heutiger Sicht wenig evidenzbasierten Mitteln. Viele beteten. Einige begriffen die Pest als Strafe Gottes und zogen als Flagellanten durch die Strassen, geisselten sich also selbst mit nadelbewehrten Riemen, um Busse zu tun und von Gott die Vergebung ihrer Sünden zu erbitten. Wieder andere zündeten Räucherwerk an, um sich vor krankmachenden Dämpfen zu schützen. Dass das nicht helfen konnte, weil die Pest nicht durch sogenannte Miasmen durch die Luft, sondern durch das Bakterium Yersinia pestis übertragen wird, entdeckte erst 1894 der schweizerisch-französische Bakteriologe Alexandre Yersin in Hongkong. Den Beweis, dass dieses Bakterium tatsächlich auch für den Schwarzen Tod im Mittelalter verantwortlich war, lieferten Wissenschaftler sogar erst 2011.

Manche der bereits im Mittelalter gängigen Massnahmen zum Schutz vor der Pest haben sich auch zur Eindämmung späterer Pandemien bewährt, etwa die Quarantäne. Doch auch in den Genen findet sich bis heute das Erbe der Pest – und das ist nicht immer ein Vorteil. Denn dieselbe Genvariante, die gegen das Pestbakterium hilft, mache anfälliger zum Beispiel für die chronisch-entzündliche Darmkrankheit Morbus Crohn, schreibt die Gruppe um Jennifer Klunk. Andere Gene, die gegen die Pest von Vorteil sind, seien zudem eine Schwachstelle, wenn es um andere Infektionskrankheiten oder um rheumatoide Arthritis gehe.

«Ein hyperaktives Immunsystem konnte in der Vergangenheit grossartig sein», sagt der Anthropologe Hendrik Poinar von der McMaster-Universität in Hamilton, einer der Autoren der Studie. «Aber in der heutigen Umwelt könnte das nicht mehr so hilfreich sein.»