Ausfallserie bei der SwisscomDie Pannenanfälligkeit wird zunehmen
Ein Blick auf die Ursachen für Störungen in der Schweiz und in der EU zeigt: In den meisten Fällen sind fehlerhafte Software und Hardware schuld, nicht Hackerangriffe.
Es war ein kleiner Eingriff mit grosser Wirkung: Als die Spezialisten der Swisscom am 9. Juli die Telefoniesoftware für Geschäftskunden aufdatieren wollten, führte das an einem ganz anderen Ort zu einer Fehlfunktion: Die Notrufnummern in einigen Kantonen waren plötzlich nicht mehr erreichbar.
Swisscom-Chef Urs Schaeppi verglich den dritten Vorfall dieser Art seit 2020 mit einer «Strassensperre in der Innenstadt von Bern, die plötzlich einen Stau in St. Gallen verursacht». Was Schaeppi damit sagen will: Die Digitalisierung hat die Funktionsweise von Fernmeldenetzen so komplex gemacht, dass ein einfaches Softwareupdate reicht, um eine verheerende Kettenreaktion auszulösen.
Bei bis zu 4000 Eingriffen pro Woche alleine im Swisscom-Netz tönt diese Aussicht wenig beruhigend. Doch reicht das als Erklärung? Oder handelt es sich um eine Ausrede?
ISDN brachte die Digitalisierung
Experten wie Telecom-Professor Michel Tripet von der Fachhochschule Bern setzen der Aussage des Swisscom-Chefs entgegen, dass seit den späten 1980er-Jahren die analogen Netze dank der ISDN-Technologie eigentlich digital gewesen seien. Diese Infrastruktur habe damals zuverlässiger funktioniert als heute. «An der Digitalisierung alleine kann die Pannenanfälligkeit also nicht liegen», sagt der Dozent für Informationstechnologie.
Tripet sieht den Schwachpunkt eher bei der eingesetzten Technik. So werden Telefongespräche im Festnetz heute über das Internet übertragen und nicht mehr über analoge Leitungen. Dazu wird das Telefonat beim Absender in einzelne kleine Datenpakete zerlegt, über mehrere Verbindungen verschickt und beim Empfänger wieder zusammengefügt.
Im Gegensatz dazu wurde ein analoges Sprachsignal fortlaufend übertragen, was jedoch nur eine einzige Verbindung zuliess.
Um der Kundschaft den Wechsel auf Internettelefonie schmackhaft zu machen, vermarkteten die Anbieter die neue Technik als Qualitätsprodukt. Die Stimmen der Gesprächspartner seien deutlicher zu hören, es seien mehrere Telefonate gleichzeitig möglich, und lästige Anrufer könnten blockiert werden.
Internettelefonie hilft Kosten sparen
Telecom-Professor Tripet hält dem entgegen: «Der Grund für diese komplexe Umstellung war nie eine bessere Qualität. Vielmehr sind die neuen Netze preisgünstiger und für die Betreiber flexibler zu handhaben.»
Auf diese Weise können die Dienstleister ihre internetbasierte Telefonie zentral betreiben und unterhalten. Doch das hat seinen Preis. Eingriffe an Software oder Netzwerkkomponenten können weite Teile des Netzes beeinflussen und im schlimmsten Fall lahmlegen.
«Die analogen Netze waren viel stärker gegliedert und hatten somit weniger kritische Ausfallpunkte», sagt Tripet. Dadurch sei die Fehlersuche einfacher gewesen, weil die Eingrenzung der Störung einfacher nachvollziehbar gewesen sei.
Wie abhängig wir von zuverlässig funktionierender Technologie geworden sind, belegen die Zahlen zu Störungsursachen in der Schweiz und in der Europäischen Union. Hierzulande ist fehlerhafte Software der häufigste Grund für einen meldepflichtigen Ausfall.
Gemeint sind damit Pannen, die entweder länger als eine Stunde dauern oder mehr als 30’000 Kunden betreffen oder Dienste an mehr als 25 Antennenstandorten erheblich einschränken.
Vorgaben zur Netzqualität erhält in der Schweiz nur der Grundversorger, also die Swisscom. So müssen bei der Telefonie mindestens 99 Prozent aller Versuche für einen Verbindungsaufbau erfolgreich sein. Beim Zugang zum Internet liegt dieser Wert bei 98,9 Prozent. Das Bundesamt für Kommunikation prüft, ob diese Richtlinien eingehalten werden.
Die EU erfasst die Fehlerquellen genauer. Systemausfälle bilden mit einem Anteil von fast zwei Dritteln die bei weitem am häufigsten vorkommende Kategorie für Störungen. Probleme mit der Software sorgten dabei 2020 für die meisten Ausfallstunden. Hackerangriffe hingegen waren nur für wenige Ausfälle verantwortlich.
Nicht zu unterschätzen ist der Faktor Mensch. Menschliches Versagen führte bei Telecomanbietern aus dem EU-Raum zu einem Viertel der Pannen, etwa weil ein Baggerführer versehentlich ein Kabel durchtrennte.
Branchenkenner ziehen aus der Abhängigkeit von Software und Hardware unterschiedliche Schlüsse. Tripet sieht Hersteller und Anbieter in der Pflicht, immer bessere Erkenntnisse aus den neuen Netzen zu gewinnen, um so die Pannenanfälligkeit zu verringern.
Netzwerk-Ökonom Matthias Finger verweist auf den Einsatz redundanter Netze, also Rückfallebenen durch mehrfach vorhandene Komponenten und Verbindungen. Aber: «Dies ist mit Investitionen verbunden, bedeutet also mehr Kosten und weniger Gewinne», sagt der Honorarprofessor der Eidgenössischen Technischen Hochschule in Lausanne.
In einem sind sich beide Experten einig – und das wird den Anwendern nicht gefallen: Die Pannenanfälligkeit bei den Fernmeldenetzen wird zunehmen.
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