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Migranten auf den Kanarischen Inseln
Die neue Fluchtroute nach Europa führt über die Kanaren

Über den Atlantik nach Europa: Viele Afrikaner wagen den Weg über das offene Meer auf die Kanarischen Inseln. Hier ein Holzboot vor der Küste Gran Canarias, das Migranten aus Marokko benutzt haben.
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Sie kauerten zu Hunderten auf dem Asphalt: An die 500 Geflüchtete schliefen am Wochenende im Hafen von Arguineguín auf Gran Canaria auf dem Boden. Das berichtet die spanische Hilfsorganisation CEAR. Die Menschen waren im Laufe des Samstags in Dutzenden Booten vor der Küste der Kanarischen Inseln angekommen. 26 Jahre nach der Ankunft des ersten Flüchtlingsbootes seien die Kanaren noch immer ohne stabile Infrastruktur, um die Ankommenden zu versorgen, kritisiert die Organisation.

Die Helfer beobachten einen stetigen Anstieg der Zahl der ankommenden Flüchtlinge seit Juli – also etwa seitdem die erste Welle der Corona-Pandemie in Spanien abgeflaut ist. Zuletzt kamen laut CEAR-Zählung durchschnittlich 143 Menschen pro Tag auf den Kanaren an. Insgesamt seien in diesem Jahr bereits 8000 Menschen auf den Inseln angelandet, im Vorjahr waren es 2700. Die Neuankömmlinge werden vom Roten Kreuz auf das Virus Sars-CoV-2 getestet und mit dem Nötigsten versorgt.

Jahrelang ging es über Gibraltar

Dieser Anstieg auf den Kanarischen Inseln steht gegen den Trend, denn Spanien verzeichnete dieses Jahr bisher insgesamt sinkende Zahlen von Migranten und Flüchtlingen, bis 11. Oktober waren es dem UNO-Flüchtlingshilfswerk UNHCR zufolge rund 22’000, zwölf Prozent weniger als zur selben Zeit vor einem Jahr, und schon 2019 waren die Zahlen gesunken. Die Gesamtlage ist also nicht dramatisch, auch nicht im Vergleich zu Italien mit rund 26’000 Angekommenen und Griechenland mit 13’000.

Jahrelang war die meistgenutzte Route von Nordafrika auf das spanische Festland die Strasse von Gibraltar. Marokko erhielt 2019 europäische Mittel und kontrolliert dafür strenger an den Grenzabschnitten, die lange als kritisch galten. So sind offenkundig Fluchtwillige und die stets schnell auf neue Lagen reagierenden Schleuser in das südlichere Marokko ausgewichen, von wo die Kanaren am nächsten liegen.

«Barcelona oder tot», sagen sie in Senegal.

Der Weg über diese Inseln etabliert sich offenbar erneut als Fluchtroute aus Afrika nach Europa. Während der Flüchtlingskrise 2006 waren dort etwa 31’000 Menschen angekommen. Danach riegelte die spanische Küstenwache die Route jahrelang ab, viele Flüchtlinge aus Mali oder Senegal wandten sich gen Osten. Einige Jahre lang führte eine viel frequentierte Route über Agadez in Niger. Seit aber dieser Fluchtweg dicht ist, wagen sich viele wieder aufs offene Meer hinaus, um nach Europa zu gelangen. «Barcelona oder tot», sagen sie in Senegal.

Angekommen in Europa: Migranten werden an Bord eines spanischen Rettungsschiffs in den Hafen von Arguineguín auf Gran Canaria gebracht.

Die grösste Nationalitätengruppe der Migranten, die nach Spanien gelangen, sind aber Algerier mit mehr als 40 Prozent, gefolgt von Marokkanern und Maliern. Es kommen Senegalesen, Mauretanier oder Menschen aus dem Westsahara-Gebiet. Ihre Wege über den Atlantik zu den Kanaren sind sehr unterschiedlich, auch unterschiedlich gefährlich. Marokko war wegen der kurzen Strecke von Migranten aus West- und Subsahara-Afrika stets viel benutzt worden als letzte Etappe nach Spanien. Vom marokkanischen Tarfaya sind es etwa 100 Kilometer zu den Kanaren, von Ad Dakhla im Westsahara-Gebiet schon etwa 500 Kilometer, doppelt so weit schon von Nouakschott in Mauretanien.

Immer wieder verfehlen Boote die Inseln

Die Flüchtlinge kommen vor den Kanaren in offenen, kleinen Fischerbooten an, Küstenwache und Seenotretter entdecken sie in den Küstengewässern und bringen sie an Land. Immer wieder verfehlen jedoch Boote die Inseln und treiben aufs offene Meer hinaus. Dann liegen vor den kleinen Booten mit ihren Aussenbordmotoren 6500 Kilometer Wasser bis Kuba. Die Zahl der Toten wird auf mehrere Tausend geschätzt.

Spaniens Migrationsminister José Luis Escrivá hat den Kanaren nun «eine umfassende Antwort des Staates» versprochen. Just als der Minister am vorvergangenen Wochenende den Inseln einen offiziellen Besuch abstattete, kamen binnen 36 Stunden mehr als 1100 Flüchtlinge an. Escrivá zeigte sich ergriffen vom Leid dieser Menschen. Der Minister besichtigte unter anderem ein stillgelegtes Flüchtlingslager in El Matorral auf Fuerteventura, das 2018 geschlossen worden war, weil es den Normen nicht mehr entsprach und zuvor bereits sechs Jahre lang leer gestanden war.

Ungewisse Zukunft: Am 15. Oktober landeten 141 Afrikaner auf Gran Canaria. Sie stammen zum Teil aus Ländern südlich der Sahara und waren via Marokko migriert.

Die Zentralregierung in Madrid will die Anlage bis zum kommenden Jahr sanieren lassen, um sie wieder zu öffnen. Doch es wächst der Druck vonseiten der kanarischen Regionalregierung, die am besten erhaltenen Trakte bereits jetzt in Betrieb zu nehmen und dort Menschen einzuquartieren. Iriome Rodríguez, Sprecher der Hilfsorganisation Ärzte der Welt, kritisiert die geplante Wiedereröffnung. Das Lager habe, schon als es noch in Betrieb war, einem Gefängnis geglichen, die Unterbringung sei gegen die Menschenrechte, sagte er der Zeitung «La Vanguardia».

Unterkünfte für Touristen, aber nicht für Migranten

Rodríguez äusserte Unverständnis darüber, dass eine Region wie die Kanaren, der es gelinge, pro Saison 13 Millionen Touristen unterzubringen, daran scheitere, ein paar Tausend Flüchtlinge zu versorgen. Bisher versuchten die Behörden die Geflüchteten auf Notunterkünfte zu verteilen: in leere Missionsgebäude, ehemalige Kinderheime, Feldlager oder auf Industrieschiffe. Einige Familien wurden in leer stehenden Hotels einquartiert. Migrationsminister Escrivá versicherte den Hoteliers indes, dass diese Unterbringung nur vorübergehend sei.