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Kolumne von Barbara Bleisch
Die Kunst aufzuhören

Wann ist der richtige Zeitpunkt für den Rücktritt? Roger Federer hält ihn für noch nicht gekommen.
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Die Schweizer Sportwelt spekuliert mal wieder über einen möglichen Rücktritt von Roger Federer. Den richtigen Zeitpunkt dafür gebe es nicht, sagte Roger Federer kürzlich in einem Interview. Vielmehr sei dies immer eine sehr persönliche Entscheidung. Das mag wohl stimmen. Doch wie fällt man sie? Wann ist der richtige Zeitpunkt zu gehen?

Aller Anfang ist schwer, sagt man leichthin. Wirklich schwer ist aber das Aufhören. Vor allem, wenn man mit Haut und Haar dabei war: als weltbester Tennisspieler genauso wie als passionierter Lehrer oder als engagierte Politikerin.

Gerade weil das Aufhören schwerfällt, delegieren wir den Rücktritt gern an Sachzwänge: Das verletzte Knie gibt ein Comeback möglicherweise nicht mehr her. Ein Burn-out zwingt zur radikalen Umkehr. Das politische Amt war mit der Familie nicht länger vereinbar.

Wir können nie wissen, ob der Zenit wirklich überschritten ist oder es noch schöner kommen kann.

Für Sokrates war aber nur das geprüfte Leben ein gutes Leben. Damit meinte er, dass im tieferen Sinn glücklich nur jene Menschen sind, die ein Leben aus Gründen führen: Sie schlittern nicht blind durch die Tage und lassen die Umstände entscheiden, sondern nehmen ihr Leben selbst in die Hand. Sie entscheiden also bewusst fürs Weitermachen oder Aufhören und warten nicht ab, bis die Umgebung, der Vorgesetzte, der eigene Körper intervenieren. Wer äussere Sachzwänge persönliche Tatsachen schaffen lässt, entscheidet nicht selbst.

Eine alte Weisheit besagt, man müsse dann gehen, wenns am schönsten sei. Der Soziologe Harald Welzer schreibt in seinem Buch «Nachruf auf mich selbst. Die Kultur des Aufhörens» sogar: «Aufhören sichert das Erreichte, Weitermachen banalisiert es.» Doch stimmt das wirklich? Das Comeback von Abba mag ihr Werk tatsächlich banalisiert haben, weil es das Quartett lächerlich dastehen lässt. Aber nehmen wir an, Roger Federer starte nach der Pause abermals durch: Dann würde er nichts banalisieren, sondern im Tennisolymp noch höher steigen. Aufzuhören, wenns am schönsten ist, ist ein schlechtes Rezept: Wir können nie wissen, ob der Zenit wirklich überschritten ist oder es noch schöner kommen kann.

Vielversprechender scheint dagegen, sein Leben von hinten aufzurollen. Harald Welzer nennt das «Denken im Futur zwei». Sich vom Endpunkt des Lebens her zu fragen, wer man gewesen sein wird und was man erreicht haben will: Entspricht das Bild, das man gegenwärtig abgibt, dem Bild, das wir retrospektiv betrachtet von uns haben möchten? Von einer «imaginierten Zukunft» aus lässt sich die «Diktatur der Gegenwart» am ehesten brechen, schreibt Welzer.

Aufhören gelingt umso besser, je besser wir wissen, womit wir unsere Zeit stattdessen zubringen möchten.

So betrachtet, ist unsere Endlichkeit eine feine Sache: Sie zwingt uns, uns immer wieder neu auszurichten. Der antike Denker Seneca weist in seiner Schrift «Von der Kürze des Lebens» alle Klagen über die knappe Lebenszeit zurück: Unser Leben sei nicht kurz, sondern wir machten es kurz, indem wir unsere Zeit an Dinge verschwenden, die nicht länger der Mühe wert sind. Der Mühe wert ist das, womit wir unser Leben gefüllt haben wollen, wenn wir am Ende unserer Tage zurückblicken auf die kurze Zeit unseres Lebens.

Weil unsere Lebenszeit begrenzt ist, müssen wir immer wieder mit Dingen aufhören, um zu dem vorzudringen, was wir noch anpacken wollen. Aufhören gelingt umso besser, je besser wir wissen, womit wir unsere Zeit stattdessen zubringen möchten. Gerade das ist am Aufhören aber oft das Vertrackteste: Eine Vorstellung davon zu entwickeln, womit wir anfangen wollen, wenn wir aufgehört haben werden.

Der Anfang des Neuen ist nicht immer einfach zu finden. Denn das, was wir sind, ist eng verwoben mit dem, was wir bis anhin waren. Deshalb stimmt eben doch: Aller Anfang ist schwer. Und genau deshalb ist Aufhören noch schwerer.