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Früher Frust in Berlin
Die Grünen schlucken Kröten

Der Weg zur grünen Null wird schwer: Der grüne Klimaminister und Vizekanzler Robert Habeck stellte am Dienstag die Ausgangslage und die Ziele seines Ministeriums vor.
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Der Kampf gegen die Atomkraft ist einer der Gründungsmythen der deutschen Grünen. Generationen wurden in der Anti-AKW-Bewegung sozialisiert, der Ausstieg gilt als ihr historischer Erfolg. An Silvester feierten Grüne die Abschaltung von Brokdorf, bis Ende Jahr gehen auch die letzten drei deutschen Atommeiler vom Netz. Und nun das.

Die von den Grünen ansonsten hoch geschätzte Europäische Union plant, Investitionen in die Atomkraft und in Erdgas als «klimafreundlich» zu klassifizieren, wenigstens für eine Übergangszeit. Und die neue deutsche Regierung, in der die Grünen fast alle Ressorts verantworten, in denen die Klimapolitik neu bestimmt wird, kann dies nicht verhindern.

«Greenwashing» einer «Hochrisikotechnologie»

Eigentlich wollen die Grünen Deutschland nach dem Abgang von Angela Merkel mit dem beispiellosen Ausbau von Solar- und Windkraft ja zu einem Vorbild für die ganze Welt machen. Aber nicht einmal in Europa folgen bis jetzt allzu viele. Frankreich, fast ganz von der Atomkraft abhängig, hat viele ost- und einige westeuropäische Länder um sich geschart, um die Nuklearenergie als «grün» einzustufen. Deutschland hingegen, das künftig nicht nur auf AKW verzichten will, sondern ab 2030 auch auf Kohlestrom, wird eine Zeit lang auf zusätzliches Erdgas angewiesen sein – mit entsprechender Belastung des CO₂-Budgets.

Bei den deutschen Grünen reagierte man auf Brüssels ökologische Nobilitierung der Atomkraft mit einer Mischung aus Unglauben und Entsetzen. Das sei «Greenwashing» einer nicht nachhaltigen «Hochrisikotechnologie», sagte die neue Umweltministerin Steffi Lemke. Sie schloss aus, dass Deutschland dieser Einstufung zustimme – weiss aber selbstverständlich, dass diese wohl nicht mehr zu verhindern ist.

Auch für das Eingeständnis, eine Zeit lang mehr Erdgas verbrennen zu müssen, werden die Grünen heftig kritisiert. Luisa Neubauer, die deutsche Anführerin der Klimabewegung «Fridays für Future», twitterte: «Nichts an Erdgas ist grün. Nichts. Was für ein Wahnsinn.» Andere stellen den Nutzen einer grünen Regierungsbeteiligung bereits grundsätzlich infrage.

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16 Jahre lang haben die Grünen im Bund nicht mehr regiert, entsprechend gross waren Vorfreude und Erwartungen. Doch einen Monat nach dem Antritt der Ampelkoalition mit SPD und FDP herrscht bei den Grünen bereits gehörig Frust. Bei den Koalitionsverhandlungen opferten sie viele ihrer Lieblingsprojekte einer ehrgeizigen Klimapolitik und fühlten sich oft übervorteilt. Bei der Ressortverteilung mussten sie der FDP nicht nur das zentrale Finanzministerium abtreten, sondern verloren auch noch das für die Klimapolitik wichtige Verkehrsressort.

Die gescheiterte Kanzlerkandidatin Annalena Baerbock zielte lieber auf das Auswärtige Amt – und auf sich als erste Aussenministerin. In dieser Rolle ist sie nun zwar jeden Tag in den TV-Nachrichten zu sehen, realen Einfluss hat sie aber nur sehr wenig. Die Grüne möchte die Menschenrechte und den Feminismus ins Zentrum der deutschen Aussenpolitik stellen und autokratischen Regimes wie China, Russland oder der Türkei härter entgegentreten.

Sie ist viel zu sehen, hat aber wenig zu sagen: Die grüne deutsche Aussenministerin Annalena Baerbock beriet letzte Woche in Washington mit ihrem amerikanischen Amtskollegen über die Ukraine-Krise.

Baerbock kollidiert damit aber mit dem neuen Kanzler Olaf Scholz, der Merkels handelsorientierte «Realpolitik» im Wesentlichen fortführen will und diese Absicht in Peking und Moskau offenbar bereits hinterlegt hat. Als Vizekanzler der letzten Regierung hat der Sozialdemokrat zudem mit CDU/CSU kurz vor Schluss noch umstrittene Rüstungsexporte in Milliardenhöhe durchgewinkt – zum grossen Ärger der Grünen. Rhetorisch verteidigt Baerbock die von Scholz festgelegte vorsichtige Linie derzeit noch tapfer, aber in den eigenen Reihen wird sie dafür bereits vernehmbar kritisiert.

Auch in der Frage, ob der Sozialdemokrat Frank-Walter Steinmeier nochmals fünf Jahre als Bundespräsident wirken solle, mussten die Grünen zuletzt zerknirscht einlenken. Eigentlich hatten sie sich eine grüne Frau als Gegenkandidatin gewünscht, mussten aber einsehen, dass sie gegen SPD und FDP keine Mehrheit zustande bringen würden.

Und beim wichtigsten grünen Regierungsprojekt, der Energiewende, musste Robert Habeck, der neue «Superminister» für Wirtschaft und Klima, am Dienstag einräumen, dass schnelle Erfolge nicht in Sicht seien. Man starte mit so viel Rückstand, dass man die noch von der letzten Regierung gesetzten ambitionierten Klimaziele voraussichtlich weder in diesem noch im nächsten Jahr erreichen werde. «Die Aufgabe ist gross, ja gigantisch», bilanzierte Habeck. In den Ohren der bereits jetzt enttäuschten Grünen und ihrer Wählerinnen und Wähler klang es wie eine erneute Gewinnwarnung.