Wahlen in GenfDie Genfer lassen ihren einstigen Politstar Pierre Maudet fallen
Pierre Maudet hat sich, die FDP und beinahe auch den Kanton Genf in den Abgrund getrieben. Die Stimmbürger haben ihn nun gestoppt und ihm einen Denkzettel verpasst.
Pierre Maudet pokerte hoch. Er ging «all in», als er im Oktober 2020 als Staatsrat zurücktrat. Seinem unerschütterlichen Selbstbewusstsein entsprach, dass er sich sogleich als sein eigener Nachfolger präsentierte. Der Zeitpunkt für das Manöver schien ihm ideal. Auch der Kanton Genf ist wegen der Coronapandemie in eine Krise geschlittert. Die Bürger sind verunsichert. Viele ängstigen sich vor einer hohen Arbeitslosigkeit und ihrem persönlichen wirtschaftlichen und sozialen Abstieg.
Dieses Bild vor Augen war Maudet überzeugt, dass sich die Genfer in dieser Situation eine starke Führung wünschten: einen Macher wie ihn, einen Takt- und Ideengeber, einen Utopisten. Und natürlich war da seine ruhmreiche Vergangenheit. Er galt einst als Genfs Politwunderkind. Er war der Politstar der letzten zwei Jahrzehnte. Er sollte der nächste Genfer Bundesrat werden. Nun konnte er sich als Opfer des Systems, einer rachsüchtigen Justiz und eines scheinbar unfähigen Staates inszenieren.
Dazu kam: Ernsthafte Konkurrenten konnte er weder auf Seiten der Linken noch der Rechten erkennen. Vor allem eines war dem 43-Jährigen wichtig: Schaffte er die Wiederwahl, durfte er wieder Führungsansprüche anmelden. Denn mit dem Plebiszit würde das Volk ihm jene Macht zurückgeben, die ihm die Regierung entrissen hatte.
Linke stimmte geschlossen
Doch gestern Sonntag, kurz vor 13 Uhr, musste sich Maudet eingestehen, dass er sich verpokert hatte. Die Macht war definitiv weg, denn die Genferinnen und Genfer waren nicht bereit, ihn zu rehabilitieren. Sie wollten ihn nicht mehr im Staatsrat. An seiner Stelle votierten sie in der Ballotage für die grüne Kandidatin Fabienne Fischer, die schon den ersten Wahlgang gewonnen hatte. 42 Prozent der Wählerinnen und Wähler stimmten für Fischer, nur 34 Prozent für Maudet. Die restlichen Stimmen gingen an Delphine Bachmann (Die Mitte) und Yves Nidegger (SVP).
Maudet scheiterte auch daran, dass die Linke geschlossen für Fischer stimmte, während sich die bürgerlichen Stimmen auf drei Kandidaten verteilten. Mit der Wahl von Fabienne Fischer kippt die Mehrheit in der Genfer Regierung nun nach links.
Sein Befreiungsschlag ist Maudet damit misslungen. Seine politische Karriere, die er als 28-Jähriger in der Genfer Stadtregierung direkt nach Abschluss seines Jus-Studiums begann und die er selbst- und machbewusst vorantrieb, ist vorerst beendet. Stets als «animal politique», als politisches Tier, bezeichnet, ist Maudet auch ein Instinktpolitiker. Für einmal hat ihn sein sonst feiner Instinkt betrogen. Sein Mandat als Staatsrat erlischt offiziell am 28. April um Mitternacht.
Viele Feinde geschaffen
Der Moment ist bitter für den Berufspolitiker. Doch im Grunde befindet sich der einstige Bundesratskandidat für die Nachfolge von Bundesrat Didier Burkhalter seit 2018 im freien Fall. Noch im Mai 2018 war er als einziger amtierender Staatsrat im ersten Wahlgang wiedergewählt worden. Er schien unantastbar.
Doch dann fiel er wegen seiner Lügen rund um seine Luxusreise nach Abu Dhabi vom November 2015 in Ungnade. Die Regierung setzte Maudet als Staatsratspräsidenten ab, entzog ihm später die Verantwortung über die Justiz und Polizei und nahm ihm wegen massiver Probleme in der Personalführung auch die Wirtschaftsförderung weg.
Maudet überwarf sich auch mit seiner Partei. Im Sommer 2020 trennte sich die FDP von ihrem einst gefeierten Wunderkind, wobei sich der Genfer Freisinn in ein Pro-Maudet und ein Kontra-Maudet-Lager entzweite. Der letzte Tiefschlag kam für Maudet Ende Februar: Das Genfer Polizeigericht verurteilte ihn wegen Vorteilsannahme erstinstanzlich.
Die Niederlage war nicht sicher
Damit wuchs sich der Fall Maudet definitiv zum grössten Polit-Skandal der jüngeren Schweizer Geschichte aus. Und trotzdem war keineswegs sicher, ob die Genfer Maudet fallen lassen würden. Denn die Republik am Ende des Lac Léman tickt anders. Vom Rest der Schweiz lässt man sich sowieso nicht reinreden. Hingegen lässt man sich von selbstbewusst und eloquent auftretenden Politikern gerne verführen.
«Wenn ein Politiker alle belügt und er wird wiedergewählt, ist das verheerend für die Demokratie.»
Die Genfer Regierung befasste sich jedenfalls bereits mit dem Szenario, Maudet wieder ein Departement geben zu müssen. Das ist jetzt nicht mehr nötig. Die Departementsverteilung wäre auch schwierig geworden. Staatsrat Antonio Hodgers (Grüne) sagt: «Wenn ein Politiker alle belügt und er wird wiedergewählt, ist das verheerend für die Demokratie. Ich stellte mir immer eine Szene in einem Schulzimmer vor, bei der ein Lehrer einem Schüler die Wiederwahl erklären muss. Wie will man da noch von einer gesunden Demokratie sprechen?»
Lebenslange Rente
Die Frage am Sonntagmittag war: Würde sich Pierre Maudet nach dieser Wahlniederlage in der Genfer Innenstadt überhaupt noch blicken lassen? Würde er nicht einfach zermürbt und wortlos durch den Hinterausgang von der politischen Bühne verschwinden? Immerhin hatte Maudet sämtliche Radio- und Fernsehauftritte abgesagt, egal ob er die Wahl gewinnen oder verlieren würde.
«Ich bleibe der Politik in einer anderen Form erhalten.»
Maudet erschien. Sein Auftritt war kurz, seine Rede knapp. Auf Fragen ging er nicht ein. Wahlsiegerin Fabienne Fischer gratulierte er mit einer «Bumpfist». Er sei enttäuscht, während des Wahlkampfs habe er alles gegeben, sagte der 43-Jährige. Dem Kanton stehe er weiter zur Verfügung, er bleibe der Politik in anderer Form erhalten, so Maudet. «Für mich beginnt jetzt eine Zeit des Rückzugs und der Reflexion», betonte er und sprach davon, während seines Wahlkampfs habe er junge Menschen und Unternehmer getroffen, die angstvoll in die Zukunft blickten.
Tatsächlich hat er im Wahlkampf sehr oft über Ängste gesprochen, auch um sich als Problemlöser zu präsentieren. Um seine eigene finanzielle Zukunft muss sich Maudet wenig Sorgen machen. Der 43-Jährige hat das Recht auf eine lebenslange Rente von rund 90’000 Franken jährlich.
Die Leichtigkeit ist verfolgen
Maudets Auftritt am Sonntag passt ins Bild der vergangenen Wochen. Seine Leichtigkeit des Seins ist längst verflogen. Dabei waren Wahlkämpfe für ihn in seiner bisherigen Karriere stete Energiequellen. Er lebte davon, im Aufeinandertreffen mit Genferinnen und Genfern auf Strassen und Plätzen, die Menschen zu überzeugen. Als Dank für sein Engagement fühlte er sich von ihnen auf Händen getragen. Auch ein Machtpolitiker wie Maudet brauchte Zuspruch und Bewunderung für sein Selbstbewusstsein als Politiker.
Lesen Sie dazu den Kommentar zur Abwahl des Genfers.
Doch die Zeiten haben sich geändert. An der Urne zeigte sich: Wegen seiner Lügen und Eskapaden haben sich viele Bürgerinnen und Bürger vom 43-Jährigen abgewandt. Sie dürften sich auch darum von ihm distanziert haben, weil er selbst vor Gericht so wirkte, als hätte er sich und sein Handeln nie hinterfragt. Selbst die Angst vor einer linken Regierung vermochte bürgerliche Wähler nicht zurück zu Maudet zu treiben.
Doch mit Maudet ist in der Genfer Politik weiter zu rechnen. Bereits 2023 finden Gesamterneuerungswahlen statt. Zur Ersatzwahl ist Maudet als Parteiloser angetreten, um ihn herum hat sich nun aber eine Partei mit dem Namen «Élan Radical de Genève» gebildet, der viele ehemalige Freisinnige angehören dürften.
Noch ist offen, wie gross, dynamisch und glaubwürdig diese Bewegung wirklich ist und wer ihre führenden Köpfe sind. Sicher ist: In zwei Jahren wird sie die Genfer Politik aufmischen wollen, mit Pierre Maudet an ihrer Spitze. Für seine Anhänger bleibt er ein Held. Und für die neue Regierung gilt: Sie muss jetzt zeigen, dass sie auch ohne Maudet viel bewirken kann.
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