Never Mind The Markets: Inflation wegen CoronaDie Geldmenge explodiert – und keinem fällts auf
Seit dem Ausbruch der Pandemie kam es in den USA zu einer starken Zunahme der Geldmenge. Was lief da anders als in der Eurozone?
Seit der letzten Finanzkrise im Jahr 2009 befinden sich alle wichtigen Volkswirtschaften in einem geldpolitischen Sondersetting. Die Zinsen wurden auf Null oder unter Null gesenkt, und die Zentralbanken starteten gigantische Wertpapierkaufprogramme (in der Schweiz Devisenkäufe), wodurch sich ihre Bilanzsummen vervielfachten. Die massiven Kaufprogramme führten zu massiver Geldschöpfung in Form von Zentralbankengeld. Das heisst: Durch die Verkäufe von Wertpapieren (oder Devisen) der Geschäftsbanken an die Zentralbank erhöhte sich deren Guthaben bei der Zentralbank. Doch die Schaffung dieses Zentralbankengeldes führte nicht dazu, dass es auch zu einer entsprechenden Zunahme des in der Wirtschaft umlaufenden Geldes kam. Dieses wird mit den Geldmengenaggregaten M1, M2 oder M3 gemessen, welche zum grössten Teil aus Guthaben bei den Geschäftsbanken bestehen. Und bei diesen Geldmengenaggregaten sehen wir bis 2019 keine aussergewöhnlichen Zunahmen.
Seit dem Ausbrauch der Corona-Pandemie gilt dies für die USA allerdings nicht mehr. Dort ist die Geldmenge M1, welche neben Sichtguthaben auch Bargeld umfasst, förmlich explodiert. Seit Beginn des Jahres 2020 erhöhte sich M1 um mehr als 50 Prozent auf rund 6.2 Billionen Dollar, wobei diese Zunahme mehr als 10 Prozent des BIP der USA ausmacht. Das ist ein zumindest in der Nachkriegszeit einmaliger Anstieg. So schrieb denn auch der Anlagestratege Mark Wilson von der Morgan Stanley Bank vor kurzem: «Man kann behaupten, dass wir noch nie ein so hohes Wachstum der Geldmenge beobachtet haben.» Weil die Öffentlichkeit aber durch Präsidentenwahlen und Covid-19 in den letzten Monaten stark absorbiert war, ist das kaum jemandem aufgefallen.
Die Entwicklung lässt sich in dieser extremen Form nur in den USA beobachten. In der Eurozone, in der Schweiz oder auch im Vereinigten Königreich erfolgte 2020 zwar auch eine stärkere Zunahme von M1 als in den Jahren zuvor, aber die Wachstumsraten blieben im Vergleich zu den USA moderat. Da drängt sich die Frage auf, was die Geldmenge M1 in den USA explodieren liess.
«Bankkredite an Unternehmen verzeichneten von Februar bis Juni eine Zunahme um 32 Prozent, was rekordverdächtig ist.»
Um diese Zunahme zu verstehen, muss man eine Vorstellung davon haben, wie Geld in einer heutigen Wirtschaft in Umlauf kommt. Eine Geschäftsbank kann über Kreditvergabe oder den Kauf von Aktiven (insbesondere Wertpapiere oder Devisen) Geld in Form von Sichtguthaben schaffen, ohne dass vorher Ersparnisse auf dem Konto der Bank einbezahlt wurden. Wann immer eine Bank einen Kredit vergibt oder ein Wertpapier von Kunden erwirbt, wird der jeweilige Betrag dem Sichtguthaben des Kunden bzw. des Kreditnehmers gutgeschrieben. Auf diese Weise erhöht sich die Geldmenge M1 um denselben Betrag.
In den USA können wir dieses Jahr tatsächlich sowohl eine starke Zunahme der Kreditvergabe als auch eine Zunahme der Käufe von Wertpapieren beobachten. Bankkredite an Unternehmen (industrial and commercial loans) verzeichneten von Februar bis Juni eine Zunahme um 32 Prozent, was ebenfalls rekordverdächtig ist. Seither hat sich das Kreditvolumen zwar wieder etwas reduziert, aber es bleibt auf hohem Niveau. Gleichzeitig haben die Geschäftsbanken in grossem Stil Staatschulden sowie durch Hypothekarkredite gesicherte Wertpapiere gekauft. Auf diese Weise wurde stets neues Geld geschaffen, was zu der rasanten Erhöhung von M1 führte.
Sowohl die erhöhte Kreditvergabe als auch der verstärkte Kauf von Wertpapieren im Jahr 2020 sind letztlich das Resultat der staatlichen Hilfen, welche den Zusammenbruch der Wirtschaft nach Ausbruch der Covid-19-Pandemie verhindern sollten. Diese Hilfsprogramme führten in den USA zu einem unübersichtlichen Mix aus Zinssenkungen, Wertpapierkaufprogrammen und speziellen Hilfskrediten, welche stets zu weiteren Geldmengenerhöhungen führten.
Was sind die Folgen dieser Geldmengenexplosion?
In der realen Wirtschaft lassen bisher kaum Auswirkungen beobachten. Die Preise von Gütern und Dienstleistungen sind bis jetzt nicht angestiegen. Die Geldschwemme dürfte sich viel eher auf die Finanzmärkte ausgewirkt haben. An der Börse stiegen die Preise seit März zu neuen Rekordhöhen. Und der Immobilienmarkt befindet sich seit Frühling ebenfalls in einem bemerkenswerten Aufschwung. Mit anderen Worten: Die Inflation findet auf Finanz- und Immobilienmärkten, aber nicht in der Realwirtschaft statt.
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