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Meinung

Kinder im Zeitalter der Masken
Die Gabe, ein halbes Gesicht zu lesen

Der Stoff, aus dem die Ängste sind: Mutter mit Schutzmaske und Kind.
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Wenn ein Kind umfällt, geht sein erster Blick zur Mutter. Nicht nur, weil der Sturz wehgetan hat. Nicht nur, weil er Angst auslöst. Nicht nur, weil das Kind jetzt Trost braucht, Pflaster und Sirup.

Sondern vor allem, damit es an der Reaktion der Mutter abschätzen kann, wie schlimm sein Hinfallen zu werten ist. Wie reagiert die Mutter darauf – gelassen, erschrocken, indifferent, gar verächtlich? Das Gesicht der Mutter wird zum Spiegel der kindlichen Erfahrung.

Was aber, wenn das Kind das Gesicht seiner Mutter nicht lesen kann? Kleine Kinder reagieren auf die Corona-Masken der Erwachsenen mit Angst. Eltern erleben es, Lehrerinnen erzählen davon, Leiter von Kindertagesstätten bestätigen es. Radio SRF brachte am Dienstag eindringliche Beispiele aus der Waadt. Die Kinder sehen das Lachen des Vaters nicht mehr, sie hören es bloss. Und können von einer gewissen Distanz aus nicht mehr sagen, ob auf dem Balkon die Mutter steht oder die Nachbarin.

Wie lebenswichtig die Nähe des Kindes zu seinen Eltern bleibt, zeigen die Erfahrungen des Gegenteils. Kinder, die nie gehalten, gestreichelt oder geschaukelt werden, gehen an Liebesmangel zugrunde. Buchstäblich: Sie sterben.

Kein Corona-Trauma

Nun lieben Eltern ihre Kinder nicht weniger, nur weil sie eine Gesundheitsmaske tragen. Trotzdem geht die Frage um: Durchlebt die heranwachsende Generation Corona ein Trauma? Versäumt sie es, eine lebenswichtige Fähigkeit zu lernen? Werden diese Kinder Mühe haben, die Mimik der anderen zu decodieren?

Das Wechselspiel von 26 Muskeln im Gesicht drückt aus, ob wir zufrieden wirken, spöttisch, verletzt, wütend oder gekränkt. Dabei sind Kombinationen möglich, was zu ambivalenten Gesichtsausdrücken führt. Wenn zum Beispiel der Mund lacht, aber die Augen nicht. Dann weiss jedes Kind, dass das Lachen nur gespielt ist. Ausser die Kinder, die Gesichter nur noch zu einem Drittel sehen.

Sie lernen schnell dazu

Erst mit 6 Jahren beginnen Kinder, Gesichter richtig zu lesen, erst mit 14 Jahren haben sie es ganz drauf. Sie durchlaufen also einen komplexen Lernprozess. Daraus zu schliessen, der Generation Corona würde bei der nonverbalen Kommunikation Entscheidendes fehlen, ist trotzdem falsch. Erstens haben die Eltern zu Hause, wo der Kontakt am wichtigsten ist, keine Maske auf. Damit relativieren sich die meisten potenziellen Defizite.

Dazu kommt zweitens unsere Fähigkeit, auf einen anderen Kanal zu wechseln, wenn der eine beschädigt ist oder kaputt. Blinde können anhand von Schnalzlauten erkennen, ob sie vor einem Hindernis stehen. Taube bringen es mit dem Lippenlesen beachtlich weit.

Drittens wachsen viele Kinder in asiatischen Ländern mit den Schutzmasken ihrer Eltern auf und viele muslimische Kinder mit ihren verhüllten Müttern, ohne dass sie nachweislichen Schaden nehmen.

Schliesslich lernen Kinder aus der Erfahrung schnell und justieren ihren Zugang. Erst verlieren sie ihre Angst vor den maskierten Erwachsenen und dann ihre Orientierungslosigkeit. Es spielt keine Rolle, ob die Eltern Masken tragen oder nicht. Sondern wie sie mit dem Kind umgehen, wie beruhigend sie wirken, wie warmherzig. Am wichtigsten bleibt der Blick. Geht der dauernd aufs Handy, spielt auch die Maske keine Rolle mehr.

26 Gesichtsmuskeln drücken aus, wie uns zumute ist.