Zum Tod von Hans WeissBis zuletzt kämpfte er gegen die Verschandelung der Schweiz
Ein Leben setzte er sich für den Erhalt unserer Landschaften ein. Blick zurück auf die schlimmsten Planungssünden und die erfolgreichsten Rettungsaktionen.
Hans Weiss, Mitbegründer der Stiftung Landschaftsschutz Schweiz, ist am 13. Oktober im Alter von 84 Jahren gestorben. Während über 60 Jähren kämpfte er gegen die «friedliche Zerstörung der Schweiz», wie er es nannte. Bis kurz vor seinem Tod war er politisch aktiv. Aus Anlass seines Todes veröffentlichen wir noch einmal diesen Artikel aus dem Jahr 2020, als er zu seinem 80. Geburtstag zurück auf sein Lebenswerk schaute.
Konzentriert sitzt er am Computer in seiner Berner Altbauwohnung und stöbert nach Fotos von zerstörten Flussläufen, Wiesen und Hügeln. Tausende davon hat er in den letzten Jahrzehnten gemacht und archiviert. Hans Weiss, 80, der Doyen des Schweizer Landschaftsschutzes, ist noch immer voller Leidenschaft, wenn es um sein Lebensthema geht.
Eben hat er ein Buch veröffentlicht, in dem er aufzeigt, was schiefläuft in unserem Land, weshalb durch Ignoranz, Geldgier und Dilettantismus schönste Naturgebiete verschwinden. Aber auch, wie Landschaften vor dem Zugriff von Baggern und Betonmischern bewahrt werden konnten.
Auch seine persönliche Geschichte spielt in dem Buch eine Rolle. So schildert er seine erste Rettungsaktion als Student. Es ging um den berühmten Wasserfall bei Foroglio im Val Bavona TI – eine Naturgewalt, die ihn schon als Kind bei Familienwanderungen fasziniert hatte. Nun sollte der Wasserfall einem Kraftwerk weichen. Kurzerhand schrieb er dem damaligen Tessiner Bundesrat Nello Celio einen Protestbrief. Dieser antwortete persönlich, zeigte Verständnis, verwies ihn aber an Bundesrat Hans-Peter Tschudi weiter.
Bei Tschudi fand er Gehör – der Wasserfall blieb erhalten. Und Weiss hatte eine Aufgabe gefunden, die ihn sein Leben lang nicht mehr loslassen sollte. Die acht wichtigsten Punkte seines Engagements.
Kampf der Verschandelung
Das Problem der Landschaftszerstörung durch Verkehrs-, Wohn- und Industriebauten ist schon lange erkannt. 1987 wurde die Rothenthurm-Initiative zum Schutz der Moorgebiete überraschend mit 56 Prozent Ja-Anteil angenommen. Die Alpen-Initiative erreichte 1994 eine Zustimmung von 52 Prozent, die Zweitwohnungsinitiative (2012) von 51, die Abstimmung über das Raumplanungsgesetz (2013) sogar von 63 Prozent.
Trotzdem schreitet die Zubetonierung des Landes stetig voran. Laut Bundesamt für Statistik wachsen die Siedlungsflächen etwa im Gleichschritt mit der Bevölkerungszahl. Hans Weiss betont im Buch aber mehrmals, dass für ihn das Problem nicht beim Bevölkerungswachstum liege, sondern bei der mangelhaften Planung, dem Renditedenken und dem kurzfristigen Horizont von Politikern, die bereit sind, für mehr Steuereinnahmen die schönsten Hänge zu opfern. Aber auch beim hochmobilen Lebensstil der Menschen, der eine stetig wachsende Verkehrsinfrastruktur erfordert. Und ausgebaute Strassen und Schienen führen wiederum zu noch mehr Verkehr.
Das Paradebeispiel
Der Erhalt der Oberengadiner Seenlandschaft gilt als Vorzeigebeispiel für einen erfolgreichen Landschaftsschutz. 1963 wurde fast die ganze Ebene zwischen Silvaplaner- und Silsersee zu Bauland erklärt. Eines der schönsten Täler der Alpen, das Gäste aus aller Welt anlockt und von Dichtern wie Friedrich Nietzsche und Rainer Maria Rilke gerühmt worden war, sollte mit Ferienhäusern vollgepflastert werden. Die Pläne riefen einen Sturm des Protests hervor.
In der Folge verhängte der Kanton Graubünden ein weitreichendes Bauverbot für sämtliche Gebiete ausserhalb der Bauzone sowie eine strikte Reglementierung für die Bebauung innerhalb. Das Grossprojekt im Engadin wurde auf ein Fünftel der ursprünglich geplanten Fläche reduziert – für die Landschaftsschützer ein akzeptabler Kompromiss. Der Fall hatte Modellcharakter für die ganze Schweiz.
Weiss war damals als Leiter des Bündner Amtes für Landschaftsschutz einer der Architekten dieser Lösung. In der Öffentlichkeit wurde aber hauptsächlich der prominente Naturschützer Franz Weber (1927–2019) als Retter gefeiert. Weiss sieht Webers Rolle kritisch. Einerseits sei ein solch langwieriges und grosses Unterfangen nie das Werk einer Einzelperson, andererseits sei Webers Methode «Schutz durch Landkauf» zweifelhaft. «Man sollte nicht teures Land kaufen müssen, um es zu retten, sondern alles dafür tun, dass es auf öffentlich-rechtlichem Weg geschützt wird», sagt Weiss.
Problemzone Wallis
Für jeden Berggänger ist augenfällig: Im Wallis stehen viel mehr hässliche und überdimensionierte Gebäude an unpassenden Stellen als in Graubünden. «Das Wallis hat immer noch zu grosse Bauzonen und keine ausreichenden Quartiergestaltungspläne», erklärt Weiss. Man lasse sich dort ungern dreinreden.
Trotzdem konnte der Natur- und Landschaftsschutz auch im Wallis wegweisende Erfolge feiern. Zum Beispiel in den 1970er-Jahren, als im Aletschgebiet eine neue Wasserversorgung geplant war. Die Zufahrtsstrasse hätte den Charakter des heutigen Weltnaturerbes nachhaltig zerstört. Dies konnte verhindert werden. Ein anderes Beispiel sind die traditionellen Rebberge von Salgesch, die man für den industriellen Weinanbau planieren wollte. Bäume, Sträucher und altes Mauerwerk hätten weichen müssen. Weiss hat den Fall bis vor Bundesgericht gezogen – und gewonnen. Heute ist das idyllische Weingebiet ein Touristenmagnet.
Siedlungsbrei im Flachland
Viele Landschaften in der Schweiz sind durch locker verstreute Einfamilienhäuser, Einkaufs- und Logistikzentren zerstückelt. Besonders augenfällig ist dies in der Magadino-Ebene im Tessin oder im Talkessel von Schwyz, wo nicht mehr auszumachen ist, wo ein Ort endet und der nächste beginnt. Von einer Raumplanung, die ihren Namen verdient, kann da keine Rede sein.
Für Hans Weiss ist aber nicht nur entscheidend, wo gebaut wird, sondern auch wie. Viele Gebäude haben heute eine schachtelartige Form, um die maximal zugelassene Kubatur vollständig auszunutzen. Solche gesichtslosen Bauten haben keinerlei Beziehung zu gewachsenen Ortsbildern und Landschaften.
Ebenfalls auffällig ist die Verschandelung in vielen Tiefsteuergemeinden, wo man die schönsten Hänge mit Seesicht an die Meistbietenden verschachert hat. Geschmacklose Luxusvillen ohne jeglichen Ortsbezug sind das Resultat. Gehäuft zu sehen etwa in Wollerau SZ, in Walchwil ZG oder in Gemeinden der Zürcher Goldküste.
Modebegriff «Verdichtung»
Ist von Zersiedelung und Landverbrauch die Rede, so fällt als Lösungsansatz meist der Begriff: «Verdichtung». Das heisst, dass mehr Menschen auf wenig Fläche leben sollen. Die Verdichtung gilt als Allheilmittel, nicht nur für den Landschaftsschutz, sondern auch gegen die Wohnungsnot in den Städten.
Hans Weiss allerdings distanziert sich von diesem Begriff, bezeichnet ihn als «Worthülse». Denn meistens gehe es dabei bloss darum, die Ausnutzung eines Grundstücks und damit den Gewinn zu maximieren. Die Folge sei eine unansehnliche Zweckarchitektur, die überall gleich aussehe. Weiss redet deshalb lieber von einer «konzentrierten Bauweise», die raumsparendes Wohnen mit hoher Qualität der Aussenräume mit vielfältigen Nutzungen erlaubt.
Landwirtschaft
Natur- und Landschaftsschutz sind zwei eng verwandte Gebiete. Hans Weiss räumt in seinem Kampf der Raumplanung klare Priorität ein. «Ist ein Gebiet einmal zubetoniert, so ist das unumkehrbar», sagt er.Sorgen bereitet ihm vor allem die Zweckentfremdung bestehender landwirtschaftlicher Gebäude ausserhalb der Bauzone. Aus einem Stall wird ein Restaurant, aus einem Rustico eine komfortable Ferienwohnung – und für alles braucht es Zufahrtsstrassen, Strom und Wasserleitungen. «Vieles, was da gebaut wird, ist aus meiner Sicht illegal», sagt er.
Besonders ärgert ihn zurzeit der «Swiss Bike Park» in Oberried bei Köniz BE, ein riesiger Mountainbike-Parcours, mitten in der Landwirtschaftszone. Für ihn ist das «eine massive Verwundung, ein Fremdkörper mitten in einer intakten Landschaft und klar bundesrechtswidrig». Weiss hat ein Drohnenbild der Anlage machen lassen, um der Öffentlichkeit die Dimension des Eingriffs vor Augen zu führen.
Der dehnbare Begriff des «betriebsnahen Bauens» im Raumplanungsgesetz ermögliche zudem, dass ausserhalb der Bauzone ständig neue Gebäude entstünden, zum Beispiel riesige landschaftsverschandelnde Ställe für die Geflügelzucht.
Bei der Umzonung von Landwirts- in Bauland konnte der Schweizer Landschaftsschutz hingegen schon mehrfach Erfolge feiern. Der wichtigste war 2004, als der amerikanische Chemiekonzern Amgen auf der grünen Wiese in Galmiz FR eine gigantische neue Fabrik für angeblich 10’000 Mitarbeiter bauen wollte. Das Projekt scheiterte. «Das war enorm wichtig, die von den Behörden durchgewinkte Einzonung war ein raumplanerischer Super-GAU», sagt Weiss.
Wald als Retter
Die Raumplanung ist in erster Linie Sache der Kantone und der Gemeinden. Laut Weiss bestehen zwei Hebel, um trotzdem auf Bundesebene Einfluss zu nehmen. Einerseits via Bundessubventionen, denn wenn der Bund Geld gibt, verpflichten ihn Verfassung und Gesetz zur bestmöglichen Schonung der Landschaft.
Wichtiger ist allerdings der seit 1902 bestehende Waldschutz auf nationaler Ebene. Dieser ist sehr weitreichend: Alle mit Bäumen oder Waldsträuchern bewachsenen Areale gelten als Wald und dürfen nur in Ausnahmefällen gerodet werden. Wenn das Interesse an der Rodung jene am Schutz des Waldes übersteigt – etwa für den Schienenbau –, muss Ersatz geleistet werden.
Weiss fordert eine Ausweitung dieser Regelung: «Was vor mehr als 100 Jahren für den Wald geschaffen wurde, muss auch heute noch möglich sein. Dass für das Bauen auf landwirtschaftlichem Boden und in der freien Landschaft Realersatz geleistet werden muss.»
Fatale Energiewende
Es ist das grosse Dilemma der Ökologen: Einerseits fordert man vehement einen höheren Anteil an erneuerbarer Energie, andererseits geht deren Produktion häufig einher mit einer Zerstörung von Natur und Landschaft. Die Windparks mit ihren 200 Meter hohen Windrädern gehören zum Schlimmsten, was man einer intakten Gegend antun kann. Entsprechend wehrt sich Hans Weiss gegen jedes neue Projekt.
Auch spricht er sich gegen einen weiteren Ausbau der Wasserkraft aus. «Die Wasserkraft in der Schweiz ist zu 90 Prozent ausgereizt, der Beitrag von neuen Kraftwerken ist mengenmässig unerheblich und könnte bereits durch geringfügige Sparmassnahmen ersetzt werden», sagt Weiss.
Sollten sich tatsächlich Elektroautos durchsetzen, wird der Bedarf nach sauberem Strom allerdings noch stark ansteigen. Moderne Atomkraftwerke könnten eine Lösung sein, stehen zurzeit aber nicht zur Diskussion, auch nicht für Hans Weiss. Er setzt stattdessen vor allem auf das brachliegende Potenzial für Solaranlagen auf Hausdächern.
«Praktisch alle Naturlandschaften, welche im Corona-Jahr gerne besucht wurden, sind nur deshalb intakt, weil Organisationen des Natur- und Landschaftsschutzes für ihre Rettung kämpften.»
Weiss ist sich bewusst, dass viele Leute ihn und Landschaftsschutz-Organisationen vor allem als Verhinderer wahrnehmen, die Projekte durch lästige Einsprachen unnötig verteuern und verzögern. «Auch wenn man sich unbeliebt macht und oft scheitert, der Einsatz lohnt sich trotzdem», sagt er. Das werde in diesen Zeiten besonders deutlich: «Praktisch alle berühmten Naturlandschaften, welche im Corona-Jahr gerne besucht und von Tourismusagenturen propagiert wurden, sind nur deshalb intakt, weil Organisationen des Natur- und Landschaftsschutzes seinerzeit für ihre Rettung kämpften. Zum Beispiel das Aletschgebiet, die Greina, das Lavaux, das Oberengadin und viele mehr.»
Hans Weiss: Achtung: Landschaft Schweiz. Vom nachhaltigen Umgang mit unserer wichtigsten Ressource. AS-Verlag, 279 S. ca. 40 Fr.
Hier wird Inhalt angezeigt, der zusätzliche Cookies setzt.
An dieser Stelle finden Sie einen ergänzenden externen Inhalt. Falls Sie damit einverstanden sind, dass Cookies von externen Anbietern gesetzt und dadurch personenbezogene Daten an externe Anbieter übermittelt werden, können Sie alle Cookies zulassen und externe Inhalte direkt anzeigen.
Fehler gefunden?Jetzt melden.