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Meinung

Analyse zur Kontroverse um Rammstein
Die Frauen sollten klagen – nur so kann Lindemann sich angemessen verteidigen

«Neue deutsche Härte» nannten sie ihre Musik: Rammstein-Sänger Till Lindemann bei einem Konzert. 
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Wars das jetzt? Ausgerüttelt und ausgebrannt, ausgeschriehen und fertig geschockt und provoziert mit der Feier des Triebhaften? Noch weht es als Gerücht durch die Medien, aber es klingt plausibel: Es kann sein, dass Rammstein jetzt, am Ende ihrer laufenden Europatournee, die Trennung vollziehen und auseinandergehen.

Möglicherweise haben sie von sich selbst genug bekommen. Dass die Musiker den Lärm nicht mehr brauchen, den sie seit fast 30 Jahren veranstalteten, kann man verstehen. Es war schon ihrer letzten Platte «Zeit» anzuhören, deren Texte sich lasen wie eine Abfolge von Abschiedsbriefen. So gesehen, hätten die schwerwiegenden Vorwürfe keinen Einfluss auf den möglichen Entscheid der Band gehabt, sich aufzulösen. Ihre Geisterbahn ist abgebrannt.

Die grosse Frage der Freiwilligkeit

Unabhängig davon, ob Rammstein sich trennen oder nicht, müssen die Vorwürfe gegen Till Lindemann untersucht werden. Denn diese sind erheblich. Mehrere Frauen haben in den vergangenen Wochen in den Medien wiederholt Anschuldigungen erhoben. Der Musiker habe weibliche Fans systematisch hinter die Bühne gelockt, wo es immer wieder zu Sex gekommen sei. Umstritten ist, wie einvernehmlich die jeweiligen Handlungen waren. Ob psychischer Druck ausgeübt und sogar gefügig machende Drogen eingesetzt wurden.

Viele Frauen behaupten das; Frontsänger Till Lindemann, seine Band und seine Anwälte bestreiten es. Schon deshalb müssen die Frauen unbedingt vor Gericht, denn nur so kann sich Lindemann gegen ihre Kritik verteidigen. In einer Demokratie entscheidet der Rechtsstaat, und das gilt auch hier. Darum gilt gegen Lindemann bis auf weiteres die Unschuldsvermutung.

Der Fall Kevin Spacey hat gezeigt, dass selbst ein Mann, der von mehreren Männern der sexuellen Belästigung angeklagt wurde, für unschuldig erklärt werden kann. Spacey wurde in New York und London von allen Vorwürfen freigesprochen, ausser jenen, die er schon vor Jahren zugegeben hatte. Also reicht öffentlich gemachte Kritik noch nicht als Beleg eines Fehlverhaltens, so leicht sie die kollektive Empörung auch schürt.

Wir dachten, da würden keine Handlungen, sondern Fantasien beschrieben. Jetzt müssen Gerichte herausfinden, was stimmt.

Man kann in all diesen Vorwürfen und angeblichen Skandalen auch das Gute sehen, die mögliche Nachwirkung eines Weinstein-Effekts. Denn seit seiner Verurteilung müssen Männer damit rechnen, für sexuelle Belästigung verklagt zu werden. So gesehen, passen die Klagen gegen Rammstein zum Genre, das sie betreiben. Dass die Rockkultur den systematischen Sexismus feiert und den männlichen Egoismus, war schon immer so und wurde entweder gelebt, geduldet oder verschwiegen – unter der Annahme, dass die Groupies, wie die jungen Frauen damals genannt wurden, es genauso haben wollten.

Insofern trifft die Kritik mit Rammstein eine besonders demonstrative Band. Die Ostdeutschen haben sich in ihrer Karriere offen mit der Lust an der Gewalt, mit Dominanz und Erniedrigung, mit sadistischer Sexualität und Freude an der Qual beschäftigt und diese Regungen in ihren Texten, Auftritten und Videos inszeniert. Rammstein taten dies mit musikalischer Wucht und lyrischer Kraft, aber wir dachten immer, da würden keine Handlungen, sondern Fantasien beschrieben. Jetzt müssen Gerichte herausfinden, welches von beiden stimmt.

Das einzig Selbstverständliche ist das Freiwillige. Alles andere ist Gewalt.

* Korrektur vom 11.08.2023: In der ersten Version war versehentlich von Vorwürfen gegen «die Musiker» von Rammstein die Rede, was korrigiert wurde. Korrekt ist, dass sich die im Text genannten Vorwürfe allein gegen Till Lindemann richten.