Das Ende von Rammstein?Zeit, über ihre Musik zu reden
In den Kontroversen um Rammstein geht eines vergessen: ihre Musik. Warum wird diese Band so leidenschaftlich gehasst und ebenso innig verehrt? Eine Art Nachruf vor dem Konzert.
Es gibt Filmszenen, die furchen sich für immer ins Gedächtnis ein. Eine davon stammt aus dem schauderhaften Surrealismus-Thriller «Lost Highway» von David Lynch: Der Protagonist taumelt mit zünftigem Nasenbluten durch einen Hotelgang, der Kopf droht vor lauter Unsegen zu platzen. Da ertönt ein tiefer, anschwellender Bass aus dem Synthesizer, der in der Kulmination von einem verschleppten Zeitlupen-Beat und einem tonnenschweren Gitarrenriff abgelöst wird.
Es gibt Regisseure, die hätten sich mit dieser unheilschwangeren Sequenz zufriedengegeben. Die meisten von ihnen weisen die Künstler an, ihnen eine Version des ausgewählten Songs zu schicken, aus der die Gesangsspur gelöscht wird, weil Text und Gesang zu sehr vom cineastischen Inhalt ablenken. Nicht so in diesem Fall. Nach 50 Sekunden ertönt eine Stimme, die jedem Geisterbahn-Animateur als Inspiration dienen könnte: «Rammstein, ein Mensch brennt», singt sie deutsch und deutlich, und ich kann mich erinnern, wie mir im Kinosessel im Januar 1997 ob diesem Eskalationskonglomerat beinahe das Blut gefror. Es war die Musik von Rammstein, die es in diesen gloriosen Film geschafft hatte – und es war vermutlich der wuchtigste und folgenschwerste Auftritt, den die Band in künstlerischer Hinsicht je hatte.
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Rückblick. Es ist der Abend des 11. Juni 1994, als es an die Garderobentür einer schmucklosen Fabrikhalle in Leipzig klopft. Wir hatten gerade mit unserer Band ein Konzert gespielt, wir hatten uns ausgekotzt und versucht, unsere Idee einer leicht defätistischen elektronischen Rockmusik unter ein burschikoses Publikum zu bringen. Wir öffneten also die Garderobentür, als zwei gar nicht mal so junge Burschen eintraten und begannen, uns sympathisch, aber bestimmt mit Fragen zu löchern. Sie wollten wissen, mit welchem Equipment wir arbeiteten, mit welchen Samplern, Synthesizern und Produktionsprogrammen. Sie hätten nämlich gerade eine Band gegründet, und sie möchten vorwärtsmachen. Natürlich erkundigten wir uns nach dem Namen der Band und quittierten die Antwort mit einem: «Uff, gewagter Name.» Die Band hiess Rammstein, benannt nach der Stätte eines tödlichen Flugshow-Infernos. Bereits ein Jahr später schossen die Jungs mit ihrem Debütalbum «Herzeleid» zum Entsetzen einiger Musikmoralisten in die deutschen Charts. Sie hatten ja gesagt, sie wollten vorwärtsmachen.
Es gehe im Wahrnehmen und im Skandalisieren von Kunst um die Differenzierung, ums genaue Hinschauen, sagte Till Lindemann.
Die erste Hälfte der 90er war eine spannende Zeit. Während die Welt Mariah Carey, Genesis und Nirvana hörte, glimmten im Untergrund neue musikalische Verheissungen. Da wütete die Wucht des Post-Punk neben der tanzbaren Electronic Body Music und dem schwermütigen New Wave. Die Genfer Young Gods hatten die Rockmusik elektronisch verdrahtet und wurden in den englischen Musikmagazinen als die «Zukunft der Musik gefeiert», und in den USA ging man dazu über, Bands wie Ministry, KMFDM oder Nine Inch Nails, welche es den Schweizern gleichtaten, unter der Genre-Etiquette Industrial zusammenzufassen.
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Als Rammstein ins Scheinwerferlicht rückten, taten sie also nichts Neues. Doch sie machten es besser, konsequenter und gründlicher als viele von uns. Und sie dachten die Musik grösser. Sie wollten vorwärtsmachen.
Ihre beiden ersten Alben waren im Grunde strombetriebene Metal-Alben. Die Gitarrenriffs wurden händisch eingespielt, gerieten aber dermassen messerscharf, als wären sie im Sampler zurechtgeschnitten worden. Zusätzlich unterlegt mit Synthesizer-Bässen erzeugten sie eine Drastik, die viele Starkstromgitarristen vor Neid in Sinnkrisen stürzen liess. Dazu kam das gesangliche und poetische Gebaren des Till Lindemann, der agierte wie ein Lustmörder mit einem Flair für den theatralischen Auftritt. Rammstein setzten Massstäbe, ohne wegweisend zu sein. Sie fügten die Einzelteile des Industrial einfach neu zusammen.
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Und ihr Wille zum Vorwärtskommen wurde bald belohnt: Der Regisseur David Lynch wurde einmal gefragt, wie er denn ausgerechnet auf Rammstein gekommen sei, um seine albtraumhaften Bilder in «Lost Highway» zu vertonen. Die Band habe ihm ständig CDs zugeschickt, ja sie habe ihn förmlich bombardiert, sagte er. Er habe sich das nie angehört, bis plötzlich an einem Set ein Song der Band erklungen sei. Er und das ganze Filmteam seien paralysiert gewesen. Kurz nach Erscheinen von «Lost Highway» wurde Rammstein als Vorband der in den USA lebenden und musikalisch ähnlich gestrickten Hamburger Band KMFDM auf eine Nordamerika-Tournee geschickt. Es war der Auftakt zu Rammsteins Welteroberung – bis heute ist sie das bedeutendste Musikexportgut Deutschlands – nach den Scorpions.
Deutsch und martialisch
Dass sich Kunst und Musik seit jeher auch mit den Abgründen des Menschseins auseinandersetzen, ist keine neue Erkenntnis. Rammstein wollten da ebenfalls mitmischen und schleuderten dem Publikum Parolen um die Ohren, die in diesem Genre unter normalen Umständen kaum mehr für Aufhorchen gesorgt hätten: Hier ein bisschen narbige SM-Erotik, da ein wenig morbides Gebaren und verbale Kraftmeierei in einfachstem Versmass. Doch die Kombination «deutsch» und «martialisch» triggerte in vielen Köpfen dunkelste Reminiszenzen. Also war das Aufhorchen doch erheblich.
Und Rammstein wollten mehr: Nach dem Vorbild der weit raffinierter agierenden Konzeptband Laibach betreiben sie ein Verwirrspiel mit der Symbolik totalitärer Systeme und der Interaktion zwischen Kunst und Macht. Und sie gaben sich nach dem Zündeln immer wieder überrascht darüber, warum man sie bloss so missverstehen wolle – auch dies ein Spiel, das andere ebenso gut beherrschten. Weil die Band schnell zu einem Massenphänomen mit Millionen an verkauften Tonträgern heranschwoll, war die Welt bald in ein fundamentales Gut- und ein noch fundamentaleres Schlechtfindlager entzweit. Entweder man sah in ihr die musikalische Entsprechung des hässlich Deutschen, oder man begriff das ganze feuerbepackte Brimborium als hinterlistigen Spass, das deutsche Volk wiederkehrend mit der eigenen Vergangenheit zu entsetzen.
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Rammsteins Alben landeten gleichzeitig in den Hitparaden und auf dem Index der Behörden, Videos wurden aus dem Verkehr gezogen, die Anstrengungen wurden intensiviert, die Band ins rechte politische Lager zu bugsieren. Der Tenor war ebenfalls altbekannt: Rammstein würden Gewaltfantasien zur Kunst erheben, weshalb diese Kunst verboten werden müsse. Dabei ging vergessen, dass in derselben Konsequenz jede «Tatort»-Drehbuchschreiberin wegen finsterer Gesinnung und morbidem Gedankengut eingekerkert gehörte. Die Kontroversen wurden ständig trivialer und touchierten gar fundamentale deutsche Identitätsfragen: Wie martialisch darf deutsche Rockmusik sein, ohne dass sie ungute geschichtliche Andenken heraufbeschwört? Und wie ungeniert darf ein deutscher Sänger das R rollen, ohne dass ihm faschistoide Hintergedanken unterstellt werden?
Eindeutig zweideutig
Till Lindemann blieb gelassen, sprach von Rollenprosa und lenkte die Aufmerksamkeit auf die Angreifenden: Es gehe im Wahrnehmen und im Skandalisieren von Kunst um die Differenzierung, ums genaue Hinschauen. In einem Interview 2009 erklärte er das so: «Ein zerfetzter Körper in der Zeitung gilt als Information, wobei wir alle wissen, dass die Sensationslust eine enorme Rolle spielt. Wenn wir von solchen Dingen singen, gilt es als unausstehlich und ekelerregend», so Lindemann weiter. Was erlaubt sei und was nicht, werde zur Frage der Perspektive. «Unser Tun besteht darin, solche Grenzen auszuloten. Dabei wird der Humor in unseren Liedern oft überhört, was uns immer wieder erstaunt.»
Humor hin oder her: Das zum Konzept erhobene Spiel mit der Ambivalenz, mit dem eindeutig Zweideutigen, ist ein Riskantes. Wo hört das Rammstein-Theater auf, wo beginnt das richtige Leben? Wer diese Grenzen permanent verwischt, der muss sich nicht wundern, dass er verdächtig wird. Und auch, dass die Szene aufmuckt: Jürgen Engler von der Industrial-Band Die Krupps war vom rammsteinschen Spiel mit dem Feuer derart genervt, dass er die Mutmassung aufstellte, die Band verzichte nur deshalb darauf, sich zu ihrem Nicht-rechts-Sein zu bekennen, weil man dann weniger Platten verkaufen würde.
Die Stadien, in denen Rammstein spielten, mutierten zu währschaften Little Bayreuths für die Stromgitarren-Gefolgschaft.
Musikalisch entwickelte sich Rammstein – bis auf ein wenig erfolgreiches Piano-Album und ungünstige Ausflüge in den Zweig des Ballermann-Metal – kaum mehr weiter. Doch obwohl der Industrial weltweit an Bedeutung verlor, blieb die Band verteufelt erfolgreich. Die Shows wurden immer gigantischer, die Pyrotechniker brachten circa jede halbe Minute etwas zum Explodieren und der immer ein wenig zum Overacting neigende Till Lindemann stilisierte sein Tun zu einem fast schon comicartigen Teutonen-Gigantismus hinauf.
Ein Musical-Publikum
Sein gesanglich etwas limitierter Heldenbariton wurde immer mehr zum pathetischen Schmierstoff, der diese Musik fürs Grosspublikum geniessbar machte. Rammstein-Auftritte weiteten sich zum mal furchtbar trivialen, zeitweise aber gar nicht mal so unkomischen Industrial-Theater. Ein Gemenge aus wagnerscher Drastik, pompösem Metropolis-Gigantismus, Überwältigungspathos und einem Schuss «Alarm für Cobra 11». Und die Stadien mutierten zu währschaften Little Bayreuths für die Stromgitarren-Gefolgschaft.
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Wenn letzte Woche in München innert drei Tagen eine Viertelmillion Menschen ins Olympiastadion zur Show von Rammstein strömten, dann nicht, weil das alles Fans deutscher Industrial-Musik sind. Ans Rammstein-Konzert pilgert heute vornehmlich ein Publikum mit einer Vorliebe für überzeichnete Theatralik. Es ist ein demografischer Mix, wie er sich auch in Musical-Hallen findet, wenn gerade wieder einmal irgendwo «Beauty and the Beast» gespielt wird.
Aus diesem Entwicklungsstadium der zunehmenden Feuer-und-Flammen-Versessenheit stammt auch eine – warum nicht auch einmal – lustige Episode aus der Bandgeschichte. Die Plattenfirma Universal hatte ihr oberes Kader zu einer Jahrestagung nach Hongkong in ein Luxushotel geladen. Und weil Rammstein für den positiven Geschäftsgang mitverantwortlich zeichneten, liess man sie für die Interpretation einiger ihrer Schlager nach Asien einfliegen. Sänger Till Lindemann beschloss, dabei nicht auf seinen beliebtesten Bühnentrick zu verzichten. Also setzte er sich – wie gewohnt – showtechnisch in Brand und sang, als sei der Beelzebub hinter ihm her. Das Universal-Kader war amüsiert. Doch es dauerte nur Sekunden, bis das Hongkonger Hotelpersonal sich auf den Sänger stürzte, um mit Feuerlöschern und Branddecken die Flammen zu ersticken.
Und nun? Ob die Flammen der Empörung, die Rammstein heute entgegenschiessen, ebenfalls so schnell gelöscht sein werden, bleibt zu bezweifeln. Bis die Vorkommnisse im Hinterbühnenbereich der Band nicht vollständig aufgeklärt sind, wird kein Veranstalter das Risiko mehr eingehen, diese Band zu buchen. Gegen das, was Rammstein heute vorgeworfen wird, sind alle Empörungen der Geschichte Lappalien.
Was im Tour-Bus oder im Backstage-Bereich geschieht, soll auch dort bleiben: Rammstein sind in einer Epoche gross geworden, in der diese verschwörerisch-chauvinistische Losung in der Musikszene noch etwas galt. Dass damit nun ein für alle Mal Schluss ist, sofern sich dort strafrechtlich relevante Überschreitungen abspielen, scheinen noch nicht ganz alle im grossen Musikbusiness begriffen zu haben. Es wird im Umfeld der Band nun also genau um das gehen, was Rammstein eine ganze Karriere lang so wichtig war: ums genaue Hinschauen.
Rammstein spielen am Samstag und Sonntag, 17. und 18. Juni, im Wankdorfstadion Bern.
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