Präsidentschaftskandidatin Valérie PécresseDie Frau, die Macron stürzen will
Valérie Pécresse hält in Paris ihr erstes grosses Kampagnen-Meeting ab. Die konservative Kandidatin setzt auf rechte Identitätspolitik – und hat bei der Präsidentschaftswahl im April gute Chancen.
«Die Rechte ist zurück, die Zeit der Amateure ist vorbei!» – im übervollen Saal drinnen jubeln sie, Tausende Frankreichfahnen werden gewedelt. Draussen vor dem Pariser Veranstaltungszentrum Zénith ist die Stimmung anders. Rentner warten dicht an dicht gedrängt, ob beim ersten grossen Kampagnen-Meeting der Präsidentschaftskandidatin Valérie Pécresse nicht doch noch ein Platz für sie frei wird. Doch wenn vor der Tür die Enttäuschung gross ist, dann deshalb, weil es die Erwartungen anscheinend ebenfalls sind.
Valérie Pécresse wurde von den rechtsbürgerlichen Républicains im Dezember in einer parteiinternen Abstimmung zur Kandidatin gekürt. An diesem Sonntagnachmittag in Paris wollen ihre Anhänger nicht nur, dass Pécresse Präsidentin wird. Sie hoffen auch, dass sie die Zukunft der rechtsbürgerlichen Républicains rettet, die es 2017 nicht einmal in die Stichwahl schafften.
Sie spricht vom «Frankreich der Dörfer»
Als Pécresse im Zénith auf die Bühne tritt, lässt sie ihrem Publikum viel Zeit, ihren Namen zu skandieren. Dann entwirft sie die Linien «meines Frankreichs». Ein Land «der Kirchen und der Satelliten», also die konservative Idee einer katholischen Verankerung bei gleichzeitigem wirtschaftlichem Aufschwung. Sie spricht vom «Frankreich der Dörfer», davon, «französisch zu kaufen», von der «französischen Identität, die man bewahren muss».
Das Thema, das Pécresse in das Zentrum ihrer Rede stellt, beackern Frankreichs Konservative und Rechte wie wenig anderes: Wer sind wir? «Ich werfe Macron vor, dass er die Existenz der französischen Kultur negiert», sagt die 54-jährige Kandidatin. Frankreich müsse wieder zu einer «respektierten Weltmacht werden». Es sei Zeit, «wieder einen Gaullisten» im Élysée zu haben, sagt Pécresse.
Jenseits dieses Saals begeisterter Anhänger hat Pécresse in diesem Wahlkampf eine grosse und eine kleine Hürde vor sich. Die grosse besteht darin, dass sie definieren muss, welchen Platz es zwischen Emmanuel Macron und den rechtsextremen Kandidaten Marine Le Pen und Éric Zemmour für eine Konservative wie Pécresse überhaupt noch gibt. In schlechten Momenten wirkt es, als gäbe es keinen. Im Dezember schreibt sie einen Gastbeitrag für «Le Monde», in dem sie für ein «starkes Europa» wirbt, und es liest sich, als hätte sie Macrons EU-Enthusiasmus von 2017 recycelt. Gleichzeitig verspricht sie für die Migrationspolitik dasselbe, was Le Pen seit Jahren vorschlägt: eine Volksabstimmung darüber, ob man überhaupt noch jemanden aufnehmen wolle.
«Angela Merkel und Margaret Thatcher, ja, zwei Frauen, ist es gelungen, ihre Bürger zu beschützen.»
Die Momente, in denen Pécresse wirkt, als hätte sie ihren politischen Ort gefunden, sind diejenigen, in denen sie sich als Feministin gibt. «Die Zeit der Frauen ist gekommen», wiederholt sie immer wieder. Und auch an diesem Sonntag bezieht sie sich wieder auf ihre zwei Lieblingsvorbilder: «Angela Merkel und Margaret Thatcher, ja, zwei Frauen, ist es gelungen, ihre Bürger zu beschützen.»
Dieses Frau-Sein ist ein Trumpf, den sie vor allen Dingen spielen wird, wenn es darum gehen sollte, die zweite, die kleinere Hürde zu nehmen. Schafft Valérie Pécresse es in die Stichwahl am 24. April, wäre sie für Emmanuel Macron eine gefährlichere Gegnerin als Marine Le Pen. Umfragen gehen davon aus, dass die Mehrheit der Franzosen sich auch 2022 nicht vorstellen kann, eine Rechtsradikale in den Élysée zu wählen. Dass der noch nicht erklärte Kandidat Macron es in die Stichwahl schaffen dürfte, gilt zwei Monate vor der Wahl als sicher. Träfe er dann dort wie 2017 wieder auf Le Pen, wäre seine Wiederwahl sehr wahrscheinlich. Im Duell mit Pécresse ist der Ausgang weniger sicher.
Am Sonntag betonen alle Parteimitglieder zu Beginn des Meetings folglich auch all das, was Pécresse von Macron unterscheide. Der amtierende Präsident sei arrogant und regiere allein, Pécresse hingegen sei eine Teamplayerin. Den Beweis treten im Zénith Xavier Bertrand und Éric Ciotti persönlich mit Grussworten an. Beide Männer waren Pécresse in der parteiinternen Abstimmung unterlegen. Nun machen sie durchaus enthusiastisch Wahlkampf für die Kandidatin ihrer Partei. Eine pragmatische Entschlossenheit, zu gewinnen, die man in Frankreichs zerstrittener Linken aktuell nicht finden kann.
Nur, wer ist diese Frau, der es bislang gelingt, die Républicains zusammenzuhalten, obwohl zwischen dem rechten, patriotisch-identitären Flügel und dem konservativen Teil der Partei durchaus programmatische Welten liegen?
Zunächst einmal ist sie jemand, der im Leben vieles genau so gemacht hat, wie es für sie vorgesehen war. Kindheit im schicken Neuilly-sur-Seine, gleich neben Paris. Der Vater ist Wirtschaftsprofessor, die Mutter sagte kürzlich im Interview mit «Le Monde», sie habe ihre Tochter «klassisch, bürgerlich, katholisch» erzogen. Valérie Pécresse studiert an der renommierten Wirtschaftshochschule HEC, dann besucht sie die Schule der Verwaltungselite, die ENA. Sie schliesst als Zweitbeste ihres Jahrgangs ab. Jacques Chirac macht Pécresse als Präsident zu seiner Beraterin für digitale Fragen, unter Nicolas Sarkozy wird sie Bildungsministerin. 2015 gewinnt sie die Wahl zur Regionalpräsidentin von Île-de -France. Seitdem regiert sie die Region, in der die Ärmsten und die Reichsten des Landes leben, zu der Paris ebenso gehört wie die verarmten Banlieues.
Russisch in Jalta gelernt
Man könnte Pécresses Lebenslauf zusammenfassen als den einer ambitionierten, überdurchschnittlich gebildeten, erfolgreichen Frau. Doch über Pécresse liest und hört man eher, dass sie «langweilig» und «zu glatt» sei. Sucht man nach überraschenden Momenten in Pécresses Vita, dann findet man ein Sommersprachcamp, bei dem sie als Jugendliche in Jalta Russisch lernte. Bei den Kommunisten.
In der Presse kann man lesen, dass Pécresses Kampagne nicht richtig in Schwung komme. Und der «Figaro» zitiert Vertraute von Ex-Präsident Nicolas Sarkozy mit garstigen Kommentaren. 2007 hätte man «morgens, mittags und abends über Sarko geredet», sagt der 67-Jährige über seinen eigenen Wahlkampf, Pécresse hingegen sei «nicht existent».
In einer aktuellen Ifop-Umfrage klingt das anders. Wie nehmen Sie die Wahlkampfkampagnen der aktuellen Präsidentschaftskandidaten wahr, fragt das Meinungsforschungsinstitut. Valérie Pécresse ist die Einzige, bei der 31 Prozent der Befragten sagen, ihr Wahlkampf mache einen «sehr guten» Eindruck. Sie hatte ihre Kampagne zunächst begonnen, indem sie auf Konsens und Solidität setzte. Am Sonntag ging sie allerdings in den identitär gefärbten Angriff über. In den kommenden Wochen könnte Pécresse folglich öfter Statements machen wie dieses vom Sonntag: «Marianne war nicht verschleiert.» Im Zénith ging ein Aufschrei der Begeisterung durch den Saal.
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