Alain Geiger im Interview«Die FCZ-Spieler schreien: Mama, Papa, Foul, Schiedsrichter!»
Servettes Trainer Alain Geiger sagt, dass es in dieser Saison keinen Meister geben sollte. Und er erinnert sich, wie Schweizer Schokolade die Tür zu Diego Maradonas Hotelzimmer öffnete.
Alain Geiger, Sie haben als Fussballer dreimal gegen Diego Maradona gespielt. Woran erinnern Sie sich?
1980 spielte ich bei meinem zweiten Länderspiel für die Schweiz in Cordoba gegen Argentinien. Wir wussten, dass es dort einen jungen Spieler geben soll, ein Wunder. Dann stand er vor uns. Und schon sein Aufwärmen war ein Spektakel, wie er den Ball in die Luft spielte, zehnmal hintereinander, eine gerade Linie wie der Jet d’Eau in Genf. Was wir mit den Händen machten, machte er mit den Füssen.
War er der beste Gegenspieler Ihrer Karriere?
Da gibt es keine Diskussion. Alles war harmonisch, seine Bewegungen, sein Äusseres. Wie Kunst, pure Kreativität. Wir Schweizer waren gelähmt und konnten ihn fast nicht angreifen. Wissen Sie, wenn Sie auf dem Platz einen Gegenspieler vor sich haben, der chaotisch ist, dann greifen Sie ihn an. Aber Maradona war überhaupt nicht chaotisch. Er war katzenartig. In der Romandie gibt es übrigens ein paar Amateure, die einst gegen Maradona spielten.
Wie kam es dazu?
Mein Bruder organisierte in den 1980er-Jahren Kleinfeldfussball und fragte den Schweizer Fussballverband, ob ein paar Nationalspieler dafür zu haben wären. Den Verband interessierte das nicht. Also bildete er eine Gruppe aus 1.-Liga-Spielern. Sie flogen nach Mexiko und spielten dank seiner Kontakte gegen Argentinien und Maradona. Mein Bruder reiste mit 20 Tafeln Schokolade an. Denn Diego hatte ein Faible: Schweizer Schokolade. So verschaffte man sich Einlass in sein Hotelzimmer.
An welche Szenen aus Ihren Duellen erinnern Sie sich?
Drei Momente sind mir besonders geblieben. In der ersten Szene kommt Maradona in der Spielfeldmitte an den Ball. Heinz Lüdi deckt ihn, so eng es geht. Maradona hebt den Ball an, über Lüdis Kopf, dreht sich um die eigene Achse und ist vorbei. In der zweiten Szene läuft er auf mich zu, macht einen Haken mit dem linken Fuss, schiesst, und trifft ins Lattenkreuz. In der dritten Szene flankt er den Ball aus vollem Lauf von der Eckfahne zur Mitte, scharf – und mit dem Fuss hinter dem Standbein durch. Tock! Diese drei Bilder sind in mein Gehirn eingebrannt, und ich habe noch immer Gänsehaut, wenn ich darüber rede. 40 Jahre danach. Heute gibt es kaum einen Fussballer, der diese drei Szenen so spielen kann.
Wissen Ihre Spieler bei Servette, dass Sie gegen Maradona gespielt haben?
Sie haben Fotos gesehen. Aber nur wenige können es nachvollziehen. Boris Cespedes spielte vor ein paar Wochen mit Bolivien gegen Brasilien mit Neymar und Argentinien mit Messi. Er kam zurück und erzählte, wie aussergewöhnlich das war.
Und Sie sagten: «Ganz ruhig Junge, ich habe gegen Maradona gespielt.»
Nein, ich spiele mich ja nicht auf. Und das Leben trägt einen auch weiter. Mal ist man ein bekannter Spieler einer Epoche, dann ist man 30, 40, 60 Jahre alt. Und man erneuert sich ständig. Ich glaube, dass jene Menschen lange leben, die sich mit den verschiedenen Etappen des Lebens anfreunden können. Und das sind die Neugierigen.
Sind Ihre Spieler denn interessiert an Ihrer Vergangenheit?
Nein, die Generationen funktionieren anders. Die Neugierigen würden versuchen, die Vergangenheit zu verstehen. Wie war Pelé? Wie war Johan Cruyff? Aber generell haben die Fussballer von heute ihre Messis und Ronaldos. Keiner meiner Spieler hat mich nach Maradona gefragt.
«Am Ende sollte es nicht einmal einen Meister oder einen Absteiger geben. Diese Meisterschaft ist verfälscht.»
Vielleicht haben Sie im Moment einfach andere Probleme. Servette läuft es nicht. Warum?
Wie hatten wenig Zeit in der Vorbereitung und viele verletzte Offensivspieler. Dann waren wir in Quarantäne und konnten nicht arbeiten. Langsam finden wir wieder zu einem guten Niveau.
Seit der Corona-Pause haben Sie weniger Erfolg. Wie trifft das Ihre Mannschaft?
Wir haben im Stadion einen Gemeinschaftsraum, über 80 Quadratmeter gross. Dort frühstücken wir zusammen, die Spieler bleiben über Mittag, es gibt Musik und Pingpong. Wir erleben ein spezielles Ambiente. Doch inzwischen dürfen wir diesen Raum nicht mehr nutzen. Und das hat die gute Dynamik zerstört. Die Spieler kommen alleine zum Training und fahren alleine wieder nach Hause. Für die Neuen ist die Integration schwieriger geworden. Für Teams, die weniger erfahren sind, kann eine Gruppendynamik viel zum Erfolg beitragen. Die Spontanität und die Freude, das fehlt im Moment.
Das klingt, als verlören Sie gerade den Spass am Fussball.
Es gibt einfach sehr viele Einschränkungen. Die Matchtage sind anders, die Zuschauer fehlen. Erst sie geben einem Spiel den Puls, den richtigen Rhythmus. Und in einem leeren Stadion ist die Motivation kleiner.
Jenen Spielern, die den Fussball wirklich lieben, sollte das doch egal sein.
Natürlich. Aber vieles ist doch mühsam geworden. Zuletzt gegen den FC Zürich schrien die Gegenspieler bei jedem Duell: «Mama, Papa, Foul, Schiedsrichter!» Und auf der Bank poltern sowieso alle rum. Man hört das alles. Ein volles Stadion übertönt diese Geräusche.
Denken Sie, es sollte so nicht gespielt werden?
Wir sind gezwungen, zu spielen. Wegen der Sponsoren und der TV-Gelder. Aber für mich ist das keine aufschlussreiche Meisterschaft. Am Ende sollte es nicht einmal einen Meister oder einen Absteiger geben. Diese Meisterschaft ist verfälscht. Schauen Sie sich den Kalender an: Jetzt spielen wir zum Beispiel gegen den FC Basel, der unter der Woche nicht gespielt hat. Wir schon.
Was bedeutet diese Saison für Teams wie Ihres?
In dieser Situation macht das Kader einen noch grösseren Unterschied. Die Young Boys können fünf Spieler in einer Partie gleichwertig ersetzen. Diese Balance haben wir nicht. Wenn wir drei Verletzte haben, dann spielen die Jungen. Das wird in diesem Jahr den Unterschied ausmachen.
Hier wird Inhalt angezeigt, der zusätzliche Cookies setzt.
An dieser Stelle finden Sie einen ergänzenden externen Inhalt. Falls Sie damit einverstanden sind, dass Cookies von externen Anbietern gesetzt und dadurch personenbezogene Daten an externe Anbieter übermittelt werden, können Sie alle Cookies zulassen und externe Inhalte direkt anzeigen.
Fehler gefunden?Jetzt melden.