Polizeipremiere in den USADie erste Chefin der New Yorker Polizei
Keechant Sewell muss gegen den rasanten Anstieg der Gewaltkriminalität vorgehen und das Vertrauen in die von weissen Männern geprägte Polizei wiederherstellen.
Allein die Zahlen lassen erahnen, was auf Keechant Sewell zukommt. Bisher hatte sie einen hohen Führungsposten in der Polizeibehörde des Nassau County inne, eines Landkreises auf Long Island, ein Stückchen östlich von New York City. In Nassau County leben knapp 1,4 Millionen Menschen, die Polizei dort hat etwa 2400 Beamte.
Künftig soll Sewell das New York City Police Department (NYPD) leiten, die grösste Polizeibehörde der Vereinigten Staaten. Sie wird fast 35’000 uniformierte Beamte sowie 17’000 Zivilangestellte befehligen und für die Sicherheit von 8,4 Millionen Einwohnern verantwortlich sein. Das ist eine ganz andere Liga.
Und damit hören die Herausforderungen nicht auf. Sewell ist die erste Frau an der Spitze des NYPD und erst die dritte Afroamerikanerin in diesem Amt. Die Behörde, die sie im Januar übernehmen soll, ist allerdings immer noch weiss und männlich geprägt.
Wichtigste Behörde in einer Grossstadt in den USA
Schwarze Frauen sind bei der New Yorker Polizei stark unterrepräsentiert, vor allem in den höheren Rängen. Dort dominieren nach wie vor Männer, deren Familien einst aus Irland oder Italien in die USA eingewandert sind.
Zudem gibt es in einer amerikanischen Grossstadt kaum eine wichtigere Behörde als die Polizei, das gilt für New York City ganz besonders. Ob die Busse pünktlich fahren oder der Abfall zuverlässig abgeholt wird, ist im Vergleich zu der Frage, ob die Bewohner – und die Touristen – Angst davor haben müssen, auf der Strasse er- oder angeschossen zu werden, eher zweitrangig.
Sewell ist zweifellos eine qualifizierte Polizistin, sie hat 23 Jahre lang für das Nassau County Police Department gearbeitet, unter anderem für das Drogendezernat. Sie wirkte auch in einer Einheit für besonders schwere Kriminalfälle und war Verhandlungsführerin bei Geiselnahmen.
Polizeiarbeit ist in den USA zu einem politisch extrem heiklen Betätigungsfeld geworden.
Aber in einem Umfeld wie New York City – weniger reich, weniger weiss und deutlich krimineller als der Nachbarlandkreis – war sie noch nie längere Zeit im Einsatz.
Dass der neue demokratische New Yorker Bürgermeister Eric Adams, der früher selbst im NYPD gedient hat, eine Frau ins Amt des Police Commissioner berufen würde, war klar – dafür war die Zeit reif. Dass er den Posten jetzt jedoch an Sewell vergeben und dabei erfahrenere Kandidatinnen aus dem NYPD und anderen Städten übergangen hat, ist eine Überraschung. Es zeigt, wie viel Adams von Sewell hält. (Lesen Sie auch den Artikel «Ex-Polizist will New York City verändern».)
Und es zeigt, wie viel Vertrauen der neue Bürgermeister in die neue Polizeichefin setzt. Polizeiarbeit ist in den USA zu einem politisch extrem heiklen Betätigungsfeld geworden.
Auf der einen Seite haben es Bürgermeister, Stadträte und Polizeikommandanten mit einem rasanten Anstieg der Gewalt- und Schusswaffenkriminalität zu tun. Wie in vielen amerikanischen Städten ist auch in New York City die Zahl der Morde im ersten Pandemiejahr 2020 um mehr als 40 Prozent gestiegen. Seither stagniert sie auf diesem hohen Niveau.
Druck durch «Black Lives Matter»-Bewegung
Auf der anderen Seite ist das öffentliche Vertrauen in Polizeikräfte seit vergangenem Sommer, als in Minneapolis der Schwarze George Floyd von einem weissen Polizisten ermordet wurde und überall im Land Proteste losbrachen, deutlich gesunken.
Der ehemalige Polizist Adams hat sich im Wahlkampf zwar klar gegen die bei linken Demokraten beliebte Forderung gestellt, das Polizeibudget zusammenzustreichen. Aber dem politischen Druck, den die «Black Lives Matter»-Bewegung ausübt, werden er und Sewell sich nicht völlig entziehen können.
Es war ganz sicher kein Zufall, dass zum Auswahlverfahren für die neue New Yorker Polizeichefin eine simulierte Medienkonferenz gehörte, bei der die Kandidatinnen dazu befragt wurden, warum ein weisser Polizist einen Schwarzen getötet habe. Keechant Sewell hat diesen Test offenbar bestanden.
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