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Analyse zur Aufhebung der Corona-Massnahmen
Die Briten tanzen in die Freiheit

Um Mitternacht fielen praktisch alle Corona-Massnahmen: Partygänger in London feiern den Tag der Freiheit. 
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England ist verwirrt. Heute Montag ist der vielfach ausgerufene «Freedom Day»: der Tag, an dem nahezu alle Corona-Beschränkungen fallen. Nur: Was ist das für eine Freiheit?

Eine Freiheit von allen Einschränkungen wie Masken, Mindestabstand oder Versammlungsobergrenzen ist keine, wenn sie gar nicht gewollt ist. Mehrere Umfragen in England zeigen, dass eine Zweidrittelmehrheit der Bevölkerung für das Beibehalten einzelner Massnahmen ist, der Mund-Nasen-Schutz steht da an oberster Stelle. Londons Bürgermeister Sadiq Khan hat verfügt, dass im öffentlichen Nahverkehr der Stadt Masken zu tragen sind; ob das aber auch für die anderen Zugbetreiber gilt, die nicht von der Stadt verwaltet werden, ist unklar. In einigen Supermärkten, Pubs und Restaurants bleibt die Maskenpflicht, manche verlangen weiterhin, Abstand zu halten, andere wiederum nicht.

Was wo erlaubt ist und was nicht, ist von diesem Montag an Auslegungssache. So sieht Freiheit aus, wenn ein Land sich selbst regelt – weil die Regierung das Regeln vorerst eingestellt hat.

Die Kinder machen das schon richtig

Freiheit heisst, selbstbestimmt entscheiden zu können, für Immanuel Kant spielte da auch die Vernunft eine grosse Rolle. Premier Boris Johnson ist nicht Kant, die Vernunft ist trotzdem sein Argument für das Aufheben aller Regeln. Jeder soll selbst entscheiden dürfen, Johnson ist da wie der Laisser-faire-Daddy, der davon ausgeht, dass die Kinder schon selber herausfinden, was richtig ist und was nicht, ganz egal, wie chaotisch es dann zugehen mag.

Boris Johnson hasst Regeln. Er ist überzeugt von einer libertären Denkweise, die er sich während seines Studiums angeeignet hat. Während seiner Zeit in Eton und später Oxford hat Johnson diverse Rollen ausgefüllt, er war Präsident des Debattierklubs, Chefredaktor der Schulzeitung, aber er hat stets vermieden, sich von politischen Interessengruppen einbinden zu lassen, die sich klar positionierten. Sich festzulegen ergibt für ihn nur begrenzt Sinn. Strenge Regeln zum Eindämmen einer Pandemie aufzuheben, um unter dem Deckmantel des Freiheitsbegriffs möglichst wenige Vorgaben zu machen, das entspricht seiner tiefen persönlichen Überzeugung. Und seit sein einstiger Gesundheitsminister Matt Hancock mit einer Beraterin knutschte und durch den früheren Finanzminister Sajid Javid ersetzt wurde, ist im Kabinett niemand mehr, der Johnson stoppen könnte.

Weil er Kontakt zum erkrankten Gesundheitsminister hatte, sitzt auch er wieder in Quarantäne: Der britische Premier Boris Johnson. 

Doch eine Corona-Regel gibt es noch. Wer in Kontakt mit einem positiv Getesteten kommt, muss in Quarantäne, auch wenn er bereits zweimal geimpft ist. Das gilt bis zum 16. August. Dass die Regel in Widerspruch steht zum Öffnen jeglicher sonstiger Schranken, verstärkt das Chaos, am Wochenende fielen mehrere U-Bahn-Linien in London aus, weil zu viel Personal in Quarantäne geschickt worden war. Die Infektionszahlen steigen ja weiter rapide, am Wochenende wurden 55’000 neue tägliche Fälle registriert.

Dass aber auch diese eine Corona-Regel interpretierbar ist, zeigte Johnson selbst am Wochenende. Am Samstag teilte Gesundheitsminister Javid mit, er sei trotz zweier Impfungen positiv getestet worden. Johnson und Finanzminister Rishi Sunak hatten Kontakt mit ihm, aber weil sie wie das gesamte Kabinett Teil eines sogenannten Pilotprojekts seien, in dem die Quarantäne durch tägliches Testen aufgehoben werden könne, gelte die Quarantänepflicht nicht für Johnson und Sunak, hiess es am Sonntagmorgen. Die Aufregung war dann aber so gross, dass kurz darauf bekannt gegeben wurde, Johnson und Sunak würden sich nun doch in Quarantäne begeben.