Ihr Browser ist veraltet. Bitte aktualisieren Sie Ihren Browser auf die neueste Version, oder wechseln Sie auf einen anderen Browser wie ChromeSafariFirefox oder Edge um Sicherheitslücken zu vermeiden und eine bestmögliche Performance zu gewährleisten.

Zum Hauptinhalt springen

Raumplaner im Interview 
«Dann muss man sich nicht wundern, wenn es seelenlos wird»

Schön oder nicht schön? Das ist Ansichtssache. In der Agglo ist aber vieles nur eine Momentaufnahme, wie hier in Schlieren ZH. Ein Projekt der ZHdK hielt den Wandel in einer fotografischen Langzeitbeobachtung fest.
Jetzt abonnieren und von der Vorlesefunktion profitieren.
BotTalk

Herr Schärer, viele haben eine spontane Ablehnung gegen die Agglo und empfinden es als Niederlage, wenn sie aus der Stadt dorthin ziehen müssen. Zu Recht?

Es gilt natürlich als cooler, in den inneren Quartieren der Stadt zu wohnen, wo man mehrere Restaurants vor der Haustür hat und in der Nähe ein Kino oder ein Theater. Diese Interaktionsdichte macht die Stadt für viele attraktiv, sie hat aber auch ihren Preis. Es ist lauter, teurer, überfüllter. Wenn einem diese vielen Möglichkeiten wichtig sind, kann der Umzug in die Agglo schon schmerzen. Aber sie hat ja auch Vorteile.

Welche denn?

Man hat in der Regel nicht weit zum nächsten Wald, zum nächsten Feld; trotzdem hat die Agglo etwas Urbanes. Dass hier Siedlungszonen und nicht überbaute Gebiete miteinander verwoben sind, macht die Qualität der Agglo aus. Das beginnen auch Städter zu schätzen. Ich kenne verschiedene Leute, die mit ihren Kindern sehr zentral wohnen, aber zunehmend vermissen, dass sie kaum Grün um sich haben.

Dafür wirken Agglos oft seelenlos. Woran liegt das?

Daran, dass der öffentliche Raum vielerorts stiefmütterlich behandelt wird. Man meint, dass die Leute, die dort wohnen, tagsüber sowieso woanders arbeiten und daher keine Bedürfnisse an den öffentlichen Raum an ihrem Wohnort haben. Das führt dazu, dass das gemeinschaftliche Leben in der Agglo oft nicht gut funktioniert.

Warum ist es so schwierig, einer Agglo Leben einzuhauchen?

Weil der Anteil von privaten überbauten Flächen im Vergleich zu den öffentlichen Bereichen in der Agglo höher ist als in der Stadt. Dort gibt es allein schon mit dem engmaschigen System der Quartierstrassen einen beträchtlichen Bereich, den die öffentliche Hand beeinflussen kann, um das gemeinschaftliche Leben zu fördern. In der Agglo ist das schwieriger. Aber auch das verändert sich aktuell rapide. In Agglo-Gemeinden wie Meyrin in Genf, Schlieren in Zürich oder Köniz in Bern haben Politik und Behörden realisiert, dass man in den öffentlichen Raum investieren muss.

«Die Möglichkeiten mit der Planung auf der grünen Wiese sind sowieso vorbei.»

Wie denn?

Schlieren beispielsweise hat einen sehr cleveren Gestaltungsplan in einem Neubaugebiet umgesetzt: Die Stadt hat eine mehrere Hundert Meter lange Allee für Velos und Fussgänger durch ein ganzes Quartier gebaut. Daran docken kleine Parks an, die nicht spektakulär gestaltet, aber einfach zu benutzen sind. Das ist eine ziemlich kraftvolle Massnahme. Aber, und das ist der Elefant im Raum: Es hängt letztlich sehr viel von den privaten Investoren ab. Wenn man bei seinen eigenen Bauprojekten nur in die reine Fläche zum Vermieten investiert und beispielsweise keine Bereiche vorsieht, wo sich die Menschen treffen können, muss man sich nicht wundern, wenn es seelenlos wird.

Meret Wandeler, Ulrich Görlich, Caspar Schärer (Hrsg.): Stadtwerdung im Zeitraffer. 632 Seiten, 1166 farbige Abbildungen, Scheidegger & Spiess, Zürich 2023, 79 Franken. 

Und was hat die Wakkerpreisträgerin Meyrin richtig gemacht?

Unter anderem wurden dort einige Gebäude im neuen Ecoquartier «Les Vergers» an innovative Genossenschaften vergeben, die wiederum sehr bewusst für eine gute Durchmischung mit Wohnungen, Gewerbe, Läden, Kinderkrippen und so weiter sorgen. Das schätzen die Leute sehr, weil so eine lebendige Nachbarschaft entstehen kann.

Aber das ist ja nur möglich, wenn man ein Agglo-Quartier von null auf planen kann.

Nein, nicht nur. Ich würde behaupten, dass es sogar ein Vorteil ist, wenn man auf etwas Bestehendes aufbauen kann, das die Leute bereits kennen. Abgesehen davon sind die Möglichkeiten mit der Planung auf der grünen Wiese sowieso vorbei. Auch die Agglo muss in ihren Bestand und in den öffentlichen Raum investieren. Man kann etwas Unbeliebtes ja auch umnutzen und weiterbauen, um daraus etwas Beliebtes zu gestalten.

Aber in der Agglo gibt es ja offenbar zu wenig öffentliche Flächen. Was bleiben denn den Gemeinden für Möglichkeiten?

Sie müssen versuchen, die Privaten dazu zu bringen, auch einen Beitrag an das Ganze zu leisten. Das lässt sich aber nicht einfach so verordnen. Eine klassische Methode in der Raumplanung sind Anreizsysteme wie der Gestaltungsplan. Damit ermöglichen Gemeinden grösseren privaten Investoren, mehr als die vorgesehene Nutzung – also vermietbare Fläche – zu bauen. Im Gegenzug verlangen sie von ihnen, dass sie soziale oder ökologische Konzessionen eingehen.

«Ein weiteres Übel in der Agglo ist die starke Fokussierung auf das Auto. Das finde ich hochproblematisch.»

Können Sie hier ein Beispiel nennen?

Die Schlüsselstelle ist immer das Erdgeschoss, also dort, wo das Gebäude mit den Menschen in Kontakt kommt. Dort laufen wir durch, dort ist eine Interaktion möglich. Wenn die Erdgeschosse einladend sind, fühlt man sich willkommener, als wenn man auf Augenhöhe nur abweisende Fassaden oder Hecken hat. Die Gemeinde kann als Gegenleistung für die grössere vermietbare Fläche zum Beispiel fordern, dass das Erdgeschoss mindestens vier Meter hoch sein muss, damit es sich auch für Geschäfte oder ein Café eignet. Das ist eine gute Methode, aber allein damit kann man einem Quartier kein Leben einhauchen. Ein weiteres Übel in der Agglo ist die starke Fokussierung auf das Auto, weil die Gebiete sehr weitläufig sind. Das finde ich hochproblematisch.

Warum?

Weil extrem viele Flächen für Strassen draufgehen. Selbst wenn in Zukunft nur Elektroautos darauf fahren: Die Flächen werden trotzdem benötigt. Schlieren, das früher extrem autofreundlich war, hat die Chance mit der neuen Limmattalbahn genutzt und sein zuvor von einer mehrspurigen Strasse dominiertes Zentrum aufgewertet. Das ist nicht gegen das Auto, das ist für die Menschen. Aber es besteht natürlich ein politischer Interessenkonflikt, wenn fast alle in der Agglo ein Auto besitzen, weil sie darauf angewiesen sind.

Womit muss man anfangen, wenn man etwas erreichen will?

Das Allerwichtigste ist der politische Wille, etwas zu verändern. Geld ist nicht unbedingt das Wichtigste, sondern das Nachdenken, Planen, Zusammensitzen mit den Grundeigentümern. Und man muss dranbleiben: Bis die Früchte einer planerischen Massnahme sichtbar werden, kann es lange dauern. 15 Jahre muss man schon durchhalten können.

Wie wichtig ist bei Neubauquartieren eine gemeinsame Bauplanung für die einzelnen Gebäude?

Gar nicht! Ich bin definitiv gegen einen Einheitsbau, vor allem gegen einen von oben verordneten. Wenn zwischendurch mal ein Gebäude missglückt, gehört das dazu. Dafür glückt vielleicht an einer anderen Stelle eines. Das macht die Stadt und die Agglo lebendig. Der Städtebau muss seinen Fokus auf den öffentlichen Raum legen. Dort gibt es enorm viel zu tun, aber auch zu holen. Die Agglo ist die Stadt der Zukunft: Ja, in der Vergangenheit wurde nicht alles richtig gemacht, aber es gibt dort immer noch ein riesiges Potenzial. Die Agglo ist immer in Schüben gewachsen, nicht schön gleichmässig. So entsteht ein diverses, vielleicht etwas chaotisch wirkendes Nebeneinander, das nicht so geschmeidig ist wie die tipptopp aufgeräumte Stadt. Das ist es, was für mich den Reiz der Agglo ausmacht.