Smog-Alarm in IndienDicke Luft zwingt Delhi in den Lockdown
In Indiens Hauptstadt sind die Schulen geschlossen, Lastwagen dürfen nicht mehr fahren. Und wer kann, soll im Homeoffice arbeiten. Die Gründe für die starke Luftverschmutzung.
Weil die Luft so schlecht ist, sind in Delhi diese Woche die Schulen geschlossen worden. Daheim ist es nicht besser, dort atmen höchstens die Kinder von besser verdienenden Luftfilterbesitzern etwas freier. Doch was hilft, den Verkehr zu entlasten, wird derzeit gemacht. Homeoffice wird dringend empfohlen, am Wochenende sollen die Leute zu Hause bleiben, auch viele Baustellen wurden erst einmal bis Sonntag stillgelegt.
Es dürfen keine Lastwagen mehr in die indische Hauptstadt fahren, es sei denn, sie transportieren lebenswichtige Güter. Und nur fünf der elf Kohlekraftwerke im Grossraum Delhi dürfen derzeit feuern, um Strom zu erzeugen.
Es passt ins Bild, dass diese harten Massnahmen ergriffen werden in der Woche nach dem Klimagipfel in Glasgow, bei dem Indien darauf gedrungen hatte, die Abschlusserklärung abzumildern, was den künftigen Kohleverbrauch angeht. Aus dem geplanten Ausstieg wurde ein langsames Herunterfahren der Kohleindustrie. Einige Teilnehmer des Klimagipfels waren unzufrieden, es gab schlechte Presse. (Lesen Sie zum Thema die Analyse «Indien braucht Perspektiven, keine Belehrungen» sowie den Artikel «Indiens bescheidene Klimapläne».)
69 Prozent der Verschmutzung kommen von ausserhalb Delhis
Auch die CO₂-Neutralität bis 2070, die Premierminister Narendra Modi angekündigt hatte, schien ein zu fernes Ziel zu sein. Die eher kurzfristigen Massnahmen verhängte nun der Ausschuss für Luftverschmutzung, der dem Ministerium für Umwelt, Forst und Klimawandel unterstellt ist.
Umweltminister Gopal Rai sagte der «Times of India», der eigene Beitrag der 20-Millionen-Metropole zur Luftverschmutzung betrage nur 31 Prozent, «während die restlichen 69 Prozent der Verschmutzung von ausserhalb Delhis stammen».
Die Luft in der Hauptstadt ist selten gut, das bekommen auch Politiker häufig am eigenen Leib zu spüren. Wenn man an Tagen, an denen das Smartphone die Qualität mit «schlecht» angibt, im relativ grünen Regierungsviertel spazieren geht, fühlt sich die Gesichtshaut nach einer halben Stunde an, als habe man Sonnenbrand. Auch in den Augen.
22 der 30 Städte weltweit mit der grössten Luftverschmutzung liegen in Indien.
Nur vor einem Jahr, da war es besser, da mussten ja alle zu Hause bleiben. Es kursieren nun Bilder in den sozialen Netzwerken, wo die Smogphasen übereinandergelegt werden. Vergangenes Jahr um diese Zeit: feiner Dunst. Diese Woche: graugelber Nebel, richtig schlechte Sicht. Auch das ist allerdings nicht alleine auf Verkehr und Industrie zurückzuführen.
Im Herbst und Winter herrscht fast schon traditionell dicke Luft, weil die Bauern im Umland die Stoppelreste ihrer Ernte abfackeln, den Gestank hat man überall in der Nase. Da die indische Regierung seit einem Jahr mit den Bauern im Clinch liegt, wegen einer verunglückten Agrarreform, lässt sich an dieser Stelle derzeit wenig machen.
Dazu kommen Auto- und Industrieabgase. Los ging es dieses Jahr an Diwali, dem Lichterfest. Dazu wird traditionell ein grosses Feuerwerk abgefackelt. Zwei Wochen ist das her, aber seither schmeckt die Luft, als würde der Pulverdampf immer noch in der Stadt stehen. Niedrige Windgeschwindigkeiten sorgen dafür, dass sich die Schadstoffe unten in der Atmosphäre sammeln.
Sieben Millionen Tote pro Jahr wegen Luftverschmutzung
Etwa sieben Millionen Tote pro Jahr lassen sich laut der «Times of India» auf Luftverschmutzung zurückführen, sie stützt sich auf die Zahlen des Schweizer Unternehmens IQAir, dass Geräte zur Überwachung der Luftqualität und deren Verbesserung herstellt. Tatsächlich hatte sich laut IQAir die Luftqualität in allen indischen Städten von 2018 zu 2019 stark verbessert. Trotzdem liegen weiterhin 22 der 30 Städte weltweit mit der grössten Luftverschmutzung in Indien.
Es wurde bereits zum nationalen Ziel ausgerufen, die Luftqualität zu verbessern. Die indische Regierung weiss sehr genau, wie gross das Problem ist. Man muss keine abstrakten Zahlen in die Zukunft projizieren oder Fallbeispiele studieren, um das Ausmass zu erfassen. Man muss in Delhi derzeit nur das Fenster öffnen.
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