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Neuer kalter Krieg
Deutschland vertreibt russische Spione, die so tun, als ob sie Diplomaten wären

Stalinistisches Bauwerk: Vor der russischen Botschaft Unter den Linden in Berlin erinnert ein improvisiertes Denkmal an die ukrainischen Opfer des russischen Überfalls.
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Sprachkurse und Prüfungen pausierten seit dem 1. Juni, teilt die Webseite des deutschen Goethe-Instituts in Moskau mit. Wie es im Herbst weitergehe, wisse man noch nicht. Die Gefahr besteht, dass aus der vorzeitigen Sommerpause ein dauerhafter Stopp wird.

Russland macht nämlich Ernst mit der Ankündigung, ab 2024 nur noch höchstens 350 Bedienstete bei staatlichen deutschen Institutionen in Russland zuzulassen. Hunderte von Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern stehen vor der Ausweisung. Berlin muss drei von vier Konsulaten in Russland schliessen, jene in Kaliningrad, Jekaterinburg und Nowosibirsk – nur das Konsulat in St. Petersburg bleibt offen.

Normale Beziehungen sind nicht mehr möglich

Da die deutsche Diplomatie in Russland deutlich weniger als 350 Menschen beschäftigt, wendet Moskau die Obergrenze auch auf die Kulturvermittlung der Goethe-Institute sowie die Deutschen Schulen an. Deutschland unterhält in Russland drei Goethe-Institute, in Moskau, St. Petersburg und in Nowosibirsk; Deutsche Schulen gibt es in Moskau und Petersburg.

In Berlin löste die russische Entscheidung Empörung aus. Moskau breche bewusst alle Brücken ab, die die beiden Zivilgesellschaften zuletzt noch verbunden hätten, heisst es. Die Zeitenwende, die der deutsche Kanzler Olaf Scholz nach dem Überfall Russlands auf die Ukraine ausgerufen hat, schlägt sich nun auch in der Diplomatie und den kulturellen Beziehungen nieder: Ein normales Verhältnis wird auf längere Zeit hinaus nicht mehr möglich sein. (Lesen Sie auch unser Interview mit einem russischen Historiker: «Das System Putin wird selbst den Tod Putins überleben»)

Ein Drittel der Botschaftsangestellten, so schätzt man, arbeitet in Wahrheit für die Nachrichtendienste.

Die russische Seite stellt die Massnahme als Reaktion auf deutsche Bestrebungen dar, die Zahl russischer Agenten zu verringern, die sich in Deutschland als Diplomaten tarnen. Berlin hatte mit Moskau darüber wochenlang im Geheimen verhandelt. Allein die riesige russische Botschaft in Berlin beschäftigte vor dem Krieg 540 Menschen. Ein Drittel von ihnen, so schätzt man, arbeitet in Wahrheit unangemeldet für die Nachrichtendienste SWR, GRU oder FSB – was nach den Regeln des sogenannten Wiener Übereinkommens verboten ist.

Als Reaktion auf Russlands Obergrenze teilte Berlin letzte Woche mit, Moskau müsse seinerseits vier von fünf Konsulaten in Deutschland schliessen. Solche Vertretungen gibt es bislang in Frankfurt am Main, Bonn, Hamburg, Leipzig und München. Damit sei die «personelle und strukturelle Parität» wiederhergestellt. Dies deutet darauf hin, dass die gesamte diplomatische Präsenz Russlands ebenfalls auf 350 Personen reduziert wird.

Deutschland ist ein Hauptziel russischer Spionage

Berlin und Moskau hatten im April 2022 und im April dieses Jahres bereits wechselseitig Diplomaten ausgewiesen, insgesamt jeweils etwa 70. Das traf vor allem die deutsche Vertretung hart, die in Moskau vor dem Krieg rund 120 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter beschäftigte. Russland hat seine Ränge in Berlin danach jeweils schnell mit neuen Agenten aufgefüllt. Dies dürfte nun nicht mehr möglich sein.

Nach Einschätzung von Fachleuten ist Deutschland seit langem eines der Hauptziele der russischen Spionage in Europa. Kürzlich machte der Fall eines hohen Offiziers des Bundesnachrichtendienstes Schlagzeilen, der Moskau geheime Unterlagen zuspielte. Aus russischer Sicht ein lohnendes Ziel sind auch die Hunderten von ukrainischen Soldaten, die in Deutschland derzeit ausgebildet werden.

Deutschland hatte nach Ende des Kalten Kriegs seine Spionageabwehr nahezu aufgegeben und nur zugeschaut, wie Moskau seine Botschaft in Berlin zu einer eigentlichen Spitzelzentrale ausbaute. Selbst nach der Annexion der Krim 2014 reagierte Berlin auf die zunehmenden hybriden Angriffe Russlands äusserst milde. Als ein russischer Agent 2019 einen tschetschenischen «Staatsfeind» mitten in Berlin liquidierte, wies Deutschland zwei Jahre später vier russische Agenten aus – eine Antwort wie aus einer anderen Zeit.