Prozess in StuttgartBetrüger oder Märtyrer? Corona-Kritiker steht vor Gericht
Fast 600’000 Euro an Spenden habe Michael Ballweg für private Zwecke abgezweigt, so die Anklage. Anhänger halten den deutschen «Querdenken»-Gründer für einen «politischen Gefangenen».
- Ballweg gründete 2020 die «Querdenken»-Bewegung gegen die staatliche Corona-Politik.
- Er soll Spenden für private Zwecke missbraucht haben, wirft ihm die Anklage vor.
- Trotz der Vorwürfe gegen ihn bleibt Ballweg bei seinen Leuten beliebt.
- Der Prozess in Stuttgart dauert voraussichtlich bis Mitte 2025.
Als Michael Ballweg im April 2020 in Stuttgart die ersten «Mahnwachen» gegen die staatliche Corona-Politik organisierte, wusste er nicht, dass er eine Bewegung ins Leben rufen würde.
Mit 500 Menschen begannen die sogenannten «Querdenken»-Proteste, innert Wochen wurden daraus Demonstrationen mit Zehntausenden von Teilnehmerinnen und Teilnehmern – nicht mehr nur in Baden-Württemberg, sondern quer durch Deutschland.
Die selbst ernannten «Querdenker» entpuppten sich in der Folge als wilde Mischung aus Esoterikern, Verschwörungsgläubigen und Extremistinnen, die bald auch vom Verfassungsschutz beobachtet wurden.
Erfolgreicher «Querdenken»-Onlineshop
Ballweg wiederum, damals ein erfolgreicher Softwareunternehmer auf dem Absprung, realisierte schnell, dass man mit Protesten gegen die Corona-Politik nicht nur Massen mobilisieren, sondern auch Geld verdienen kann. Bald verkaufte der «Querdenken»-Onlineshop Fanartikel, vom Hoodie für 39,95 Euro bis zum Turnsack für 9,95 Euro.
Und Ballweg sammelte Spenden – offiziell, um Demonstrationen zu organisieren, gegen Corona-Massnahmen zu klagen oder Bühnentechnik zu kaufen. 1,27 Millionen Euro sammelte er allein zwischen Mai 2020 und Februar 2022, von rund 10’000 Spenderinnen und Spendern.
Die Stuttgarter Staatsanwaltschaft wirft Ballweg nun vor, erhebliche Teile dieser Spenden auf private Konten, auf das Konto seiner Firma oder seiner Stiftung überwiesen zu haben, um sie privat zu verwenden. Die Anklage lautet auf versuchten Betrug in 9450 Fällen, 575’000 Euro soll Ballweg dabei veruntreut haben. Dazu wird ihm Steuerhinterziehung in fünf Fällen vorgeworfen, die Schadenssumme soll 320’000 Euro betragen.
Ballweg bestreitet Vorwürfe
Um «versuchten» statt «vollendeten» Betrug geht es vor Gericht, weil nicht sicher ist, ob es überhaupt Geschädigte gibt. Vielen angeblich Betrogenen war es offenbar egal, wofür Ballweg ihre Spenden nutzte. Laut der «Süddeutschen Zeitung» schrieb die Staatsanwaltschaft alle an, die mehr als 100 Euro gespendet hatten. Von 1058 antworteten 662; 401 meinten, ihre Spende sei zur freien Verwendung gedacht gewesen. Nur 193 waren der Meinung, sie hätte nur für «Querdenken»-Belange verwendet werden dürfen.
Ballweg, heute 49 Jahre alt, bestreitet die Vorwürfe. Er habe für «Querdenken» mehr eigenes Geld ausgegeben, als er durch Spenden hereingeholt habe, sagen seine Anwälte.
Verhaftet wurde er im Juni 2022, als er sich gerade nach Costa Rica absetzen wollte, so glaubt zumindest die Anklage. Aufmerksam geworden auf seine Geschäfte waren die Fahnder, nachdem angesichts hoher Geldabhebungen Meldungen wegen möglicher Geldwäscherei eingegangen waren.
Lange neun Monate sass Ballweg danach in Untersuchungshaft, nach eigener Aussage verbrachte er die Zeit mit Lesen, Sport und Meditieren. Hunderte von Unterstützerinnen und Unterstützern demonstrierten immer wieder vor seinem Gefängnis. Leute aus der «Querdenken»-Bewegung betrachten ihn als «Freiheitskämpfer», als «politischen Gefangenen» oder «Märtyrer». Die Vorwürfe wegen Betrug und Steuerhinterziehung seien nur ein Vorwand, um einen politisch unliebsamen Mitbürger zur Strecke zu bringen.
Urteil gegen Ballweg frühestens Mitte 2025 erwartet
Auch nach seiner Freilassung im April 2023 genoss Ballweg weiter grosse Unterstützung. Zu einer Demonstration unter dem Motto «Frieden, Freiheit, Wahrheit» an der Berliner Siegessäule strömten diesen Sommer 12’000 Menschen, um ihm zuzuhören und zuzujubeln.
Vorletzte Woche begann der Prozess gegen Ballweg am Stuttgarter Amtsgericht. 33 Verhandlungstage sind geplant, 50 Zeugen sollen geladen werden. Mit einem Urteil wird frühestens Mitte 2025 gerechnet.
Der Angeklagte, der ein T-Shirt mit der Parole «Freiheit wird aus Mut gemacht» trug, zeigte sich zufrieden mit dem Auftakt: Es sei ein «wichtiger Tag für Deutschland» gewesen. Endlich werde die «verrückte Verfolgung» von Kritikerinnen und Kritikern der Corona-Politik aufgearbeitet. «Ich gehe als leuchtendes Beispiel voran.»
Fehler gefunden?Jetzt melden.