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Meinung

Leitartikel zur deutschen Debatte
Ein Verbot der AfD würde mehr schaden als nützen

Co-leaders of Germany's far-right Alternative for Germany (AfD) party Tino Chrupalla (L) and Alice Weidel (R)  leave after a press conference a day after Brandenburg' state elections in Berlin, on September 23, 2024. (Photo by Tobias SCHWARZ / AFP)
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Für viele Schweizerinnen und Schweizer, gewöhnt an Konkordanz und SVP, liegt die Lösung auf der Hand: Beteiligt die AfD an der Macht, so der Appell ans Nachbarland, dann wird sie sich automatisch mässigen oder entzaubern – und am Ende auch Politiker hervorbringen, mit denen man regieren kann. So geht Demokratie! (Und wer hat sie erfunden?)

Für eine grosse Mehrheit der Deutschen hingegen klingt dieser Rat gefährlich, inakzeptabel, ja verantwortungslos. Hier wird vielmehr diskutiert, ob man die AfD verbieten müsse. Der Grund, warum die Wahrnehmungen so auseinanderklaffen, liegt in der deutschen Geschichte. Nach der Katastrophe von Holocaust und Zweitem Weltkrieg wurde die Bundesrepublik als «wehrhafte Demokratie» neu gegründet. Verfassung und Politik sollten eine Wiederholung dessen verhindern, was nach 1933 geschehen war: dass eine totalitäre Partei Wahlen benutzt, um an die Macht zu gelangen – und als Erstes die Demokratie abschafft.

Furcht und Widerwille gegen radikale Parteien waren der wichtigste Grund dafür, dass sich Rechtspopulisten und Rechtsextremisten in Deutschland viel später etablierten als im restlichen Europa. Anders als in vielen Nachbarländern verteidigen die wichtigsten Parteien bis heute auch jene «Brandmauer», die verhindert, dass die AfD in Bundesländern oder im Bund mitregiert.

Die AfD hat eine lange Radikalisierung hinter sich

Im Sinne der «wehrhaften Demokratie» wurde 1949 im Grundgesetz auch die Möglichkeit geschaffen, eine Partei zu verbieten, falls sie Verfassung und Demokratie gefährdet. Dass die AfD nun als Kandidatin dafür genannt wird, hat sie sich selbst zuzuschreiben: Die Partei hat sich seit ihrer Gründung vor elf Jahren von einer populistischen Anti-Euro- zu einer in erheblichen Teilen rechtsextremistischen Partei von Rassisten und Systemfeinden gewandelt.

Der Verfassungsschutz, eine weitere deutsche Spezialität, die von Amtes wegen mit der Überwachung von Extremisten betraut ist, wirft AfD-Politikern wie Björn Höcke vor, Menschen mit Einwanderungsgeschichte systematisch zu Bürgern zweiter Klasse entwerten zu wollen und damit gegen das Diskriminierungsverbot zu verstossen. Die Hetze gegen Muslime und andere Minderheiten wiederum verletze die Menschenwürde. Manche Fachleute beklagen überdies, dass die AfD Gegner einschüchtere und zu Gewalt anstachle.

Derzeit beobachtet der Verfassungsschutz die Partei als «extremistischen Verdachtsfall». Es wird aber erwartet, dass die AfD bald zu einer «gesichert rechtsextremistischen» Bewegung hochgestuft werden könnte. Spätestens dann müsste die deutsche Politik die Frage beantworten, ob sie dem Verfassungsgericht beantragt, die Partei zu verbieten.

«Die AfD muss man wegregieren, nicht wegverbieten»

Noch halten sich die Parteien damit zurück. Ein Verbotsantrag, der gerade im Bundestag kursiert, wird nur von einer sehr kleinen Minderheit unterstützt – prominente Stimmen finden sich darunter nicht. Abschreckend wirken die mehrjährige Dauer eines Verfahrens und die zweifelhafte Aussicht, dass das höchste Gericht ein Verbot tatsächlich erlassen wird.

Der wichtigste Grund für die Zurückhaltung ist aber ein politischer. Die AfD sollte man politisch bekämpfen, nicht vor Gericht zerren. Die Christdemokraten, stärkste Oppositionspartei, fordern, die AfD müsse man «wegregieren, nicht wegverbieten». Tatsächlich ist der enorme Unmut über die Regierung von Sozialdemokraten, Grünen und FDP derzeit der wichtigste Grund, warum die radikale AfD in den Umfragen bei 17 Prozent steht.

Die anderen Parteien würden sich mit einem Verbotsantrag dem Verdacht aussetzen, eine unliebsame Konkurrenz mit rechtlichen Mitteln loswerden zu wollen. Man kann zudem argumentieren, dass ein Verbot seinerseits die Demokratie gefährdete. Millionen von Wählern und Wählerinnen der AfD sähen sich in ihrem Gefühl bestätigt, ihre Meinung sei eigentlich nicht erwünscht. Der Eindruck, von der Politik nicht gehört zu werden, ist schon jetzt ein entscheidender Grund für ihre Wahl.

«Wählen Sie uns, solange Sie noch dürfen!»

Gerechtfertigt ist auch die Sorge, die AfD könnte ein langes Verbotsverfahren dazu nutzen, sich noch erfolgreicher als Opfer staatlicher Willkür darzustellen als bisher. «Wählen Sie uns, solange Sie noch dürfen!», wäre ein absehbarer Slogan.

Schliesslich wird die Sache oft nicht zu Ende gedacht. Was passierte denn nach einem Verbot mit den Millionen, die zuvor AfD wählten? Die Vorstellung, sie würden wieder CDU oder SPD ankreuzen, ist absurd. Eher würden sie sich weiter radikalisieren und von der Demokratie noch stärker abwenden. Zudem schössen sofort neue Parteien aus dem Boden, mit AfD-ähnlichen Forderungen. Verböte man diese dann auch, eine nach der anderen?

Kurzum: An der politischen Auseinandersetzung mit der AfD führt auf absehbare Zeit kein Weg vorbei. Aber es führt für die AfD auch kein Weg in deutsche Regierungen, solange sie sich nicht mässigt.