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Der Vaterschaftsurlaub ist überholt, bevor er an die Urne kommt

Ein Vater kümmert sich um sein Töchterchen. Für die Geburt hatte er einen Tag frei erhalten. Foto: Gaëtan Bally (Keystone)
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Gesellschaftspolitische Anliegen haben im Moment viel Rückenwind. Davon zeugt zum Beispiel der Vaterschaftsurlaub. Der Ständerat hat die Volksinitiative soeben zur Ablehnung empfohlen und eine halbierte Variante von zwei Wochen Vaterschaftsurlaub als Gegenvorschlag beschlossen. Der Nationalrat werde gleich entscheiden, vermuten Beobachter.

Für das eidgenössische Parlament ist dies ein grosser Schritt. Bisher bekamen ähnlich lautende Anliegen keine Mehrheit. Doch wenn im Frühling 2020, allenfalls im Herbst, das Volk an die Urne gerufen wird, um über zwei oder vier Wochen (falls die Initiative nicht zurückgezogen wird) Vaterschaftsurlaub abzustimmen, wird die Forderung schon überholt sein.

Eigentlich ist sie es jetzt schon. Progressive Kräfte aus SP, Grünen, FDP, Grünliberalen und BDP fordern seit einigen Jahren keinen Vaterschaftsurlaub mehr, sondern eine Elternzeit, die Vätern und Müttern entweder gleichviel Auszeit einräumt oder teilweise frei aufteilbar wäre zwischen den Eltern. Nun hat die Sammelplattform Wecollect.ch am Wochenende eine Elternzeit-Initiative angekündigt.

Zuerst werden Helfer und Sympathi­santen gesucht (2000 haben sich in wenigen Tagen schon eingetragen), im Herbst soll das Komitee gebildet und der Initiativtext formuliert werden. Im Frühling 2020 soll die Unterschriftensammlung beginnen. Damit sähe der Vaterschaftsurlaub, über den zeitgleich abgestimmt wird, alt aus.

Hat Wecollect.ch mitgegründet: Daniel Graf. Foto: Keystone

Daniel Graf, Gründer von Wecollect.ch, bestätigt das: «Ich habe am Frauenstreik zig Plakate mit der Aufschrift ‹Elternzeit› gesehen. Aber kaum eines mit der Forderung nach einem Vaterschaftsurlaub», sagt er. Für eine gleichberechtigte Organisation der Familienarbeit brauche es eine Elternzeit, weder der Mutterschafts- noch ein Vaterschaftsurlaub genügten. «Die Zeit ist reif, deshalb lancieren wir das Anliegen jetzt», sagt Graf.

Tatsächlich ertönt der Ruf nach einer Elternzeit von verschiedenen Seiten. Die Junge CVP teilte im Hinblick auf die Ständeratsdebatte mit, sie fordere eine Elternzeit von 18 Wochen, die FDP fordert per Motion eine von 16 Wochen. Die Vorschläge zielen darauf ab, den heutigen Mutterschaftsschutz um wenige Wochen zu verlängern, wobei die obligatorischen acht Wochen Mutterschaftsurlaub verankert würden und der Rest zwischen den Eltern frei aufteilbar wäre.

«Der Vaterschaftsurlaub ist hinausgeworfenes Geld»

Manche wollen rigorose Gleichstellung. Zum Beispiel GLP-Nationalrätin Kathrin Bertschy, die 2016 eine parlamentarische Initiative für zweimal 14 Wochen Elternzeit eingereicht hat. Vor wenigen Tagen hat sie mit einer Motion nachgedoppelt. Auch ­Nadine Jürgensen, freie Publizistin, vormals NZZ-Redaktorin, propagiert eine Elternzeit. «Der Vaterschaftsurlaub ist hinausgeworfenes Geld», sagt sie. Punkto Gleichstellung gebe es nur eine valable Lösung: Gleichbehandlung der Geschlechter, auch beim Elternurlaub. Nur so sei das Risiko, bei Elternschaft auszufallen, zwischen Mann und Frau gleich verteilt und die Chancengleichheit am Arbeitsmarkt gewährleistet.

Weil für die Linke aber jeder Abbau am Mutterschaftsurlaub undenkbar ist und in diesem Thema ohne die Gewerkschaften und linken Parteien nichts zu erreichen ist, schlägt Jürgensen den heutigen Mutterschaftsurlaub auch für Väter vor: 14 Wochen für beide. Zur Kostenfrage sagt sie: «Unser heutiges, rückständiges Modell ist erwiesenermassen teurer, als es ein solcher Urlaub wäre. Gut ausgebildete Frauen bleiben zu Hause, die Gleichstellung leidet. Das ist dem BIP abträglich.»

Eine Vergleichsgrösse: Die mit der Volksinitiative geforderten vier Wochen Vaterschaftsurlaub würden nach Berechnung der Initianten pro Jahr 420 Millionen Franken kosten, Arbeitgeber und Angestellte müssten je 0,055 zusätzliche Lohnprozente in die Erwerbsersatzversicherung einzahlen.

Brisant an der Elternzeit-Initiative ist, dass sich die Initianten damit quasi selber überholen. Die Plattform Wecollect.ch wurde 2016 gegründet, um der Gewerkschaft Travailsuisse und ihren Partnerverbänden beim Sammeln der Unterschriften für den Vaterschaftsurlaub zu helfen. Nun lancieren sie eine eigene Initiative, bevor über den Vaterschaftsurlaub beschlossen wurde, und kommen damit ihrer Partnerorganisation Travail­suisse zuvor.

Diese hätte das Thema ebenfalls aufgegriffen, aber erst nach einem Volksentscheid. Zumindest hätte sie das Ende der parlamentarischen Debatte abgewartet. Travailsuisse-Präsident Adrian Wüthrich sagt: «Es wird uns tendenziell helfen, wenn ein weitergehendes Anliegen bereits in der Pipeline ist.» Wecollect.ch werde sich allerdings initiativ­fähige Partner suchen müssen, sagt der SP-Nationalrat. «Von den knapp 60'000 Unterschriften, welche die Plattform damals beigesteuert hat, war die Hälfte unbrauchbar.»

38 Wochen Elternzeit

Wie viel Elternzeit die neue Initiative fordern wird, ist noch unklar. Die Initianten von Wecollect.ch, Daniel Graf, Che Wagner und Meret Vischer, orientieren sich am Modell, das die eidgenössische Kommission für Familienfragen 2018 vorgeschlagen hat: 38 Wochen, davon 14 für die Mutter und 8 Wochen für den Vater reserviert, der Rest frei aufteilbar. Im OECD-Vergleich wäre die Schweiz damit im unteren Mittelfeld – und gleichwohl hätte die Forderung wenig Chancen. Auch das 14/14-Modell von Kathrin Bertschy würde wohl als Luxusvariante abgelehnt.

Nadine Jürgensen sagt: «Es brauchte mehrere Anläufe, bis der verfassungsrechtlich längst verankerte Mutterschaftsschutz eingeführt wurde. Meine Prognose: Für die Elternzeit braucht es nochmals eine Generation. Bis dahin sind auch die elektoral starken Babyboomer nicht mehr da, die bei der Zementierung des Nachkriegs-Familienmodells tatkräftig mithelfen.»