ABB auf SchrumpfkursNeuer Kahlschlag bei der ABB
Von dem ehemaligen Industrie-Flaggschiff ist in der Schweiz heute nicht mehr viel übrig – und nun wird ein weiterer Geschäftszweig auf den Prüfstand gestellt. Das Turbolader-Geschäft aus Baden steht auf der Verkaufsliste des neuen Firmenchefs.
Es ist ein Schock für die ABB-Mitarbeiter: Konzernchef Björn Rosengren will sich von einem Teil des Schweizer Geschäfts trennen. Er prüft einen Verkauf des Turbolader-Geschäfts mit Sitz in Baden. Für die Division, die auf Dieselmotoren für grosse Schiffe spezialisiert ist, arbeiten hierzulande 800 Beschäftigte. Rosengren stellt seine Pläne heute im Tagesverlauf den Investoren vor. Wenn er sie in die Tat umsetzt, dann geht der jahrzehntelange Schrumpfkurs von ABB in der Schweiz weiter.
Bereits im Sommer reduzierte sich die Belegschaft von ABB Schweiz mit dem Verkauf der Stromnetzsparte markant auf nunmehr 4500 Beschäftigte. Den Rang als Platzhirsch unter den grössten industriellen Arbeitgebern hat das Unternehmen damit bereits verloren – an Siemens, die hierzulande 5300 Personen beschäftigt. Wenn sich ABB nun auch vom Turbolader-Geschäft trennt, dann würde die Belegschaft in der Schweiz auf 3700 sinken.
Der Niedergang der einstigen Industrie-Ikone begann nicht mit den jüngsten Entscheidungen, sondern schon Jahrzehnte davor.
Rasches Wachstum zu Beginn
Dabei war die Gründung des Unternehmens durch die beiden Pioniere Charles Brown und Walter Boveri vor 129 Jahren eine beispiellose Erfolgsgeschichte. Damals beschlossen die beiden Ingenieure, die sich aus der Arbeit bei der Maschinenfabrik Oerlikon kannten, ein eigenes Unternehmen zu gründen – Brown, Boveri & Cie (BBC). Quasi auf der grünen Wiese entstand in Baden innerhalb kürzester Zeit eine erste Fabrik. Das Unternehmen baute Generatoren für Kraftwerke und wuchs rasant.
Bald erkannten die Gründer auch das Potenzial, Eisenbahnlinien mit Strom auszurüsten. Auf einen ersten Auftrag für elektrische Ausrüstung für die Strassenbahn in Lugano folgten prestigeträchtige weitere Aufträge: Brown und Boveri lieferten Elektronik für die Gornergrat- und die Jungfraujoch-Bahn.
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Zudem entwickelten sie eine elektrisch betriebene Lokomotive, die ab 1899 zwischen Burgdorf und Thun auf der ersten elektrifizierten Normalspurstrecke Europas eingesetzt wurde.
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Nach diesen glorreichen Gründerjahren erlebte das Unternehmen einen weiteren Boom in der Nachkriegszeit: Viele Länder mussten nach dem Krieg ihre Stromversorgung neu aufbauen. Die Nachfrage nach Kraftwerken und elektrischen Bauteilen war enorm. BBC baute aus und kaufte zu – unter anderen die Maschinenfabrik Oerlikon. Damit wuchs auch die Zahl der Mitarbeiter: 1978 beschäftigte das Unternehmen in der Schweiz 22’000 Menschen.
Nach dem Boom kommt der Niedergang
Doch in den 80er-Jahren kam BBC in Nöte: In Europa wurden deutlich weniger Kraftwerke gebaut – der Bedarf war gedeckt. Als 1987 die Fusion mit der schwedischen Asea angekündigt wurde, war das ein Schock für viele damalige Mitarbeiter: «Alle haben gemeint, jetzt läutet das Totenglöckchen, und dann ist fertig», erinnert sich ein Firmenveteran. Denn Asea sei damals in einer deutlich besseren Position gewesen. In der Schweiz hingegen verloren in den darauffolgenden Jahren viele Beschäftigte ihren Job.
Und obwohl die Schweizer Gesellschaft rasch nach dem Zusammenschluss mit Asea wieder in die Gewinnzone zurückkehrte, ging der Umbau weiter, und die neue ABB verkaufte in mehreren Schritten das Tafelsilber der Gründer.
Trennung von der Bahnsparte
Zunächst lagerte die Firma 1995 grosse Teile der Eisenbahnsparte in ein Gemeinschaftsunternehmen mit Daimler (ADtranz) aus. Wenig später übernahm ADtranz auch noch Teile der Schweizerischen Lokomotiv- und Maschinenfabrik (SLM). Damit wechselte ein Stück Schweizer Industriegeschichte die Hände: Jahrzehntelang hatten SLM und ABB beim Bau von Loks zusammengearbeitet. Prestigeprojekte wie die Lok 2000, die noch heute auf vielen Strecken der Schweiz eingesetzt wird, stammen aus dieser Verbindung.
Heute gehören Teile des des Bahnunternehmens zu Bombardier – andere zu Stadler Rail. Beide Firmen bauen weiterhin Züge in der Schweiz. Und sie arbeiten weiterhin mit ABB zusammen. ABB selbst liefert aber nur noch elektrische Ausrüstung für Züge und Trams. Ein Grossteil der SBB-Flotte fährt beispielsweise mit Technik von ABB, ebenso wie die Trams in Zürich. Doch aus der Wahrnehmung vieler Schweizerinnen und Schweizer ist das Unternehmen weitgehend verschwunden. «Das ist ein Problem. Oft ist irgendwo ein Schaltschrank von ABB versteckt oder unter den Zug geschraubt. Aber den sieht man nicht», sagt ein ABB-Kenner.
Auch die Kraftwerksparte wird verkauft
Ähnlich weitreichend war der Entscheid zum Verkauf der ABB-Kraftwerksparte an Alstom. Auch sie ist ein Erbe aus der Gründerzeit von Brown und Boveri. Heute ist davon nicht mehr viel übrig: Als die Energiesparte von Alstom an den US-Konzern General Electric (GE) verkauft wurde, war davon auch die Schweiz betroffen. Unter dem Dach der Amerikaner folgte ein regelrechter Kahlschlag: Von den einst über 6000 Mitarbeitern arbeiten heute nur noch 2400 dort.
Und das ist noch nicht das Ende des Schrumpfkurses: GE hat weitere Stellenstreichungen angekündigt. Denn das Geschäft läuft schleppend – nicht zuletzt durch die Umstellung auf erneuerbare Energien und die Abkehr von traditionellen Kraftwerken. «Ich denke, der Entscheid, aus dem Kraftwerkgeschäft auszusteigen, hat sich für ABB rückblickend als mehr als richtig erwiesen», sagt ein Firmenkenner.
Als der ehemalige Firmenchef Ulrich Spiesshofer zuletzt auch noch die Trennung von der wenig profitablen Stromnetzsparte aufgleiste, blutete vielen ABBlern das Herz. Die Schweiz verlor damit im Gesamtkonzern erneut an Bedeutung – und ABB kappte wichtige historische Wurzeln: Denn mit einer über hundert Kilometer langen Stromleitung hatte sich der junge Ingenieur Brown zuallererst einen Namen gemacht – noch vor dem Start in andere Geschäftsfelder wie die Eisenbahn.
Showdown am Donnerstag
Unter Spiesshofers Nachfolger – dem Schweden Björn Rosengren – geht der Wandel weiter. Er hatte den insgesamt achtzehn Divisionen des Unternehmens bereits ehrgeizige Ziele gesetzt: Sie müssen wachsen und Renditeziele erfüllen. Wer das nicht schafft, steht auf der Verkaufsliste.
Am Donnerstag gibt Rosengren den Investoren Einblick in seine Pläne – denn sie sitzen am Drücker: Die beiden grössten Aktionäre stammen aus Schweden: Investor AB – die Gesellschaft der schwedischen Industriellenfamilie Wallenberg – hält gut 12 Prozent der Aktien. Der aktivistische Investor Cevian besitzt weitere knapp 5 Prozent. Letzterer hatte den Verkauf der Stromnetzsparte vorangetrieben.
Die Schweiz ist erneut betroffen
Die Division Turbocharging gilt bereits seit Jahren als Verkaufskandidat – aber nicht weil das Turbolader-Geschäft nicht wächst oder zu wenig Gewinn abwirft – im Gegenteil. Doch es passt nicht so recht zum Rest des Konzerns. Die Turbolader machen grosse Dieselmotoren für Schiffe effizienter und leistungsfähiger. ABB bietet weltweit auch Reparaturen an, wenn Bauteile kaputt sind. «Es wäre äusserst schade, wenn ABB dieses Geschäft abgeben würde», sagt ein Firmenkenner. «Es ist ein zu schöner Diamant.»
In der Schweiz hat ABB heute noch sechs Werke – neben den grossen Standorten in Baden und Turgi auch in Schaffhausen, Uster und im Tessin. In Dättwil hat der Konzern zudem ein grosses Forschungszentrum, wo etwa 220 Entwickler arbeiten. Weltweit gibt es bei ABB sieben solcher Zentren.
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