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Gipfeli selber machen
Die Entdeckung der Langsamkeit

Gipfeli gibts an jeder Ecke – neu auch in der Küche der Autorin.
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Das Zuhause-Rumsitzen der letzten Monate, die Schliessung von Gaststätten, in denen man morgens Zeitung lesen konnte, und das Räumen von Küchen- und überhaupt sämtlichen Regalen – all das hat mancherorts ja seltsame kulinarische Blüten getrieben. Bananenbrote, Siebengänger unter der Woche und solche Sachen. Ich habe Gipfeli gebacken. Eine Unternehmung eher grösseren Ausmasses, ich sags gleich. Das Protokoll eines verregneten Dienstags:

10.02 Uhr: Vorfreude

Gipfelimachen braucht Zeit, acht Stunden oder mehr. Noch ist mir das nicht ganz klar, ich habe erst die Zutaten studiert und den ersten Schritt – die wenigen Rezepte, die online zu finden sind, gleichen sich. Mehl, Salz und Zucker, Hefe und Milch zusammenfügen und kneten. Ich liebe diesen Teig vom ersten Moment an, er zickt nur ganz leicht zu Beginn: Ich muss ihn lange bearbeiten, bis er weich und glatt ist. Am liebsten würde ich ihn noch ein bisschen streicheln, so gut fühlt er sich an. Aber er muss ein erstes Mal in die Kälte. 

10.30 Uhr: Eine Prise Arroganz

Ein Gipfeliteig ist ein tourierter Hefeteig. Tourieren heisst ausrollen und zusammenfalten, und das mehrere Male – genau so, wie man einen Blätterteig machen würde. Das heisst: auswallen, Butterstücklein – viel weniger, als ich erwartet hatte übrigens – in die Teigmitte legen und diese dann bedecken, sodass sie nicht mehr sichtbar sind. Teig wieder auswallen, zusammenlegen, sodass drei Schichten übereinanderliegen. Eine Stunde lang kühl stellen. Ich habe schon Komplizierteres gebacken.

11.45 Uhr: Der Znüni ist vorbei

Gipfeli sind ja so etwas wie Kulturgut. Dann, wenn die Znünistunde gekommen ist oder eben die Zeit für «Kafi und Gipfeli». Bei mir ist es kurz vor Mittag, und ich bin noch nicht mal auf halber Strecke. Aber motiviert: Mit Schwung walle ich den Teig aus, klappe je ein Drittel von links und eines von rechts ein und stelle ihn wieder kühl.

13 Uhr: Was mache ich hier eigentlich? 

Massenware Gipfeli: Diese hier sind zum Aufbacken, wohl eher nicht handgerollt wie in vielen Bäckereien. 

Das ist doch der Gipfel! Oder doch ein Croissant? Während ich mir meinen Teig aus dem Kühlschrank hole, wird mir plötzlich bewusst, dass ich gar nicht weiss, was ich hier mache. Ich frage beim Verband der Bäcker und Confiseure nach. Die Schweizer Gipfeli unterscheiden sich von den internationalen Croissants nicht nur namentlich, sondern auch in der Herstellung, verrät mir dort Daniel Jakob: «Der Croissant-Teig enthält einen höheren Anteil an Butterfett. Viele handwerkliche Bäckereien, die über keine klimatisierten Backstubenräumlichkeiten verfügen, rollen die empfindlichen Croissant-Teiglinge noch von Hand auf.» Gipfeligesetze gibt es nur dieses: Wird ein Gebäck als Buttergipfel angeboten, darf nur Butter drin sein – und nicht Margarine oder andere pflanzliche Fette wie etwa bei Aufbackgipfeln. Daniel Jakob schätzt, dass täglich 270’000 Gipfeli gebacken werden – von Bäckerinnen und Bäckern. Ich walle den Teig ein drittes Mal aus, falte ihn, lege ihn in den Kühlschrank. 

14.30 Uhr: Dunkle Geheimnisse

Vielleicht hat Marie Antoinette (hier im gleichnamigen Film gespielt von Kirsten Dunst) einst die Croissants von Österreich nach Frankreich gebracht. Vielleicht auch nicht.

Beinahe hätte ich über meine Recherchen zu der Geschichte meinen neuen Freund, den Teig, vergessen. Der Ursprung von Croissants, gebogenen und geraden, liegt ziemlich im Dunkeln und gipfelt in der Behauptung, Marie Antoinette habe sie aus ihrer Heimat mitgebracht nach Frankreich, wo die Kipferl fortan Croissant de lune, Mondsichel, genannt wurden. Andere Quellen schreiben das Geheimnis ihres Erfolgs einem Wiener Bäcker in Paris zu, ich denke an die Cornetti in Italien, diese süssen, mit Konfi gefüllten Dinger. Und an Fast-Food-Stände hierzulande, wo man gern auch Salatblätter und – noch schlimmer – Brie in Laugencroissants quetscht. Dann doch lieber Buttergipfel. Zum x-ten Mal falte ich zärtlich meinen Teig, so weit, als dass ich Hörnchen formen könnte, bin ich eh noch nicht. 

15.30 Uhr: Entdeckung der Langsamkeit

Nicht alle Rezepte bestehen auf fünfmal tourieren, falten, wie bei Betty Bossi etwa. Annemarie Wildeisen rät zu dreimal tourieren, genau wie das Kompetenzzentrum Schweizer Brot. Ich nehme den gut schweizerischen Mittelweg und walle den Teig ein viertes Mal aus, klappe die Seiten ein und stelle ihn noch einmal in den Kühler. Es ist wie meditieren. Oder entwickle ich Gefühle für ein Stück Teig? Mon dieu. 

17.00 Uhr: Tausendmal berührt

Dass Blätterteig aus 1000 Schichten – milles feuilles  – bestehe, ist zwar ein Gerücht. Trotzdem fühlt sich mein Teig tausendfach gefaltet an, vor allem, weil ich ihm mittlerweile schon ein paar Schwänke aus meinem Leben erzählt habe. Ein letztes Mal walle ich ihn aus, jetzt, um Gipfelformen zu schneiden. Hohe Dreiecke, mit einem Einschnitt auf der Schmalseite. So lassen sie sich besser rollen. Die Gipfel, die jetzt auf dem Blech liegen, diese Faulpelze, müssen schon wieder ruhen. Dieses Mal, um aufzugehen.

18.00 Uhr: Loslassen

Au revoir: Die Gipfeli sind im Ofen, und ich bin erschöpft.

Und jetzt muss ich loslassen. Die Gipfeli bestreiche ich mit einer Mischung aus Ei und Wasser, schiebe sie in den Ofen und schüttle mir das Mehl aus dem Haar. Ich bin erschöpft. 

18.25 Uhr: Glück 

Wenn immer ich im Raum Basel bin, suche ich eine Filiale der Confiserie Brändli auf. Dort, finde ich, gibt es die besten Croissants. Buttrig, weich, süchtigmachend. Daran denke ich, als ich die Ofentür öffne. Meine Buttergipfel können ihnen nicht ganz das Wasser reichen. Sie sind anders: etwas fester (das nächste Mal den Teig dünner ausrollen!), nicht so knusprig, und sie bröseln überhaupt nicht. Was für dieses eine Mal nicht schlimm gewesen wäre: Ich habe ja kein Date mit einem menschlichen Gegenüber, sondern nur mit meinen Croissants. Und die schmecken wie ein richtig guter Song aus der Kindheit. Oder wie schläfriger Sonntagmorgen. Also wie – richtige Gipfeli.

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