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Unmut über die Premier League
Der moralische Aufschrei in England

Sportliches und finanzielles Feuerwerk: Die Premier League, hier mit dem aktuellen Meister Manchester City.
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Als würden die Menschen von Manchester City auf dem Mond leben oder noch viel weiter weg, kündigte der Verein in dieser Woche seinen Dauerkarteninhabern an, tags darauf die verbleibende Ticketrate für die ausstehenden Saisonheimspiele in der Premier League abzubuchen. Das Rundschreiben warf die Frage auf, ob der Inhalt ein Aprilscherz war oder ob City eine nicht betroffene Oase in der vom Coronavirus lahmgelegten Welt ist. Schliesslich müsste sich die Info, dass an Fussball gerade nicht zu denken ist, schon gar nicht an Fussball mit Fans im Stadion, selbst bis zu Scheich Mansour am Persischen Golf herumgesprochen haben, dem City über die Abu Dhabi United Group gehört.

Statt den Fans, von denen viele aus der Arbeiterregion Manchester kommen und wegen der Pandemie um ihr Einkommen fürchten, unter die Arme zu greifen, zieht ihnen das steinreiche ManCity weiter Bares aus der Tasche. Und zwar für Spiele, die in dieser Saison, wenn überhaupt, sehr wahrscheinlich nur noch ohne Stadionzuschauer stattfinden werden.

Offiziell ruht der Spielbetrieb in England vorerst bis 30. April. Auf das Vorgehen des Meisters City, das in der aktuellen Ausnahmesituation an Feingefühl kaum zu unterbieten ist, setzte Newcastle United noch einen drauf. Der Club des umstrittenen britischen Eigentümers Mike Ashley, des Gründers des Sportartikelriesen Sports Direct, dessen Vermögen auf mehr als zwei Milliarden Pfund taxiert wird, stellte entgegen allen Fan-Beschwerden bereits per Lastschrift die Dauerkarten für die nächste Saison in Rechnung.

Am letzten Montag schickte Newcastle zudem als erster Club aus der Premier League seine Belegschaft (wohlgemerkt: die normalen Angestellten, nicht die Fussballer) in die Zwangsferien. Begründung: Man müsse so die Zukunft des Vereins sichern. Auf dieser Basis macht sich Newcastle die aus absoluter Not ins Leben gerufene Regierungskampagne zur Erhaltung von Arbeitsplätzen zunutze. Das Modell sieht vor, dass der Staat 80 Prozent der Gehälter vorübergehend beurlaubter Mitarbeiter bis zu einer Höhe von je 2500 Pfund übernimmt.

Fragwürdige Zeichen auch aus Tottenham

Zu diesem Schritt sahen sich in ähnlicher Ausführung auch Norwich City, der AFC Bournemouth und Tottenham Hotspur gezwungen. Die restlichen Vereine der Premier League zahlten bislang allen Arbeitnehmern das vertraglich vereinbarte Gehalt weiter aus. Daniel Levy, 58, seit 2001 Vorstandschef von Tottenham, kündigte an, die Löhne der Mitarbeiter (inklusive des eigenen) um 20 Prozent zu kürzen oder teilweise ebenso Zwangsferien einzuführen. Ausgenommen war die Profimannschaft von Trainer José Mourinho, die nach wie vor die vollen Bezüge erhält.

Brisante Ankündigung von Tottenhams Daniel Levy: Nur die Profis erhalten keine Lohnkürzungen.

Damit umgehen die Spurs eine mögliche Vertragsbrüchigkeit, die den Profis Spielraum gäbe, um rechtlich gegen den eigenen Club vorzugehen und zum Beispiel einen ablösefreien Wechsel zu erzwingen. Das Ganze ist eine kostspielige Angelegenheit – durchschnittlich verdienen die Spieler beim Vorjahresfinalisten der Champions League rund vier Millionen Pfund im Jahr.

Ist die Bedürftigkeit solcher Premier-League-Clubs, die bislang in Saus und Braus lebten, also wirklich so gross, dass der Steuerzahler jetzt für deren Personalkosten aufkommen muss?

Aus der kürzlich veröffentlichten Bilanz geht hervor, dass das mehrheitlich der britischen Investmentgruppe Enic gehörende Tottenham zu den wohlhabendsten Vereinen weltweit gehört. Levy, der bestbezahlte Clubchef in England, erhielt neben seinem Grundgehalt von vier Millionen Pfund zuletzt einen Bonus über weitere drei Millionen für die Fertigstellung des eine Milliarde teuren Stadions.

Ist die Bedürftigkeit solcher Premier-League-Clubs, die bislang in Saus und Braus lebten, also wirklich so gross, dass der Steuerzahler jetzt für deren Personalkosten aufkommen muss? Oder bestätigt die Liga mit dem Verhalten einiger Clubs gerade ihren Ruf, eigensinnig und bilanzgetrieben zu sein? Oder setzen diese Vereine die strikten Anordnungen als Druckmittel ein, um ihre Spieler doch zu Gehaltskürzungen zu bewegen?

Der Umgang der Clubs mit der Krise erhält im Land keine Zustimmung, sondern führt zu einem moralischen Aufschrei. In den Vorjahren hat die Bevölkerung einiges über sich ergehen lassen, wenn es der Attraktivität der heimischen Liga zugute kam. Jetzt gibt es scharfe Widerrede, besonders aus der Politik: «Der Plan ist nicht entworfen worden, damit Clubs ihren Spielern Hunderttausende Pfund zahlen, aber zugleich andere Angestellte zwangsbeurlauben», echauffierte sich Julian Knight, Vorsitzender des Ausschusses für Digitales, Kultur, Medien, Sport: «Das entlarvt die verrückte Ökonomie des Inselfussballs und im Kern sein moralisches Vakuum.» Ähnlich äusserten sich Londons Bürgermeister Sadiq Khan und Gesundheitsminister Matt Hancock. Sie forderten die Fussballer auf, ihren Beitrag zu leisten.

Hier fliesst das Geld: Der Verkauf der TV-Rechte an Sender wie Sky beschert der Premier League von 2019 bis 2022 9,2 Milliarden Pfund.

Trotz momentan ausbleibender Erlöse scheint den Erstligisten bislang niemand eine existenzielle Bedrohung, wie teilweise behauptet wird, abzunehmen. Aus gutem Grund: Im Gegensatz beispielsweise zur deutschen Bundesliga haben die Clubs der Premier League die liquiditätssichernden Fernseheinnahmen bereits vollständig für die ganze Saison erhalten. Die entsprechenden Transaktionen finden in England jeweils im August und Februar statt.

Für die Zeitspanne von 2019 bis 2022 stehen der Liga aus dem Verkauf nationaler und internationaler TV-Rechte 9,2 Milliarden Pfund zu – so viel wie noch nie seit der Ligagründung 1992. Einen Teil davon, 750 Millionen Pfund, könnten die Clubs aber zurückgeben müssen, sofern die ausstehenden neun Spieltage nicht mehr nachgeholt werden können. Um dieses Szenario zu verhindern, treiben die Clubs für den Notfall die Idee voran, alle verbleibenden 92 Partien in wenigen ausgewählten Stadien in kurzer Folge abzuarbeiten. Dabei würden die Teams wie bei einer WM für einige Wochen in Spielortnähe ein festes Quartier beziehen.

Die Spieler wollen eher mit Gesellschaft und Betroffenen solidarisch sein – weniger mit den reichen Clubbesitzern.

Sollte auch dieses Modell nicht realisierbar sein, hielte sich die finanzielle Fallhöhe der meisten Clubs dennoch in Grenzen. Hinter den Vereinen stehen meist kapitalstarke Grossinvestoren, die im Zweifel ihre Wertanlage – sei es aus Liebhaberei oder finanziellem Kalkül – in der Krise eher stützen als fallen lassen würden.

Und wie denken die Spieler? Auch im englischen Fussball gibt es Millionenspenden und Hilfsfondspläne von Profis. Aber die Spieler wollen eher mit Gesellschaft und Betroffenen solidarisch sein – weniger mit den reichen Clubbesitzern. Seit Tagen verhandeln Premier League und English Football League (für tiefere Klassen zuständig) ohne grossen Erfolg mit der Profigewerkschaft und der Trainervertretung über eine Anpassung der Bezüge. Die Interessen waren bisher schwer vereinbar. Am Freitagabend teilten die Premier-League-Clubs mit, von ihren Spielern eine Kombination aus Kürzung und Stundung der Gehälter um 30 Prozent zu fordern.

Wohl genug Geld, um die Misere zu stemmen

Zwar deuten Spieler und Trainer dem Vernehmen nach Bereitschaft zum Lohnverzicht an, allerdings drängt die mächtige Gewerkschaft auf eine Einzelfallprüfung. Geschäftsführer Gordon Taylor, 75, verdient wie ein Fussballprofi (zwei Millionen Pfund), seine Gewerkschaft sagt: Die Gehälter innerhalb der Teams lägen für eine pauschale Bemessung zu weit auseinander. Zu gross scheint die Sorge zu sein, bei etwaigen Zugeständnissen von vermögenden Vereinen ausgenutzt zu werden.

In einem Schreiben vom Donnerstag ging der Spielerverband auf jene Clubs los, die ihrer nicht kickenden Belegschaft Bezüge gekürzt haben: «Unsere Position ist: Vereine, die es sich leisten können, Spieler und Mitarbeiter zu bezahlen, sollten dies auch tun.» Andernfalls würden die Profis mit Gehaltsverzicht indirekt für die Clubangestellten aufkommen, wovon die Anteilseigner profitieren würden. Mit jedem Tag, der ergebnislos verstreicht, spitzt sich die Lage zu und erhöht sich der öffentliche Druck auf alle Parteien.

Nach drei Wochen ohne Fussball auf der Insel zeichnet sich zumindest der Trend ab, dass die Premier League um ihre exponierte Position unter den Spitzenligen Europas eher nicht fürchten muss. Die Clubs haben wegen global operierender Geldgeber wohl nach wie vor ausreichend Finanzkraft, um die Corona-Misere zu stemmen. Und vielleicht könnte das viele Geld in Englands Liga diesmal sogar für Clubs anderer grosser Ligen Europas hilfreich sein. Denn falls sich diese demnächst über Spielerverkäufe retten müssen – auf der Insel gäbe es weiterhin kaufkräftige Abnehmer.