Prozessstart nach Tod von George FloydAb heute schaut Amerika auf ihn, den Ankläger
In diesen Stunden gehts los: Keith Ellison will Ex-Polizist Derek Chauvin zur Strafe bringen. Auf dem Ankläger lastet ein immenses Gewicht – die Erwartung eines Schuldspruchs.
Es ist keine Übertreibung, wenn man festhält, dass Keith Ellison sich schon sein ganzes Leben auf diesen Moment vorbereitet hat.
Am Montag beginnt in Minneapolis das Hauptverfahren gegen den Ex-Polizisten Derek Chauvin, der wegen der Tötung von George Floyd vor Gericht steht. Es ist der wichtigste Fall von Polizeibrutalität, der in den USA je verhandelt wurde, und es wird dabei um die Schuld oder Unschuld des entlassenen Beamten gehen, der sein Knie fast neun Minuten lang in Floyds Nacken gepresst hat.
Was dabei mitschwingen wird, ist aber auch die Frage: Wird endlich ein weisser Polizist für tödliche Gewalt an einem Schwarzen bestraft?
Ein Polizeieinsatz politisierte ihn
Keith Ellison leitet die Anklage gegen Chauvin und die drei anderen Beamten, die am Einsatz gegen Floyd beteiligt waren. Der 57-Jährige ist der Attorney General, also der Generalstaatsanwalt des Bundesstaats Minnesota – und damit Vertreter eines Justizsystems, in dem Polizisten für tödliche Einsätze kaum je strafrechtlich belangt werden.
Ellison und sein Team von Staatsanwälten wollen das ändern. Die Anklage gegen Chauvin lautet unter anderem auf Mord zweiten Grades, was in der Schweiz eher einer vorsätzlichen Tötung entspricht.
Ende der 1980er-Jahre kämpfte er das erste Mal gegen Polizeigewalt – und gegen das System, das er dafür verantwortlich machte.
Ellison war ein junger schwarzer Student in Minneapolis, als er Ende der 1980er-Jahre das erste Mal gegen Polizeigewalt kämpfte – und gegen das System, das er dafür verantwortlich machte. Zum Funken wurden für ihn zwei umstrittene Polizeieinsätze in der Stadt.
In einem schwarzen Viertel warfen Polizisten Blendgranaten in ein Haus, in dem sie Drogendealer vermuteten. Das Haus ging in Flammen auf, ein älteres schwarzes Paar kam ums Leben. Die Beamten wurden nicht angeklagt. Einen Tag vor einem geplanten Protest gegen den Einsatz löste die Polizei eine Versammlung von schwarzen Studenten mit übertriebener Härte auf.
Das Rathaus gestürmt
Kurz darauf führte Ellison eine Gruppe von 75 Demonstranten zum Rathaus und stürmte eine Sitzung der Stadtregierung. Er organisierte Proteste und hielt Pressekonferenzen ab, auf denen er den damaligen Generalstaatsanwalt von Minnesota aufrief, den Einsatz gegen die Studenten zu untersuchen.
Polizeibrutalität war damals kein Thema, das eine breite Masse auf die Strasse trieb. Doch Ellison, den Sohn eines Psychiaters und einer Sozialarbeiterin, der inmitten der Rassenunruhen in Detroit aufgewachsen war, liess es nie mehr los.
Ellison wurde Anwalt, er verteidigte vor Gericht mittellose Leute und hatte eine eigene Sendung auf einem schwarzen Radiosender, in der oft die Rolle der Polizei in mehrheitlich von Schwarzen bewohnten Gegenden im Zentrum steht. Daneben ging er weiterhin auf die Strasse. 1992 demonstrierte er gegen den Freispruch der Polizisten, die in Los Angeles den Afroamerikaner Rodney King misshandelt hatten – und gab dort seiner Wut Ausdruck. «Schwarze Menschen leben nicht in einer Demokratie», sagte er der Nachrichtenagentur AP.
Nähe zu umstrittenem Prediger
Ellison beschloss, das System von innen zu verändern. 2006 kandidierte er für die Demokraten für einen Sitz im US-Abgeordnetenhaus. Er gewann die Wahl, obwohl sein Wahlkampf von einer Kontroverse überschattet wurde, die ihn bis heute verfolgt.
Ellison war im Alter von 19 Jahren zum Islam konvertiert und dabei seinem Vorbild gefolgt, dem radikalen Bürgerrechtler Malcolm X. Als Student hatte Ellison Veranstaltungen des antisemitischen Predigers Louis Farrakhan besucht und diesen in Streitschriften verteidigt. Nun distanzierte er sich von Farrakhan.
Im Kongress war Ellison der erste Muslim überhaupt. Seinen Amtseid legte er auf den Koran ab. Rasch wurde er zu einem Wortführer des linken Flügels der Demokraten. Ein linker, schwarzer Muslim: Das machte ihn zum Feindbild vieler Rechter. Der damalige Chef der Polizeigewerkschaft von Minneapolis nannte ihn 2008 vor anderen Polizisten einen Terroristen.
Hohe Hürden für einen Schuldspruch
Als die Demokraten nach Donald Trumps Wahl 2016 in eine Sinnkrise stürzten, bewarb sich Ellison um den Posten als nationaler Parteichef. Er unterlag aber gegen einen Vertreter des moderaten Flügels. Danach gab er sein Amt als Abgeordneter ab und stellte sich in Minnesota zur Wahl als Generalstaatsanwalt. Es wirkte wie ein Abgang von der grossen Bühne – bis zur Tötung von George Floyd.
Ellison weiss, dass viele Menschen in den USA im Prozess gegen Derek Chauvin und die anderen Polizisten einen Schuldspruch erwarten. Als langjähriger Kritiker der US-Justiz weiss er aber auch, dass die Hürden für eine Verurteilung von Polizisten hoch sind. «Die Geschworenen haben die Tendenz, Zweifel zugunsten der Polizei aufzulösen», sagte er, als er den Fall im vergangenen Juni übernahm. Er hofft, dass es diesmal anders sein wird.
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