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Flutkatastrophe in Pakistan
Der Klimawandel hat den verheerenden Monsun­regen verstärkt

Von der Flut betroffene Menschen im Distrikt Dadu in Pakistan: Ein Rekordmonsun hat schwere Überschwemmungen verursacht.
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Der Regen will einfach nicht aufhören. Noch immer stehen grosse Teile Pakistans unter Wasser – Wasser, das kaum abfliesst und überdies stetigen Nachschub von oben bekommt. Inzwischen sind fast 1500 Menschen bei den Überschwemmungen ums Leben gekommen, ein Drittel davon Kinder. 1,7 Millionen Häuser wurden zerstört, ebenso Hunderte Brücken, Strassen und Krankenhäuser. Der finanzielle Schaden wird auf insgesamt 30 Milliarden US-Dollar geschätzt.

Nicht nur die Pakistaner fragen sich: Was ist da passiert? Wie konnte es dazu kommen, dass sich Regenmengen wie in Pakistan nie zuvor beobachtet über das Land ergossen, der Indus über Tausende Quadratkilometer über seine Ufer trat und ein Drittel des Landes zeitweise unter Wasser stand? Dass sich Sturzfluten durch Städte wälzten, Hänge abrutschten sowie Gletscherseen ausbrachen und sich übers Tal ergossen? Kann all das nur grosses Pech gewesen sein, oder hat der Klimawandel die Monsunregenfälle verschlimmert, wie es UN-Generalsekretär António Guterres suggerierte, als er vom «Monsun auf Steroiden» sprach?

Wie Kriminalisten auf Recherche

Ein internationales Klimaforscherteam hat versucht, genau das herauszufinden. Eine statistische Analyse der Wetterdaten ergab, dass es sich um ein Jahrhundertereignis handelte, das früher deutlich seltener gewesen wäre. «Was wir in Pakistan beobachtet haben, ist genau das, was Klimaprojektionen seit Jahren vorausgesagt haben», sagt Friederike Otto, die Hauptautorin der Attributionsstudie vom Imperial College in London. «Unsere Erkenntnisse legen nahe, dass der Klimawandel eine wichtige Rolle in diesem Ereignis gespielt hat.»

Zunächst rekonstruierten die Forscher mithilfe von Wetterdaten das Ereignis wie Ermittler den Tathergang eines Mordes. Der Ursprung der Überschwemmungen liegt bereits viele Monate zurück. Eine wichtige Rolle habe etwa das Wetterphänomen La Niña gespielt, das den Indischen Ozean erwärmt und dafür sorgt, dass dort mehr Wasser verdunstet. Schon im Jahr 2010 hat es heftige Monsunregenfälle in Pakistan begünstigt. Manche Klimaforscher nehmen an, dass der Klimawandel extreme La-Niña-Phasen häufiger macht.

Rinder im Distrikt Jamshoro, Pakistan, am 11. September 2022: Rund 800’000 Nutztiere kamen in der Flut ums Leben.

Hinzu kam die Hitzewelle im April und Mai. In Jacobabad in der Provinz Sindh herrschten zeitweise mehr als 50 Grad Celsius, womit die Stadt die heisseste der Welt war. Der Klimawandel, so fanden Attributionsforscher damals heraus, hatte die Hitzewelle in Indien und Pakistan 30-mal wahrscheinlicher gemacht. Dementsprechend war der Weg bereitet, als der jährliche Monsunregen am 30. Juni einsetzte. Generell gilt: Wärmere Luft kann mehr Luftfeuchtigkeit aufnehmen – rund sieben Prozent mehr pro Grad Celsius.

Die hohen Temperaturen könnten aber auch die Bahn der Monsunregenfälle beeinflusst haben, nehmen die Wissenschaftler an. Denn dank der starken Sonneneinstrahlung bildete sich ein stationäres Hitzetief, das die feuchten Luftmassen vom Golf von Bengalen in den Süden Pakistans nach Sindh und Belutschistan lenkte. Für diese Provinzen wiesen Computermodelle den Fingerabdruck des Klimawandels nach: Dieser habe die extremsten Regentage vom 22. bis 26. August heftiger gemacht. Einigen Modellen zufolge um bis zu 50 Prozent.

Falscher Umgang mit den Fluten 

Hingegen war die Unsicherheit in den Modellen für den gesamten Juli und August im ganzen Einzugsgebiet des Indus sehr gross. Auch konnten die Klimaforscher nicht sagen, wie viel wahrscheinlicher der Klimawandel die Regenfälle gemacht hat. Zu grosse Schwankungen der Regenfälle von Jahr zu Jahr stellten die Computermodelle vor Probleme, den Beitrag des Klimawandels zu quantifizieren. Pakistan liegt am westlichen Ende des Monsungebiets; in manchen Jahren kommt kaum Regen an, in anderen enorme Mengen.

Auch wenn es schwierig sei, eine präzise Zahl zum Beitrag des Klimawandels anzugeben, sei doch der Fingerabdruck der globalen Erwärmung erwiesen, so die Attributionsforscher. «Klar ist: Das alles passierte nicht zufällig», sagt der Klimaforscher Fahad Saeed vom Forschungsinstitut Climate Analytics, der in Pakistans Hauptstadt Islamabad arbeitet. «Wir haben nicht einfach Pech gehabt.»

Die Wissenschaftler warnen allerdings davor, die Schuld an der Katastrophe allein dem Klimawandel zu geben. Den grössten Teil des Schadens habe nicht der Regen angerichtet, sondern der Umgang mit den Überschwemmungen, erklärt die Geografin Ayesha Siddiqi von der Universität Cambridge, die ebenfalls an der Attributionsstudie beteiligt war. So habe das Wassersystem aus Kanälen und Dämmen dafür gesorgt, dass sich das Wasser staute und nicht abfliessen konnte. Hinzu komme die Praxis, an bestimmten Stellen die Uferdämme im Falle einer Überschwemmung zu durchbrechen und das Land «kontrolliert» zu fluten, um so die Städte zu schützen. Die Leidtragenden sind dann die Ärmsten der Armen: Ihre Lehmhäuser wurden weggeschwemmt, ihre Ackerflächen zerstört, ihre Weidetiere ertranken – allein in der Provinz Sindh Hunderttausende. «Die Menschen, die am meisten leiden, haben am wenigsten zur Katastrophe beigetragen», sagt Saeed. «Die Not ist unvorstellbar.»